Manische Episoden auf der Tour de Trance
Der Streicherklangteppich aus Wagners "Waldweben", darüber einige helle Bläserfiguren und sogleich ist er da, der sogenannte nordische Tonfall, an dem sich Komponisten aus Est- und Finnland erkennen lassen und bei dem Assoziationsfreudige an weite, einsame Landschaften denken.
Jean Sibelius hat diese Stilmittel erfunden, aber mittlerweile sind - im wörtlichen wie im ästhetischen Sinn - ein paar Zementwerke in die (Musik-) Landschaft gebaut worden.
Grummelnde Kontrabässe, finstere Trommelschläge
Bei Jüri Reinveres von der musica viva in Auftrag gegebenem und von Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks unter Pablo Heras-Casado im Herkulessaal uraufgeführten Werk "Vom Sterben der Sterne" mobilisiert der Titel zusätzliches Pathos. Die gediegen komponierte, etwa halbstündige Musik beginnt mit grummelnden Kontrabässen und finsteren Trommelschlägen. Eine schroffe Steigerung folgt, dann erklingt etwas, das auch schon vor 100 Jahren als Sturm-Musik gegolten hätte.
Düster-sonore Bläser, das zweite Markenzeichen des nordischen Stils, wechseln sich ab mit variierten Wiederholungen kurzer Streichermotive, ehe das solide komponierte Stück in einem Rauschen vergeht.
Und bald womöglich auch im Rauschen der Erinnerung und im Partiturenblätterwald der nordischen Musik.
Energische Motive, dunkle Musik
Kurze, energisch wiederholte Motive verwendet auch Arnulf Herrmann. "Manische Episode" ist der erste Teil von "Tour de Trance" recht treffend überschrieben. Die Musik ist dunkel, hart und bisweilen brachial. Das ändert sich auch nicht, wenn am Ende die dramatische Koloratursopranistin hinzutritt - weniger als Solo, eher als klangliche Weitung und Kräftemessen ungleicher Partner, das dank der famosen Solistin Anja Petersen mit einem Unentschieden endet.
Aber auch das ist kein Stück, dass länger im Gedächtnis haftet. Übrigens ist das Publikum der musica viva klüger als der Kartenverkauf: Die wie in alten Zeiten ohne Abstände platzierten Besucher verteilten sich vor Beginn und erst recht nach der Pause freiwillig im Schachbrettmuster. Hoffen wir mal, dass das nicht der Anfang vom vorläufigen Ende der Konzertsaison war.
Im nächsten Konzert am 3. Dezember dirigiert Franck Ollu Werke von Minas Borboudakis, Francesca Verunelli und Iannis Xenakis. Karten bei br-ticket.de.