Jurowski und das Bayerische Staatsorchester: Dem Leerlauf entgegenarbeiten
Als vor Beginn des Konzertes die ukrainische Nationalhymne erklingt, stehen in der Staatsoper alle sofort auf, auch die, die sie vorher vielleicht noch nie gehört haben.
Krieg in der Ukraine: Vladimir Jurowski spricht von "Genozid"
Ab der ersten Zeile mit dem Text "Noch sind der Ukraine Ruhm und Freiheit nicht gestorben" machen Vladimir Jurowski und das Bayerische Staatsorchester das Lied zu ihrem eigenen Anliegen.

In der folgenden kleinen Ansprache wird der Generalmusikdirektor dann noch deutlicher: Ein "Genozid" sei es, den ein "halbwahnsinniger Diktator" in diesen Tagen mit seinem Angriffskrieg auf die Ukraine anrichte - und der auch unter russischen Soldaten zahlreiche Opfer fordere.
Vor "Sinfonia da Requiem" von Benjamin Britten geht die Spannung verloren
Schwierig ist es, nach einem solchen eindrucksvollen Bekenntnis Vergleiche zwischen Politik und Musik zu ziehen. Gleichzeitig lässt sich aber auch schwer überhören, dass zwischen Jurowskis mutiger persönlicher Positionierung und der darauf erklingenden "Sinfonia da Requiem" von Benjamin Britten ein gewisser Spannungsverlust eintritt.
Dass dieser an der Musik liegt, die sich in allen drei Sätzen in langen Wiederholungen motivischer Formeln ergeht, zeigt sich an einem Detail: Schon nach ein paar Minuten, als die Entwicklung auf der Stelle zu treten beginnt, zieht Jurowski das Tempo ein wenig an und arbeitet dem drohenden Leerlauf entgegen.
Jurowski kreiert eine luftige, warme, mediterrane Klangwelt
Diese überaus sinnvolle Modifikation steht nicht in der Partitur. Es spricht für die Hellhörigkeit des Dirigenten, dass er solche Probleme bemerkt und aus dem Augenblick heraus auf sie reagiert.
Überhaupt fällt auf, wie unablässig der bald 50-jährige die einzelnen Gruppen des Bayerischen Staatsorchesters modelliert. In der Orchestersuite aus der Oper "Pelléas et Mélisande" von Claude Debussy, die Jurowskis Kollegen Erich Leinsdorf erstellt und Claudio Abbado ergänzt haben, hebt Jurowski mal die zweiten Violinen, mal die Bratschen hervor, und kreiert so eine bemerkenswert luftige, warme, mediterrane Klangwelt. Einzigartig ist auch, wie er selbst die blech- und schlagzeugbewehrten Tutti von Maurice Ravels "La Valse" balanciert; nie stellt sich, wie sonst oft, pauschaler Hochglanz ein.
Am wenigsten kann Vladimir Jurowski für die zerfasernde, spröde Streicherinstrumentation von Brittens Liederzyklus "Les Illuminations" tun. Aber er hält der Solistin Sabine Devieilhe, die für das großsprecherische Moment dieser Gesänge ein wenig nymphenhaft schüchtern auftritt, den Rücken frei. Der zierliche, biegsame Sopran der Französin kann auch dann voll erblühen, wenn der Komponist ihn in undankbare Tiefen führt.
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