Dissonanz oder Schlussakkord? Valery Gergiev in München vor dem Aus

Münchens OB Dieter Reiter setzt dem Dirigenten Valery Gergiev ein Ultimatum bis zum Montag. Verliert er seinen Posten bei den Münchner Philharmonikern?
Robert Braunmüller
Robert Braunmüller
|
X
Sie haben den Artikel der Merkliste hinzugefügt.
zur Merkliste
Merken
6  Kommentare
lädt ... nicht eingeloggt
Teilen  AZ bei Google News
Valery Gergiev (rechts) mit Vladimir Putin und dem russischen Verteidigungsminister Sergei Shoigu bei der Besichtigung von Beutestücken aus Syrien im Kommando- und Kontrollzentrum des russischen Verteidigungsministeriums (2018).
Valery Gergiev (rechts) mit Vladimir Putin und dem russischen Verteidigungsminister Sergei Shoigu bei der Besichtigung von Beutestücken aus Syrien im Kommando- und Kontrollzentrum des russischen Verteidigungsministeriums (2018). © imago images/Mikhail Klimentyev

Noch am Donnerstag wollten sich weder das Kulturreferat noch das Rathaus zu einer Roten Linie für den Chefdirigenten der Münchner Philharmoniker äußern. Zu diesem Zeitpunkt gab es bereits das Ultimatum des Mailänder Bürgermeisters und des Scala-Intendanten an Valery Gergiev, sich entweder vom russischen Angriff auf die Ukraine zu distanzieren oder nach der Premiere von "Pique Dame" keine weitere Vorstellung am berühmtesten Opernhaus der Welt zu dirigieren.

Gergiev befand sich inzwischen auf dem Weg nach New York, wo er ab Freitag ein dreitägiges Gastspiel der Wiener Philharmoniker dirigieren sollte. In der Nacht wurde er durch Yannick Nézet-Séguin ersetzt. Ohne Angabe von Gründen zwar, aber die Angst vor massiven Protesten ist offenkundig, denn seit der Besetzung der Krim demonstrierten regelmäßig Ukrainer direkt vor den Türen der Carnegie Hall. Auch einflussreiche Sponsoren des Konzertsaals sollen ihren Einfluss geltend gemacht haben.

Münchner Ultimatum: Distanziert sich Gergiev nicht von Putins Invasion, fliegt er

Am Donnerstagabend zögerten Stadträte der SPD noch, sich zu Gergiev zu äußern. Florian Roth von den Grünen/Rosa Liste konnte sich am Freitag früh nicht vorstellen, dass Gergiev "ohne eine Verurteilung des Angriffskriegs seines Freundes Putin – dessen Syrien- und Ukrainepolitik er immer unterstützt hat – hier in München wie geplant ein Konzert dirigiert".

Gegen Mittag folgte dann das unmissverständliche Ultimatum aus dem Rathaus: Gergiev möge sich bis zum 28. Februar vom russischen Angriffskrieg distanzieren, so Oberbürgermeister Dieter Reiter in einem Brief an den Dirigenten. Anderenfalls müsse die Stadt das Vertragsverhältnis als Chefdirigent beenden.

Der Dirigent Valery Gergiev mit Oberbürgermeister Dieter Reiter 2018 bei der Verlängerung des Vertrags im Rathaus.
Der Dirigent Valery Gergiev mit Oberbürgermeister Dieter Reiter 2018 bei der Verlängerung des Vertrags im Rathaus. © Michael Nagy

"Gemeinsam mit den Orchestervertretern der Münchner Philharmoniker erwarte ich von Ihnen als Chefdirigent des Orchesters jetzt ein deutliches Zeichen der Distanzierung von den völkerrechtswidrigen Angriffen gegen die Ukraine und damit ein klares Signal an die Stadtspitze, die Öffentlichkeit, die Musikerinnen und Musiker der Münchner Philharmoniker und ihr Publikum", heißt es in dem Brief Reiters an Valery Gergiev.

Reiter drückt Partnerstadt Kiew sein Mitgefühl aus

"Ich bin fassungslos über diesen barbarischen Akt des russischen Machthabers Putin, der seine nationalistischen Ziele mit aller Brutalität und ohne Rücksicht auf Menschenleben verfolgt", so der Oberbürgermeister weiter. Diese "schreckliche, völkerrechtswidrige Aggression" müsse schnellstmöglich gestoppt werden. "Unsere Sorge gilt dabei ganz besonders unserer Partnerstadt Kiew, die, wie viele andere Orte in der Ukraine, bereits gezielt beschossen wurde."

Reiter handelt dabei nicht nur mit Rückendeckung der Münchner Philharmoniker, deren Musiker zuletzt vielfach ihre Profilbilder auf Social Media mit ukrainischen Flaggen versehen haben. Auch die Zweite Bürgermeisterin unterstützt Reiters Haltung. "Maestro Gergiev ist als Dirigent der Philharmoniker ein internationaler Botschafter unserer Stadt. München steht für Frieden und Freiheit, und diese Werte werden gerade von Russland mit Füßen getreten", so Katrin Habenschaden. Die CSU-Kultursprecherin Beatrix Burkhardt findet, man könne sich jetzt nicht wegducken und unterstützt Reiters Vorstoß, auch aus dem Landtag gibt es Zustimmung, etwa von Sanne Kurz (Grüne) und dem ehemaligen Kunstminister Wolfgang Heubisch (FDP).

Valery Gergiev (rechts) mit Wladimir Putin.
Valery Gergiev (rechts) mit Wladimir Putin. © imago images

Valery Gergiev: Befürworter der Krim-Annexion

Eine Distanzierung Gergievs von Putins Politik innerhalb der gesetzten Frist wäre eine echte Überraschung. Zu erwarten ist höchstens eine Erklärung mit lauwarmen Worten zu den verbindenden Werten der Musik, die Reiter ein wenig ins Unrecht setzt. Aber selbst das scheint eher unwahrscheinlich.

Der 68-jährige Gergiev ist als Leiter von landesweit mehreren Opernhäusern, Konzertsälen und Festivals eine zentrale Figur der russischen Kulturpolitik. In dieser Rolle dirigierte er 2008 nach dem russischen Angriff auf Georgien im besetzten Gebiet. 2014 unterzeichnete er einen offenen Brief Kulturschaffender, der die Annexion der Krim befürwortete.

Gergiev ist eine exponierte Person. Nicht jeder in Russland tätige Künstler ist staatsnah, und es wäre falsch, hier in ein schwarzweißes Freund-Feind-Denken zu verfallen. Auf dieses Problem wies am Freitag Joachim Lux, der Intendant des Hamburger Thalia-Theaters hin. Er plädierte dafür, die kulturellen Verbindungen zu Russland weiter zu pflegen. Etwa mit Elena Kovalskaya, die Leiterin des staatlichen Meyerhold-Theaterzentrums in Moskau, die gestern Konsequenzen zog und zurücktrat. Sie könne nicht für einen Mörder arbeiten und von ihm bezahlt werden, erklärte sie.

Staatsoper-Musikchef Jurowski hat nichts übrig für Putin

Der in der russischen Hauptstadt geborene Vladimir Jurowski, seit Beginn der Spielzeit Musikchef der Bayerischen Staatsoper, lebt seit vielen Jahren in Deutschland, wo er auch studierte. Er sagte im Vorfeld der Premiere von Schostakowitschs "Die Nase" im Nationaltheater dem Bayerischen Rundfunk, ihn würde mit dem Regime "gar nichts" verbinden. Er dirigiere zwar in Russland, habe sich aber von staatlichen Veranstaltungen ferngehalten.

Jurowski hat aus "Wut und Trauer" über die russische Aggression das Programm eines Konzerts des Radiosinfonieorchesters Berlin geändert: Statt Tschaikowskys "Slawischem Marsch" dirigiert er die ukrainische Hymne und ein Orchesterwerk ihres Komponisten Mychajlo Werbyzkyj.

Lesen Sie auch

Lesen Sie auch

Ein Nachfolger für Gergiev dürfte schnell gefunden sein

Ein schnelles Ende der Ära Gergiev lässt seinen größten Erfolg als Chefdirigent unbeschädigt: den Bau der Isarphilharmonie als vollwertigen Konzertsaal ohne Kompromisse.

Und weil neben Valery Gergiev zahlreiche jüngere Dirigentinnen und Dirigenten sehr erfolgreich gastiert haben und das beträchtlich verjüngte Orchester seine stilistische Bandbreite erweitert hat, wird es kein Problem sein, einen Nachfolger für Gergiev zu finden.

Gut dotiert ist das Amt auch. Wieviel man verdient, ist zwar geheim, aber Gergiev ist der höchstbezahlte Angestellte der Stadt München. Zumindest bis Montag.

Lädt
Anmelden oder registrieren

Zum Login
Zu meinen Themen hinzufügen

Hinzufügen
Sie haben bereits von 15 Themen gewählt

Bearbeiten
Sie verfolgen dieses Thema bereits

Entfernen
Um "Meine AZ" nutzen zu können, müssen Sie der Datenspeicherung zustimmen.

Zustimmen
 
6 Kommentare
Bitte beachten Sie, dass die Kommentarfunktion unserer Artikel nur 72 Stunden nach Veröffentlichung zur Verfügung steht.
  • katzenkoeter am 25.02.2022 20:00 Uhr / Bewertung:

    Bin mal gespannt, ob das Arbeitsgericht gleich in erster Instanz die Watschn an Reiter austeilt.

  • Plato's Retreat am 27.02.2022 16:56 Uhr / Bewertung:
    Antwort auf Kommentar von katzenkoeter

    Wieso Arbeitsgericht? Herr Petrenko wird beurlaubt und bezieht weiter sein volles Gehalt. Und die Tantiemen für entgangene Aufnahmen zahlt die Stadt obendrein.

  • Witwe Bolte am 25.02.2022 19:01 Uhr / Bewertung:

    Da hatte Kirill Petrenko, ehem. Chefdirigent der Bay. Staatsoper, aber Glück, dass er rechtzeitig nach Berlin abgewandert ist. Bekanntlich auch er ein Putin-Unterstützer. Herr Reiters Besen hätte auch vor ihm nicht halt gemacht.

merken
Nicht mehr merken
X

Sie haben den Inhalt der Merkliste hinzugefügt.