Heidelbach-Ausstellung im Literaturhaus: Am Meeresgrund der Fantasie
München - Wenn das Leben ein bizarrer Karneval ist, und davon muss man mehr und mehr ausgehen, dann gehört Nikolaus Heidelbach zu seinen allerbesten Chronisten.
Nikolaus Heidelbach und seine kaum fassbare Produktivität
Und das hat noch nicht einmal damit zu tun, dass er im Rheinland lebt und für einen Maler des Präzisen, fitzelig Miniaturhaften ausnehmend viel und büttenreif redet. Dieser vielleicht hintergründigste Illustrator vornehmlich von Kinder- und eigentlich Erwachsenenbüchern kann ja auch beides: telefonieren und nebenbei ein raffiniertes Vorsatzpapier zeichnen.
Heidelbach ist jedenfalls dauernd am Verkleiden seines Personals, am surrealen Erweitern ihrer Körper, am Verkehren von Größen- und Machtverhältnissen, am Verfremden, Verhohnepipeln und am Kreieren saukomischer Situationen. So stellt sich das im Literaturhaus München dar, das dieses Werk in seiner ganzen Vielfalt vor Augen führt. 251 originale Blätter sind wahrlich keine Kleinigkeit. Aber der vielfach ausgezeichnete Kölner legt eine kaum fassbare Produktivität an den Tag.
Nikolaus Heidelbachs Szenarien bescheren einem immer neue Entdeckungen
Rund 100 Bücher hat er seit 1980 gestaltet und illustriert: von den Märchen der Gebrüder Grimm und Hans Christian Andersens bis zu den Erzählungen etwa von Siegfried Lenz, Paul Maar und Christiane Nöstlinger. Oder Heidelbach schrieb die Texte gleich selbst.
Man kann sich nur wundern, denn alles geht bis in winzigste Details, die fast nach einer Lupe rufen. Mit dem großen schnellen Pinsel ist da beim besten Willen nichts zu machen. Aber deshalb klebt man auch fest an diesen Szenarien, die dauernd neue Entdeckungen bescheren.
Hinter dem Zeichner öffnet sich ein kleiner Horrorladen
Ein Nixengeschwader tanzt dann um einen Hai, als wär's ein lustiger Spielgefährte. Was da rundlich weiß aus Tontöpfen wächst, sind keine Pilze, sondern Totenschädel. Und aus einem Riss an der Wand greifen beäugte Krakenarme in den Raum, fräsen sich scharfe Zähne ihren Platz und staksen Insektenbeine ins Leere.
Man muss allerdings wissen, dass sich dieser kleine Horrorladen hinter einem Zeichner - Nikolaus Heidelbach natürlich - auftut und der sich bei den eigenen Hirngespinsten quasi nur bedienen muss, um all diese Kuriositäten mit Wasserfarben, Deckweiß oder Buntstiften zu Papier zu bringen. Auch in Kinderbüchern.
Heidelbach: Erkenntnisse aus minuziösen Beobachtungen als Bruder
Warum denn nicht? Dass man Kinder vor dunklen, unheimlichen Bildern bewahren müsse, treibt Heidelbach regelrecht auf die Palme. Der mittlerweile 66-Jährige zieht seine Erkenntnisse nicht aus Erziehungsratgebern, sondern aus den minuziösen Beobachtungen als Bruder,
Vater, Großvater und sogar als Babysitter in Berliner Studentenzeiten, als das Geld knapp war. Wonnige Kugelaugen und süße Stupsnäschen sind auch gleich das nächste, über das sich der Künstler aufregen kann. Kinder seien äußerst komplexe Wesen, doch viele Zeichner ließen 80 Prozent von dem, was sie ausmache, einfach weg. Genauso die Autoren, möchte man hinzufügen.
Heidelbach: Anlass zum Fabulieren sind meistens ganz reale Dinge
Deshalb läuft Nikolaus Heidelbach zur Hochform auf, wenn er seine Geschichten selbst ausbrütet. Anlass zum Fabulieren sind meistens ganz reale Dinge, wie er sagt. Ein runtergerutschter Strumpf, eine Salzbrezel, irgendetwas aus dem Alltag oder aus den Nachrichten.
Der syrische Junge zum Beispiel, der tot an einen türkischen Strand angespült wurde und den der Künstler Ai Weiwei reichlich anmaßend mit seiner wuchtigen Körperlichkeit nachgestellt hat, brachte Heidelbach auf völlig andere, erstaunlich sympathische Ideen.
Auch Vater Karl Heidelbach hatte ein Faible für groteske Kompositionen
Bei ihm ist es die kleine Marina, die zwei Brüder am Ufer finden und mit nach Hause nehmen. Das dunkelhäutige Mädchen behauptet, eine Meerprinzessin zu sein, und daraus wird eine wunderbare Parabel über das Fremdsein und sich Behaupten.
Marina ist zu keiner Zeit Opfer, sondern sie bezaubert ihre neue Umgebung durch traumhafte Fantasie, für die Heidelbach dann auch adäquate Bilder findet. Da schippern die königlichen Eltern im Garnelenboot mit Froschbeinen, es gibt ein Schloss aus Muscheltürmen und über die Achterbahn kurven fischköpfige Wasserautos. Man kann das gar nicht alles beschreiben, man muss es sehen. Denn vieles schwebt im Ungewissen, Unheimlichen.
Wer weiß, was die maliziös lächelnde Dame im Schilde führt?
Aber damit können Kinder um einiges besser umgehen als die Erwachsenen, die alles festgezurrt und eindeutig haben wollen. Aufs Erste bedient der enorm literaturkundige Illustrator diese Sehnsucht durch seinen klaren Zeichenstil, da ist nichts verwuschelt, jede Linie sitzt. Das war beim Vater Karl Heidelbach, einem von Otto Dix geprägten Vertreter der Neuen Sachlichkeit, nicht anders. Und auch der hatte ein Faible für altmeisterliche Genauigkeit und groteske Kompositionen.
Besonders gut kommt das beim Sohn im Porträt einer spitznasigen Dame zum Ausdruck, die den Umschlag zu Michael Köhlmeiers "Märchen" (Hanser Verlag) ziert. Durch Profil und höfische Kleidung erinnert sie an eine Renaissance-Grazie. Und um den Hals windet sich eine Schlange, wie das etwa auch in Piero di Cosimos Bildnis der Simonetta Vespucci der Fall ist.
Das 1476 mit nur 23 Jahren verstorbene It-Girl am Hof der Medici blickt sanft gen Himmel, Nikolaus Heidelbachs hohe Frau lächelt dagegen maliziös. Und wer weiß, was sie tatsächlich im Schilde führt. Das ist der Dreh, der an dieser Kunst so sehr besticht.
"Nikolaus Heidelbach. Originale" bis 31. Juli, Literaturhaus, Salvatorplatz, täglich 11 - 18 Uhr