Architekturgalerie in München: Zirkuläres Bauen und das Prinzip Pizza

Die Münchner Architekturgalerie zeigt unter dem Titel "Circular Construction" ansehnliche Bauten aus wieder verwendeten Materialien.
Joachim Goetz |
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Für zwei Kunstsammler haben die Architekten von Superuse Studios im niederländischen Enschede eine Villa aus überwiegend gebrauchten Materialien der näheren Umgebung gebaut. Die Holzfassade etwa besteht aus ehemaligen Kabeltrommeln.
Für zwei Kunstsammler haben die Architekten von Superuse Studios im niederländischen Enschede eine Villa aus überwiegend gebrauchten Materialien der näheren Umgebung gebaut. Die Holzfassade etwa besteht aus ehemaligen Kabeltrommeln. © Allard van der Hoek/Superuse Studios

München - Angela Merkel hätte womöglich wieder die schwäbische Hausfrau ins Spiel gebracht. Denn die hat es schon immer gewusst. Wiederverwenden, Austauschen, Reparieren, Renovieren von Materialien und damit verbundenen Energiekreisläufe sind einfach nachhaltiger, als ständig Neues zu kaufen und Altes der geduldigen Umwelt anzuvertrauen.

Resteverwertung hat Tradition. Nicht nur auf der Pizza. Auch Patchwork war ursprünglich mal kein Begriff für zusammengeflickte Familien oder besonders schickes Design, sondern für Wiederverwendung: Die Quilts der Amischen gehören in diese Kategorie oder die uralten japanischen Techniken Ranru und Boro, bei denen alte, lange getragene und deshalb flauschige Kimono- oder Jeansstoffe meist zu Decken oder Matten - oder auch zu besonders saugfähigen Putz- und Wischlappen zusammengesetzt wurden.

Das "Zirkuläre Bauen" wird oft zitiert und vielfach propagiert

In der Architektur fand die Strategie der Wiederverwendung jedoch lange kaum Anhänger. Bauen hieß Neubau und, wenn nötig, davor Abriss. In der frühen Nachkriegszeit hat man Ruinen und den Plänen der autogerechten Stadt im Wege Stehendes halt weggeräumt. Möglicherweise wollte man sich auch nicht an längst vergangene Zeiten erinnern, als Pyramiden und Ritterburgen ihrer kostbaren Steine beraubt wurden. Damit bauten sich findige Köpfe ihre eigenen stabilen Häuser. Und das schon vor Jahrhunderten.

Langsam findet nun in der Architektur ein Umdenken statt. Das sogenannte "Zirkuläre Bauen" wird oft zitiert und vielfach propagiert. Mithin: Es bleibt häufig bei Lippenbekenntnissen. Zu sehr dominieren Vorbehalte und gesetzliche Beschränkungen.

Aber es gibt die seltenen positiven Beispiele. Die Münchner Architekturgalerie, die nun im sogenannten Blumenbunker an der Schrannenhalle beheimatet ist, zeigt unter dem Titel "Circular Construction - von der Verschwendung zur Verwendung" etwa 15 Projekte von Architekten aus dem deutschsprachigen Raum und den Niederlanden.

Projekt Bayernkaserne: 600.000 Tonnen wieder verwendbares Baumaterial entstehen 

Beim Projekt der Bayernkaserne in München (5.500 Wohnungen, zwei Schulen, Feuerwache etc.) wird etwa neuer Recycling-Beton aus dem Abbruchmaterial direkt auf der Baustelle hergestellt.

So spart man Energie fürs Hin- und Herfahren, braucht weniger Deponie- und Verfüllstandorte, und der Abbau des begrenzten Primärmaterials Kies und Sand wird reduziert. Schön erklärt wird der ökologische Aspekt. Gespart werden 3,3 Millionen Kilometer Lkw-Fahrten. Es entstehen 600.000 Tonnen wieder verwendbares Baumaterial - von benötigten 3,9 Millionen Tonnen. So muss also doch der eine oder andere Lastwagen noch fahren.

In Landshut haben Stenger2 Architekten, die auch für Kare das ehemalige Kraftwerk an der Münchner Drygalski-Allee Designshop-tauglich umbauten, das über 500 Jahre alte Blockhaus in der Pfettrachgasse sozusagen generalüberholt. Dabei verwendeten sie Balken und Bretter aus einem Landshuter Stadthaus, dessen Dachstuhl rückgebaut wurde. Erneuert wurde nur, was statisch nicht mehr tragfähig war. Das hohe Alter des Objekts, das einst CO2-neutral mit regionalen Baustoffen gefertigt wurde, nötigte den Architekten und Eignern Respekt ab.

Wenn fast vergessene Wertstoffe ihre Comeback feiern

Sie wollten diesem Haus, das ein halbes Jahrtausend lang eine Vielzahl unterschiedlicher Nutzungen beheimatete, ein Weiterleben in Form eines "endlosen Gebrauchs" ermöglichen. Das bedeutet, dass auch künftige Nutzer das Haus reparieren können sollten. So wurde auf Zement, Kunststoffe, Gips, Dispersion und bitumenhaltige Baustoffe weitgehend verzichtet. Stattdessen feierten fast vergessene Werkstoffe wie Sumpfkalk, Adobes, Lehm, Ton, Holz, Schilf, Hanf und Leinöl fröhliche Urständ.

Ein ebenso interessantes Projekt ist die schon 2009 für zwei Kunstsammler gebaute Villa Welpeloo in Enschede. Die Architekten von Superuse Studios wollten überwiegend gebrauchte Materialien verbauen. So wurde die von industriellem Leerstand geprägte Umgebung nach verfügbaren Baustoffen abgegrast und die Funde in einer "Harvest Map" dokumentiert.

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Nachhaltiges, klimaschonendes Bauen ist in Sachen Ästhetik absolut konkurrenzfähig

Die Funde bestimmten den anschließenden Entwurf. Die Holz-Fassade hatte ein Vorleben in Gestalt von 1.000 Kabeltrommeln. Für die Dämmung nahm man Polystyrolplatten aus einem leerstehenden alten Fabrikgebäude, während zur Tragkonstruktion die Stahlträger eines alten Paternosters herhalten mussten. Und die Wandverkleidung des Badezimmers besteht aus eingeschmolzenen und verpressten Kunststoff-Kaffeebechern.

60 Prozent des Baumaterials wurde im Umkreis von 15 Kilometern durch Wiederverwendung gewonnen. Im Vergleich zu einem entsprechenden Neubau konnten so 90 Prozent CO2 eingespart werden.

Die gezeigten Projekte beweisen, dass auch in der Bauwirtschaft nachhaltige, klimaschonende Kreislaufwirtschaft hauptsächlich eine Frage des Wollens ist. Und dass sie in Sachen Ästhetik absolut konkurrenzfähig sind.


Bis mindestens 2. Juli in der Architekturgalerie München im Bunker, Blumenstraße 22, Di und Do 17-19 Uhr und nach Vereinbarung, Infos über www.architekturgalerie-muenchen.de

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