"White Noise" im Kino: Die unheimliche Provinzidylle
Manchmal ist Literatur prophetisch: Der große amerikanische Romancier Don Delillo beschrieb 1985, wie ein Chemieunfall erst runtergespielt, dann – wie in einem Thriller – zu einem inneren und äußeren Ausnahmezustand wird. Und dann kam – zumindest für uns Europäer – Tschernobyl.
Film vermischt die verschiedensten Genres
US-Regisseur Noah Baumbach hatte jetzt das Problem, dass schon die Romanvorlage von Don DeLillo nacheinander verschiedene Themenfelder ohne Gesamtdramaturgie verarbeitet. Baumbach versucht das auch gar nicht zu ändern, was den Film etwas unstrukturiert wirken lässt – allerdings mit großer Wirkung, weil sich hier amüsant alle Genres mischen: angefangen von einer Ehetragikomödie, womit Baumbach schon oscar-verwöhnte Erfahrung hatte durch seinen Film "Marriage Story". Damals war Scarlett Johansson die Film-Ehefrau von Adam Driver. In "White Noise" ist es jetzt Greta Gerwig – übrigens Baumbachs reale Lebensgefährtin.
Hier ist Gerwig eine bereits dreimal verheiratete Frau, was noch die Patchworksituation als Groteske einfließen lässt. Immerhin sind vier Kinder im Haus. Die Teenietochter beginnt den Wahnsinn im Elternhaus zu durchschauen. Und neben Sexualproblemen und einer Diskussion, für wen es warum besser wäre, als erster zu sterben – was durchaus an Woody Allen erinnert – spielt hier auch ihre Tablettenabhängigkeit eine Rolle: inklusive Beschaffungskriminalität und Pharmakonzernmacht.
Zu dieser Situation wird der Film wieder in die gebrochene Kleinstadtidylle zurückkehren, wo die Ehefrau an einem illegalen Pharmatest teilnimmt – mit Lars Eidinger als selbst drogenabhängigem Pillen-Dealer und Todesmetapher.
Geschichtsprofessor trifft auf Filmexperten
Dazwischen baut "White Noise" in diese so belastete Ehekomödie noch eine Provinz-Hochschul-Satire des Ehemanns, der als Geschichtsprofessor obsessiver Hitler-Experte ist, versucht Deutsch zu lernen ("ich esse Kartoffelsalat") und politische Massenhysterien als Todesobsession deutet. Nur dass die Beschäftigung damit auch auf ihn selbst abfärbt. Sein Kollege (Don Cheadle) wiederum ist Experte für Katastrophenfilme mit viel Blut, die er umdeutet in Optimismus-Filme.
Und hier wird die Absurdität von manchen intellektuellen, durchaus auch geistvollen Theorien wunderbar amüsant auseinandergenommen – inklusive dem narzisstischen Rausch des Bewundertwerdens als Professor Cuvilliéstheater hier in einer mitreißenden Lehrstunde über Elvis und Hitler ("beide ödipal").
Kipppunkt ist in der Mitte ein Chemieunfall mit großer schwarzer Giftwolke und Desinformation. Und die mediale Berieselung mit Fakenews und die zunehmende Verunsicherung führt zu einem hysterischen Zustand, der sich in einem Katastrophen-Thriller mit Massenevakuierung, Verschwörungswahn und Überlebensegoismen entlädt.
Fazit: Irgendwie war es von allem etwas zu viel
So bekommt man als Zuschauer in gut zwei Stunden alles geliefert: private, psychologische Studien, eine Gesellschaft- und Mediensatire und Action. Dass auf diese Weise hier zwar nichts wirklich zusammenpasst, ändert nichts an einem Kinospaß, der auch noch in einem surrealen Konsum-Ballett in einem Giga-Supermarkt als Ersatzreligionstempel endet. Aber irgendwie war es dann doch von vielem etwas zu viel, um danach über jeden bemerkenswerten Aspekt weiter nachzudenken. Aber geistreiche Unterhaltung ist ja schon mal viel wert.
Kino: City (dt.), Leopold (OmU)
R: Noah Baumbach
(USA, 136 Min.)
- Themen:
- Kultur