"Zeiten des Umbruchs" im Kino: Wenn Wege sich ungerecht trennen

Ein packendes, familienpsychologisches Porträt der Verwüstungen durch den Neoliberalismus: "Zeiten des Umbruchs".
Adrian Prechtel
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Was machen wir mit Paul? Anne Hathaway als Mutter Esther und Anthony Hopkins als Großvater in "Zeiten des Umbruchs".
Was machen wir mit Paul? Anne Hathaway als Mutter Esther und Anthony Hopkins als Großvater in "Zeiten des Umbruchs". © Anne Joyce/Focus Features

"Armageddon Time"? Am Ende des Films von James Gray sitzt man zwar mit Tränen im Auge da, aber eines glaubt man nicht gesehen zu haben: einen Weltuntergang, wie der US-Originaltitel suggeriert.

"Zeiten des Umbruchs": Künstlerisch begabter Junge hat's schwer

Oder doch? "Zeiten des Umbruchs" nennt der deutsche Verleih sanfter die Geschichte eines New Yorker Jungen, Paul (Michael Banks Repeta). Der ist relativ sanft, künstlerisch begabt. Die pädagogischen Versuche der Lehrer, ihn zu einem erfolgreichen jungen Mann zu machen, perlen an diesem Träumer ab.

Sein hart am Aufstieg arbeitender Vater reagiert darauf - gegen sein eigentlich ebenfalls weiches Naturell - überfordert hart. Und die Mutter (Anne Hathaway) ist zwar liebevoll, aber ebenfalls besorgt. "Es ist ja nur zu deinem Besten", klingt immer wieder an.

Wir sind Anfang der 1980er Jahre - also in einer Zeit, die wir im Westen als relativ ruhig empfunden haben, die Gray aber als katastrophalen Epochenwechsel wertet: durch den Siegeszug des kapitalistischen Neoliberalismus gegen soziales Verhalten und Sozialstaat. Ronald Reagan wurde gerade gewählt, was auch in TV-Nachrichten und Sendungen immer wieder als Hintergrund durchschimmert.

Trump Seniors: James Gray schafft subtilen Verweis auf die Gegenwart

Mitten im Film gibt es eine Schulveranstaltung. Wir sind im sozial gemischten New Yorker Stadtteil Queens, wo sich noch Ab- und Aufstiegsbiografien begegnen. Pauls öffentliche Schule braucht Geld und ist von Sponsoren abhängig. Und so zeichnen strotzend vor Selbstgefälligkeit Fred C. Trump und seine Frau Mary Anne (Jessica Chastein) - Selfmade-Millionäre und die Eltern von Donald Trump - die Jahresbesten aus.

Nicht ohne zuvor mit einer Schulansprache die Ideologie des "Jeder kann es schaffen" als gerechte Weltanschauung gepriesen zu haben. Und mit den Trump Seniors im Film schafft James Gray auch einen subtilen, eleganten Verweis auf unsere Gegenwart.

"Zeiten des Umbruchs": Warum die Protagonisten des Films getrennt werden

Wie zynisch diese politisch propagierte Idee ist, wie sie Familien vergiftet, zeigt sich aus der Perspektive von Paul auch anhand seines Schulkameraden: einem Streuner, den Paul heimlich im Gartenhäuschen einquartiert. Mit diesem neuen Freund, einem Geistesverwandten, Lebenserfahreneren, will er abhauen.

Doch Jonathan (Jaylin Webb) ist schwarz, was Paul völlig egal ist. Aber der Ehrgeiz der jüdischen Eltern und die Angst um die Zukunft ihres Sohnes sowie der Rassismus des Systems wird die beiden trennen.

"Zeiten des Umbruchs": Das Leben ist nicht fair

Gegengewicht ist nur Pauls Großvater, den Anthony Hopkins ruhig, weise und halt gebend spielt, als einen, der mit den Traumata der jüdischen Familiengeschichte vertraut ist und weiß, dass daraus auch der Wunsch nach mehr Sicherheit durch sozialen Aufstieg erwächst.

James Gray lässt subtil und psychologisch überzeugend Familienbiografien durchscheinen, die jede einzelne Handlung verständlich macht. Aber am Ende geht es um die schmerzliche Erkenntnis, dass "das Leben nicht fair ist", wie der Großvater unter inneren Schmerzen erklärt, und "dass man kämpfen muss". Aber es ist spürbar, dass man genau gegen diesen Darwinismus ankämpfen müsste, wen man nicht - wie Paul es spürt - auf unmenschliche, verlogene Weise erwachsen sein will.


Kino: ABC, Astor im Arri sowie City, Monopol (OmU) und Museums-Lichtspiele (OV) - Regie: James Gray (USA, 106 Minuten)

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