Volker Schlöndorff mit "Der Waldmacher" in München: Realistischer Optimismus
München - AZ-Interview mit Volker Schlöndorff: Geboren 1939 in Wiesbaden. Der Filmregisseur, Drehbuchautor und Filmproduzent wurde einer der wichtigsten Aushängeschilder des deutschen Films - inklusive eines Oscars für seine Literaturverfilmung "Die Blechtrommel" (1980). Zu seinen wichtigsten Werken gehören "Die verlorene Ehre der Katharina Blum", "Homo Faber" oder "Die Stille nach dem Schuss".
Nach der Auszeichnung mit dem Alternativen Nobelpreis 2018 machte Tony Rinaudo einen Stopp in Berlin und traf auf einer kleinen Feier Regisseur Volker Schlöndorff. Dem australischen Agrarwissenschaftler gelang es, seit den 80er Jahren Wälder zu schaffen, ohne einen einzigen Baum zu pflanzen.

Durch die Entdeckung eines riesigen Wurzelnetzwerks unter dem Boden, Basis für eine erfolgreiche Begrünungsaktion in Afrika. Und Schlöndorff wusste: Mit dem muss ich einen Film machen. Schon am nächsten Morgen unterzeichneten sie auf einem Blatt Papier einen Vorvertrag und wenige Wochen später ging's los. Am Donnerstag stellt Volker Schlöndorff seinen Film im City vor und diskutiert nach der Vorführung mit den Zuschauern.
Volker Schlöndorff: "Ich bin ohne Konzept oder feste Vorstellungen aufgebrochen"
AZ: Herr Schlöndorff, Sie kamen nicht als Regisseur, sondern als Beobachter. Was heißt das?
VOLKER SCHLÖNDORFF: Ich bin ohne Konzept oder feste Vorstellungen aufgebrochen, um Beobachtungen einzufangen. Dazu benötigte ich keine großen Vorkenntnisse. Das Problem kam später, ich habe mich schwergetan, im Schnitt eine Form zu finden. Die Arbeit daran dauerte fünf Monate, weil ich losgedreht habe und meiner Sensibilität gefolgt bin. Sowas wie einen Film mit abbrechenden Eisbergen oder ein alarmierender oder aufklärender Film lag mir fern. Ich wollte zeigen, was ich sehe und die Gedanken, die sich daraus ergeben.
Was waren Ihre wichtigsten Erfahrungen bei der gemeinsamen Reise durch die Sahelzone. Was hat Sie am meisten berührt?
Der Mut der Menschen, unter einfachen und oft schwierigen Bedingungen sich nicht unterkriegen zu lassen. Man hat keine Alternative, also macht man weiter, oft mit falschen Methoden. Da ist es wichtig, dass in dieser Situation jemand wie Tony Rinaudo ihnen erklärt, dass es auch anders geht. Erst herrschten Skepsis und Verblüffung, dann erinnerten sie sich, dass ihnen schon ihre Vorfahren davon erzählt hatten. Es braucht oft einen Anstoß, um Altes wieder zu würdigen. Man muss das Rad nicht neu erfinden.
"Bei den Baumpflanzungsaktionen fehlen Erhebungen und Statistiken"
Da werden Milliarden von Entwicklungshilfe im wahrsten Sinne des Wortes in den Sand gesetzt. Was läuft falsch? Warum nicht Hilfe zur Selbsthilfe?
Karlheinz Böhm beschrieb mir mal ein Beispiel: Um Wasser aus dem Fluss zu holen, müssen die Leute einen glitschigen Abhang herunterklettern. Da nur eine Treppe zu bauen, verändert komplett das Dorfleben. So einfach kann es sein. Bei einem polemischen Dokumentarfilm müsste ich bei der Entwicklungshilfe ansetzen, ein anderes Kapitel. Ein nicht sehr erfolgsorientiertes System, bei dem es nur um die Effizienz des Durchsetzens geht ohne anschließendes Monitoring. Bei den Baumpflanzungsaktionen fehlen Erhebungen und Statistiken. Ich will zeigen, was möglich ist und bin Rinaudo gefolgt. Ich höre ihm zu und schaue, was er macht.
Schlöndorff über Rinaudo: "Ein ganz bescheidener Mann mit einem starken Glauben"
Wäre Rinaudo nicht auch ein Held für einen Spielfilm? Manche nennen ihn "Mutter Teresa von Afrika"...
Eine Bezeichnung, die er nicht mag. Es stand die Überlegung im Raum, ob wir nicht einfach ein Drehbuch schreiben und einen Film drehen sollten mit ihm als Hauptperson und von einem schicken jungen australischen Schauspieler besetzt. Das wäre sicher auch interessant gewesen. Aber mich hat es mehr gereizt, das Thema dokumentarisch anzugehen. Die Zeit, wo man Albert Schweitzer im Film gefeiert hat, ist irgendwie vorbei.
Aber ein Held ist er schon, oder?
Aber keiner, der sich auf die Schulter klopft, sondern ein ganz bescheidener Mann mit einem starken Glauben, der sein Leben für eine von ihm machbare Sache eingesetzt hat. Es fehlt ihm an Ehrgeiz, aus dem Projekt eine Bewegung zu initiieren. Sehr schade. Deshalb war es ein Impuls für den Film, diese Methode in die Öffentlichkeit zu bringen und für ähnliche Projekte den Boden zu bereiten. Da müssten doch Tausende Jünger in die Welt ausschwärmen.
Weltklimagipfel? "Ein Gipfel der Schande ohne Resultat"
Braucht es manchmal nicht eine Organisation, sondern nur die Passion eines einzigen Menschen, um das Ruder herum zu reißen?
Das ist die große Hoffnung. Auch, dass sich durch den Film NGOs für das Projekt interessieren. Ich war in Bamako auf einer großen Konferenz über Hunger in der Welt und im Herbst in Glasgow zum Weltklimagipfel. Ein Gipfel der Schande ohne Resultat. Auf offene Ohren bin ich dagegen beim damaligen Entwicklungsminister Gerd Müller gestoßen. Manchmal liegt die Schwierigkeit in Afrika selbst, weil sich die Regierungen kaum dafür interessieren, was auf dem Land passiert. Und bei einer Methode, bei der kein Geld fließt und die Bauern selbst aktiv sind, tendiert die Aufmerksamkeit gegen Null.
Trotz aller Anerkennung setzen Sie auf eine kritische Bestandsaufnahme von Vergangenheit und Gegenwart. Wie haben Sie die Balance gehalten zwischen Defaitismus und Optimismus, und trotzdem den Finger auf die Wunde gelegt?
Das habe ich von Rinaudo gelernt. Er nannte mich immer den ungläubigen Thomas. Parallel zur Renaturierung müsste eine Familienplanung und -entwicklung kommen, weil das eine ohne das andere nicht funktioniert. In diesem Punkt die Mentalität zu ändern, das dauert. Denken sie daran, wie über Jahrhunderte arme Bauern aus Irland, Hessen oder Sizilien ausgewandert sind, bis man Wege fand, genug Nahrung zur produzieren. Dabei wurde der Fehler gemacht, alles auf Chemie zu setzen. Dies Phase kann man in Afrika überspringen. Durch Tony bin ich zum Optimisten geworden.
Schlöndorff: "Es gibt kreative Menschen, die an die Zukunft glauben"
Würden Sie Rinaudos feste Erwartung auf ein Umdenken unterschreiben? Er spricht vom Kampf um Herzen und Köpfe.
Ich glaube an seine Worte. Nach jeder großen Katastrophe reißt sich die Menschheit am Riemen und erfindet oder setzt etwas durch, damit es weiter geht. Wie nach der großen Hungersnot 1984 in der Sahelzone. Es gibt kreative Menschen, die an die Zukunft glauben, trotz der Misere um sie herum. Egal in welchem Land oder mit welcher Religion - sie teilen eine Zuversicht ins Leben.
Sie fokussieren sich nicht wie oft üblich nur auf Armut, sondern auch auf die Kraft dieses Kontinents.
Dann ist der Film gelungen. Ich will ein anderes Bild von Afrika liefern. Ich glaube an Afrika und den Erfindungsreichtum seiner Menschen, lehne dieses Vorurteil von Faulheit und Korruption ab. Im Gegenteil, sie verfügen über eine große bewusste oder unbewusste Weisheit und sind oft näher dran an dem, was wir uns unter einem vernünftigen Menschen vorstellen. Die Bevölkerungspolitik ist eine Katastrophe, aber Afrika ist nicht der dunkle Kontinent, das Fass ohne Boden. Im Gegenteil sehr lebendig und fantasiereich mit menschlichen Ressourcen ohne Ende.
"Mit dem möglichen Solarstrom wäre ganz Afrika zu elektrifizieren"
Aber die Jugendlichen wollen weg vom Land in die Stadt...
Die meisten können gar nicht weg, es fehlen ihnen die Mittel. Und es spricht sich herum, dass es ihnen in den Slums von Nairobi noch schlechter geht als in der Landwirtschaft. Klar, wenn ein Zwölfjähriger die Bilder aus dem Westen sieht, will er emigrieren. Wer will in Dörfern ohne Elektrizität bleiben? Mit dem möglichen Solarstrom wäre ganz Afrika zu elektrifizieren, wäre auch eine digitale Ausbildung möglich, würde sich das Internet nicht auf ein paar Werbevideos auf dem Handy reduzieren. Fortschritt ist machbar.
Haben Sie jetzt "Blut geleckt" für den großen Dokumentarfilm?
Wenn überhaupt, dann wieder mit einem kleinen Team und der intimen Form, die Fantasie oder Poesie zulässt. Diese großen Al-Gore- oder David-Attenborough-Filme würden mich nicht reizen. Da realisiere ich lieber einen Spielfilm, weiß ich doch besser, wie das geht. Mit der kleinen, fast tagebuchähnlichen Form könnte ich mir vorstellen, weiter zu machen. Ich habe mich bei "Der Waldmacher" vom ersten Tag an wohl gefühlt.
"Der Waldmacher": Volker Schlöndorff kommt am Donnerstag (28. April), zur 19-Uhr-Vorstellung ins Kino City 2 (Sonnenstraße 12a).
Karten unter www.city-kinos.de