Sommerkomödie: "Liebesbriefe aus Nizza"
Da könnte uns doch glatt das Herz aufgehen: Seit 50 Jahren führen der pensionierte Offizier François und seine Gattin Annie eine glückliche Ehe: sie mehr kulturell orientiert, er ein Ordnungsfanatiker, der sie immer noch anhimmelt.
Und dann passierts. Fällt dem Oldie doch beim Kramen auf dem Speicher ein Päckchen Briefe in die Hände, ganz dekorativ und klassisch mit einer Schleife umwickelt. "Liebesbriefe aus Nizza": an seine Frau! In denen geht es um "vibrierende Venushügel" und ein "explodierenden Venusdreieck" - nicht ganz sein eigener Sprachschatz.
Alle Zutaten stimmen
Madame wird zum Rapport gerufen, erst erinnert sie sich "natürlich" nicht, dann wiegelt sie ab: Die amourösen Zeilen seien doch aus alten Zeiten, sprich vor vier Jahrzehnten. Nichts da! Bei Ehebruch gibt's keine Verjährung, sondern nur Revanche.
Der Plan: Annie verlassen und dem damaligen Rivalen Boris eine Abreibung verpassen. Auf geht's nach Nizza - mit der Treulosen im Gepäck, die das Schlimmste verhüten will, aber auch getrieben ist von Neugier auf den Ex-Liebhaber.
Bei Ivan Calbéracs verrückter Boulevardkomödie in bester französischer Manier stimmen alle Zutaten. Das heißt Trivialitäten mit Witz servieren, Kontroversen heftig ausfechten und fast kabarettistische Einlagen der Hauptpersonen einflechten, mit den Schwächen der Einzelnen spielen - und: vielleicht überzeichnen, aber niemanden lächerlich machen. Aber: auf jeden Fall Vulgarität und Effekthascherei vermeiden.
Alter und Liebe
Das Projekt "Strafe" scheitert erst einmal. Der einstige Hippie und inzwischen alerte Bonvivant Boris serviert den Überraschungsgästen Wein und Grillhappen, die früheren Turteltäubchen tauschen Erinnerungen aus, plantschen nächtens fröhlich im Pool.

An Slapstick-Szenen fehlt es nicht, wenn der wütende Ehemann dem Konkurrenten mit Schippe und Fleischspieß auf den Pelz rückt, leider erfolglos. Der konservative Kerl muss noch einiges aushalten, bis er die Vergangenheit grummelnd ad acta legt.
Alles dreht sich schonungslos um Alter und Liebe und natürlich um männliche Eifersucht. Wenn Annie ihrem in rabiaten Rache-Träumen schwelgenden Gatten vorwirft "Du hast den Kopf verloren", kontert der "Ich habe das Gesicht verloren". Die obskure "Ehre" des Mannes entlarvt sich als Lachnummer. Dabei steckt hinter dem Machogehabe ein zutiefst verletzter Liebender, der in seiner Zerbrechlichkeit uns Zuschauer anrührt. Die Chronik dieser Familie mitsamt zwei Söhnen und einer Tochter, die auch nicht alle so geraten sind, wie der Papa wünscht, wird mit Seele und psychologischem Einfühlvermögen erzählt.
Scheidung auf Sizilianisch
Calbérac, der mit seiner Komödie "Frühstück bei Monsieur Henri" 2016 in Deutschland knapp 600.000 Zuschauer ins Kino lockte, orientiert sich am Fall eines 92-jährigen Sizilianers, der über 70 Jahre alte Liebesbriefe an seine Frau fand - und sich noch scheiden ließ. Die Figuren wurden hier verjüngt, ins amourös versöhnlichere Frankreich transponiert und mit Charme und Chuzpe ausgestattet.
Der Regisseur zeigt - wie in seinen vorherigen Filmen - eine sympathische Schwäche für "Verlierer und Unangepasste", was selbst so etwas wie Zwanghaftigkeit im sanften Licht der Côte d'Azur verzeihlich erscheinen lässt.

Auch das superbe Schauspieltrio lässt keinen Wunsch offen: Sabine Azéma als hinreißende Lügnerin, André Dussollier als rigider Prinzipienreiter und Thierry Lhermitte als fitter und immer noch verführerischer Womanizer versuchen den Tango zu Dritt. Aber nur einer kann gewinnen...
Auf jeden Fall sind die "Lebesbriefe aus Nizza" der große Gewinn für Kinozuschauer dieses flirrenden Sommerfilms. Der Originaltitel lautet "N'avoue jamais" ("gestehe niemals"). Das ist vielleicht die charmanteste Lösung.
Kino: Solln, Mathäser, Rex sowie City, Monopol, Rio, Isabella (auch OmU) und Theatiner (OmU)
R: Ivan Calberac (F, 95 Min.)
- Themen:
- Scheidung