Kritik

Der Kinofilm "Die Ermittlung" von RP Kahl nach Peter Weiss

"Ich war komplett erschlagen", erzählt der Regisseur und spricht über seinen Film, der sich dem Holocaust inhaltlich wie formell auf besonders intensive Weise nähert
Matthias Pfeiffer |
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Die Schauspieler Clemens Schick und Rainer Bock.mit Regisseur RP Kahl in der Mitte - hier beim Filmfest München.
Sven Hoppe/dpa 2 Die Schauspieler Clemens Schick und Rainer Bock.mit Regisseur RP Kahl in der Mitte - hier beim Filmfest München.
Peter Lohmeyer als Zeuge in einer Szene des Films "Die Ermittlung" nach Peter Weiss.
Hans-Joachim AKI Pfeiffer/Leonin 2 Peter Lohmeyer als Zeuge in einer Szene des Films "Die Ermittlung" nach Peter Weiss.

Es ist Prozess, der Gerechtigkeit nach einem der schlimmsten Verbrechen gegen die Menschlichkeit schaffen soll. Vor dem Gericht, das in leerer Kulisse tagt, müssen sich 18 Angeklagte zu ihren Verbrechen im Vernichtungslager Auschwitz verantworten. Die Aussagen der zahlreichen Zeugen und Zeuginnen offenbaren ein unfassbares System des Terrors. Eines, an dem sich die Opfer teils mitschuldig machen mussten. 1965 verarbeitete Peter Weiss den Auschwitz-Prozess in seinem Stück "Die Ermittlung". RP Kahl bringt es nun auf die Kinoleinwand. Ein Projekt, das sich zunächst sperrig anhört, doch in seiner Direktheit niemanden kalt lässt.

AZ: Herr Kahl, was reizte Sie daran, Peter Weiss' "Die Ermittlung" zu verfilmen? Auf den ersten Blick ja ein Stoff, der rein für die Bühne konzipiert ist.

RP KAHL: Als Filmemacher bin ich immer auf der Suche nach einer Vorlage, die perfekt nachzudrehen ist. Das Stück von Weiss ist so eine. Nur bei den Figuren musste ich Änderungen vornehmen. Im Original spielt ja ein Schauspieler mehrere auf einmal. Außerdem mag ich Filme, in der das Thema NS-Zeit mit einem anderen Duktus erzählt wird. Was ich als Filmprofessor meinen Studenten gerne zeige, ist "Nacht und Nebel" von Alain Resnais. Sie fragen dann, warum ich ihnen das zeige, diese Form von 1956 sei nur verwirrend und verstörend. Für unseren Film wollten wir Umsetzungsmittel wählen, die mehr heutigen Sehgewohnheiten gehorchen. Von Anfang an haben wir überlegt, wie wir diesen langen schweren Text visuell umsetzen können, ohne dass es sich wie in ein Theaterstück anfühlt.

Peter Lohmeyer als Zeuge in einer Szene des Films "Die Ermittlung" nach Peter Weiss.
Peter Lohmeyer als Zeuge in einer Szene des Films "Die Ermittlung" nach Peter Weiss. © Hans-Joachim AKI Pfeiffer/Leonin

Trotzdem ist der Film in seiner Form sehr anspruchsvoll: Vier Stunden Laufzeit, ausschließlich Mono- und Dialoge, keine realistischen Kulissen. Hatten Sie Bedenken, dass das viele Zuschauer abschreckt?

Absolut, aber diese Hürde mussten wir überspringen. Und wenn man einmal in die Geschichte eingestiegen ist, bleibt man auch dran. Ich glaube, dass die Leute darin schon geübt sind und den Film annehmen. Es war uns aber auch wichtig, ein möglichst breites Publikum zu erreichen. Wir werden zusätzlich auch eine 180-Minuten-Fassung in die Kinos bringen. Es ist vollkommen in Ordnung, wenn sich jemand nur diese ansieht. Außerdem soll der Film bald ins Fernsehen kommen. In der Mediathek wird er als serielles Format erscheinen, das man sich selbst einteilen kann. Ich will also verschiedene Angebote machen, letzten Endes auch für Schulen.

Wie haben Sie die Dreharbeiten erlebt? Sicher war die intensive Beschäftigung mit diesem Thema nicht leicht.

Ich weiß noch, dass der Oberbeleuchter zu mir sagte: "Ich höre einfach nicht mehr hin. Sonst muss ich mich ins Bett legen und kann heute nicht mehr arbeiten." Wir waren ein großes Team und jeden hat es während der vierwöchigen Proben und den fünf Drehtagen sehr mitgenommen. Besonders hart war es ja für die Angeklagten, die bei jeder Szene im Bild sitzen. Aber eine solche Form von Anspannung, Konzentration und Hingabe habe ich noch bei keinem Projekt erlebt. Allen war klar, was wir hier für einen Film machen. Es war, als würden wir alle gemeinsam an einem Seil ziehen, um ihn zu gebären. Aber nach den Dreharbeiten war ich auch erstmal komplett erschlagen.

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Hat Ihnen die Arbeit an "Die Ermittlung" auch Neues zu diesem Themenkomplex beigebracht?

Ich habe wirklich viel gelernt. Vorher dachte ich, dass ich über den Komplex Auschwitz gut Bescheid weiß. Doch dann merkte ich, dass mir nicht bewusst war, wie diese Systematik im Kleinen funktioniert. Es war fast ungeheuerlich für mich zu verstehen, dass es gerade für die Opfer nicht mehr möglich war, menschlich zu handeln. Auch sie haben sich teilweise mitschuldig gemacht, einfach weil dieses System KZ sie komplett entmenschlicht hat. Dieses Perfide der totalitären Systeme zu erkennen, war eine wahnsinnig starke Erkenntnis. Im Film gibt es so manche Monologe, in denen klar wird, dass manche Opfer den Tätern manchmal näher waren als den eigenen Leuten. Und eine zweite Sache: In meinen Konzeptpapieren sprach ich öfter vom Unbeschreiblichen. Das ist es aber nicht, man kann es mit Worten beschreiben. Es hat stattgefunden, also kann man es beschreiben. Und wir als Menschen sind fast schon verpflichtet, es zu tun! Unbeschreiblich ist das für mich nun nicht mehr.

Darüber hinaus hat der Text einen zeitlosen Anspruch. Man denkt darüber nach, wie jedes System das Handeln des Menschen grundsätzlich beeinflusst.

Das ist auch einer der Gründe, warum ich den Text besonders stark finde: Er spornt in intellektueller Hinsicht an. Es ist nicht so wie bei einem Spielfilm, der eine traurige Geschichte erzählt, mit allen Bildern und Klischees, die man schon kennt. Hier gibt es einen neuen Impuls, der nicht nur über Emotionen funktioniert. Es war mir wichtig, auch über Auschwitz hinaus etwas zu erzählen. Es ist nicht nur vonnöten, die Historie zu verstehen. Der Film zeigt an einem Beispiel, wie dieses System durch die Straftaten einiger und den Opportunismus vieler ermöglicht wurde. Und in irgendeinem System agiert man immer. Da hat man die Aufgabe daran mitzuwirken, dass es so liberal und demokratisch wie möglich wird. So widersinnig es erst klingt, für mich ist dies ein Film, der auch Hoffnung und Kraft geben kann.

 

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