So ist der Skandal-Film "Feuchtgebiete"
Helen fährt Skateboard. Durch die Straßen von Berlin rollt sie, kratzt sich kräftig am Po, wo Hämorrhoiden sie plagen, und dann taucht sie unter in die brackige Unterwelt einer öffentlichen Toilette.
So rasant beginnt David Wnendts Verfilmung von „Feuchtgebiete“, und wer die Vorlage kennt, mag sich an das Gefühl des Stillstands erinnern, der sich beim Lesen ergibt, die Protagonistin von Anfang an im Krankenhaus, an ihr Bett gefesselt nach einem Unfall bei der Intimrasur. Regisseur und Co-Autor Wnendt geht gleich in die Bewegung, setzt damit ein Signal: Das hier ist ein Film. Und er lässt Helen später mit dem Skateboard auch durchs Krankenhaus jetten. Zauberhaft, leicht.
IST DER FILM PORNOGRAFISCH?
In der Filmsprache zeigen sich Wnendt und sein Kameramann Jakub Bejnarowicz flexibel, bewegen sich geschickt auf dem Grat zwischen Zeigen und Verbergen – wobei sie schon viel zeigen. Wenn Helen und ihre Freundin auf der Toilette ihre Tampons austauschen, sieht man sie aus der Oberansicht in ihren Klokabinen sitzen, in der Folge auch die blutigen Tampons.
Auf genitale Nahansichten aber wird verzichtet. Ausflüge in die mikroskopische Körpertiefe nimmt Wnendt sparsam vor, in einer knalligen Tricksequenz am Anfang etwa, wenn die Kamera durch die heiter-aggressive Welt der Bakterien fährt. Heikles zeigt Wnendt, ganz buchgerecht, mit Ironie: Wenn Helen sich vier Pizzabäcker vorstellt, die auf eine Spinatpizza onanieren, kreiselt die Kamera vor den Masturbierenden (darunter Conny Dachs, der Hengst aus den Gina-Wilde-Filmen), Körperflüssigkeit spritzt reichlich in Zeitlupe, dazu erklingt „An der schönen blauen Donau“ von Johann Strauß. Den Walzer kennt man aus Kubricks „2001“. Nur dass sich da erhaben ein Raumschiff drehte.
WER SOLL DAS SEHEN?
Man kann davon ausgehen, dass die Zuschauer, auf die der Film abzielt – er ist ab 16 Jahren freigegeben –, ihre Dosis Pornographie und Horrorfilme intus haben. Was regt die noch auf? Dass mit Körpersäften humoristische Funken geschlagen werden können, kennt man schon lange aus US-Komödien wie „Verrückt nach Mary“. Wnendts Film bewegt sich zwischen diesen Polen, spielt ein wenig mit den Grenzen. Bei einer Preview des Films im Atelier-Kino haben sich viele gut amüsiert – man windet sich, mit Genuss.
WAS IST IM FILM ANDERS ALS IM BUCH?
Charlotte Roches Roman nimmt Wnendt als Textfläche, aus der er recht locker schöpft: Den von Meret Becker und Axel Milberg gespielten, geschiedenen Eltern von Helen gibt Wnendt mehr Raum und lässt Peri Baumeister eine Krankenschwester verkörpern, die mit Pfleger Robin mal zusammen war – eine Rivalin für Helen, die im Roman so nicht vorkommt. Da es bis auf einige Highlights nur wenige Stellen gibt, welche die Leser wohl unbedingt sehen wollen – bei anderen Literaturverfilmungen ist der Druck stärker –, kann Wnendt sich viele Freiheiten nehmen.
WIE RADIKAL IST DER FILM?
Wnendt erfindet noch ein paar Volten hinzu, lässt Helen einer Marien-Figur ganz besondere blutige Tränen aufschmieren. So gab’s das nicht im Roman. Aber während Roches Buch sich weitgehend vom Zwang des Spannungsbogens befreit, kurvt Wnendt doch hinein in die klassische Filmdramaturgie. Das zentrale Kindheitstrauma Helens, im Roman früh erzählt, wird im Lauf des Films angedeutet und erst spät als dramaturgischer Höhepunkt offenbart. Helens Beziehung zum Pfleger Robin baut sich Schritt für Schritt auf. Und am Ende fließen und fallen doch hygienisch sehr unbedenkliche Flüssigkeiten: Tränen. Und reinigender Regen. So ist „Feuchtgebiete“ visuell spannendes deutsches Kino. Und unter allem liegt ein romantisches Herz, das bei Roche doch etwas vergeblicher pochte.
Kinos: City, Gloria, Mathäser, Maxx. Münchner Freiheit, (heute Previews im Leopold, Maxx und Mathäser); R: David Wnendt (D, 109 Min.)
Unser Mitarbeiter vi hat den Film ebenfalls gesehen und ist anderer Meinung.
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