Michael Haneke wird 80: Kino als schonungsloser Raum

Er zwang uns, Filme anders zu betrachten: Michael Haneke, der König des radikalen Arthaus-Films, wird am heutigen Mittwoch 80 Jahre alt.
Adrian Prechtel
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Michael Haneke mit seiner Lieblingsschauspielerin Isabelle Huppert 2017 in Cannes.
imago/Starface Degun Paolix Michael Haneke mit seiner Lieblingsschauspielerin Isabelle Huppert 2017 in Cannes.

Vor 16 Jahren hatte er in einem AZ-Interview etwas gesagt, das aktueller ist denn je.

Michael Haneke: "Eine konsumierbare Gewalt verliert an Schrecken"

"Gewalt hat eine Attraktion. Wenn 30 Autos brennen, wird das gezeigt, weil's halt geil ausschaut. TV-Nachrichten werden nach ihrem Schauwert und nicht nach objektiver Wichtigkeit ausgewählt", hatte Michael Haneke sein Medienbild erklärt.

Und er fuhr fort: "Aber wenn man sein Weltbild nur nach den TV-Bildern formen würde, müsste man sich erschießen. Und letztlich wird Gewalt durch permanente Präsenz verharmlost, auch in Filmen. Eine konsumierbare Gewalt verliert an Schrecken."

So wurde Michael Haneke zum Arthaus-Filmstar

Deshalb liefert Haneke in seinen Filmen eben oft schwer konsumierbare Gewalt - und ist damit vor über 20 Jahren zu einem Arthaus-Filmstar geworden. Und vor genau zehn Jahren in Cannes geschah dann noch einmal ein kleines Kinowunder - ein typisches Haneke-Wunder, der eben oft alles sprengt, was man sich sonst so unter Kinoerlebnis vorstellt.

Hier - an der Cote d'Azur - hatte er zuvor bereits zweimal alles auf den Kopf gestellt: 2001 waren seinetwegen hier bereits extra die Regeln geändert worden: Kein Film darf mehr als einen Preis bekommen, hieß es bis dahin. Aber "Die Klavierspielerin" mit Isabelle Huppert hatte gleich drei gewonnen (Großer Preis, Regie, Beste Darstellerin). 2009 dann bekam sein "Weißes Band" über ein deutsches Dorf am Vorabend des Ersten Weltkriegs die Goldene Palme.

"Liebe" mit Trintignant befeuert politische Debatte um selbst bestimmten Tod

Deshalb hatte dann 2012 auch niemand daran geglaubt, dass sein Film "Liebe" noch einmal die Goldene Palme gewinnen würde. Aber so kam es. Der damals 81-jährige Jean-Louis Trintignant spielt darin einen sanften, verzweifelten und doch bestimmten Ehemann, der seine Frau (Emmanuelle Riva) auch nach einem Schlaganfall und der folgenden Abwärtsspirale bis zum gewaltsam erlösenden Tod in der gemeinsamen Wohnung behält. Und es war auch dieser Film, der die politische Debatte um den selbst bestimmten Tod mit befeuert hat.

 

Haneke inszenierte in den Siebzigern viele Klassiker auf der Bühne

Michael Haneke ist als Spielfilmregisseur ein Spätberufener. Der Tschechow-Fan Haneke wollte eigentlich Schauspieler werden, scheiterte aber bei der Aufnahmeprüfung am Max-Reinhardt-Seminar. Auch den Wunsch, Konzertpianist zu werden, ließ er fallen. Er studierte Philosophie, Psychologie und Theaterwissenschaft - ohne Abschluss. Er wurde Fernsehspiel-Dramaturg beim damaligen Südwestfunk und Theaterregisseur.

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Unter anderem an den Bühnen in Stuttgart, Düsseldorf, Hamburg, München und Berlin inszenierte er in den 70er Jahren viele Klassiker. 1989 startete Haneke mit "Der siebente Kontinent" seine Kino-Karriere. Der Schritt für Schritt inszenierte Suizid einer Familie zeige "die Vergletscherung der Gefühle in der hoch industrialisierten Welt", so Haneke damals.

Loebenstein über Haneke: "Die Einstellungen sind oft bedrückend lang"

"Seine Handschrift ist markant: Seine Filme verzichten auf jede Musik, die nicht aus der Szene selbst stammt. Die Einstellungen sind oft bedrückend lang. Die Gewalt in seinen Werken ist kein gruseliger Schauer, sondern echte Zerstörung", sagt Michael Loebenstein, Chef des Filmmuseums in Wien.

Man kann sich streiten, ob "Funny Games" von 1997 oder "Die Klavierspielerin" (2001) den internationalen Durchbruch markieren. "Funny Games" erzählt die Ermordung einer Familie durch zwei Jugendliche ist in einer unentrinnbaren, kaum erträglichen Konsequenz. Ähnlich wie in Stanley Kubricks "A Clockwork Orange" ist der Schock, dass die ausgeübte Brutalität keinen logischen und damit bekämpfbaren Grund hat - sie wird um ihrer selbst Willen, quasi aus Spaß durchgezogen.

Haneke: "Meine Filme sind keine Anleitungen zum Gut-Sein" 

Dann kam die Premiere von "Die Klavierspielerin" in Cannes. Im Film sticht sich eine Professorin für Klavier am Wiener Konservatorium selbstzerstörerisch ein Messer in die Brust. Der zynisch-humane Österreicher Michael Haneke hatte sich mit solchen Bildern des Romans von Elfriede Jelinek angenommen: eine bis ins Geschlechtliche radikale Seelensezierung am lebendigen Leib mit Isabelle Huppert als vertrockneter Klaviervirtuosin unter der - bis ins lesbisch-inzestuöse reichenden - Fuchtel einer verbitterten Mutter (Annie Girardot), die beide selbsthassend jegliche Sinnlichkeit vernichten, außer in der Musik, die sie perfekt exekutieren.

Diese fast perverse Perfektion zeichnet auch Haneke selbst aus. Aber was ist das moralische Ziel seiner fesselnden Zumutungen? "Meine Filme sind keine Anleitungen zum Gut-Sein. Das wäre grauenhaft. Meine Tugend ist künstlerische Genauigkeit", sagt Haneke im AZ-Interview. Diverse Zeichnungen und Pfeile für die Bewegungen von Kamera und Schauspielern ergänzen die ohnehin schon genauen schriftlichen Anweisungen in seinen Drehbüchern.

Haneke: "...weil auch ich nur ein feiges Arschloch bin"

Heute (23. März) feiert der eher kriegsbedingt und daher zufällig in München geborene Österreicher seinen 80. Geburtstag. Auf die Frage nach aktuellen Projekten antwortet Haneke zurzeit: "Nichts, worüber sich schon zu reden lohnte."

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Die bürgerliche Existenz mit ihren Ritualen ist bei ihm ein hohles Etwas. Das sonst gern verklärte Essen im Kreis der Familie entpuppt sich unter seiner Regie oft als quälende Zumutung. Und als es der Bürgerlichkeit in Hanekes Film "Caché" 2006 an den Kragen geht, erklärte Haneke: "Wir tun alles, um nichts zu verlieren. Jeder verteidigt bis ins Irrationale seinen Status, auch Intellektuelle wie ich. Wir reden oft schlau daher, wenn's zum Beispiel um die Verschärfung vom Ausländerrecht geht. Aber wenn's dann heißen würde, "Herr Haneke, Sie haben da so ein schönes Haus, da müsste eine Flüchtlingsfamilie einquartiert werden", hört der Spaß schnell auf, weil auch ich nur ein feiges Arschloch bin. Das sind wir alle, und davon sollte dramatische Kunst erzählen."

"Haneke ist stilbildend für das europäische Arthouse-Kino der letzten Jahrzehnte geworden", sagt Filmmuseumschef Loebenstein. Dem Filmmuseum Wien hat Haneke seine Arbeitsmaterialien wie Drehbücher und Notizen als Vorlass schon ausgehändigt. Über Haneke sind bereits mehr als ein Dutzend Monografien geschrieben worden. "Das ist äußerst ungewöhnlich", sagt Loebenstein.

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