Kritik

Nanni Moretti in "Drei Etagen": Die Wahrheit nebenan

Nanni Moretti schaut in "Drei Etagen" ruhig, spannend und dicht hinter Wohnungstüren auf Familien und Zwischenmenschliches.
Adrian Prechtel
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Der Mann und Vater auf Stippvisite: Alba Rohrwacher bringt in ihrer humanen Fragilität als Mutter große Wärme in den Film.
Der Mann und Vater auf Stippvisite: Alba Rohrwacher bringt in ihrer humanen Fragilität als Mutter große Wärme in den Film. © Happy Entertainment

"Genau das ist ja die Magie von Büchern", hat der israelische Schriftsteller Eshkol Nevo der Zeitung "La Repubblica" gesagt: "Genau in dem Moment, in dem man ein Buch liest, ändert sich die Wirklichkeit für einen. Aber eben auch die Bücher selbst ändern sich mit der jeweiligen Situation, in der man sie liest." Sein Roman, der im deutschen den schönen doppeldeutigen Titel "Über uns" - räumlich und reflektierend - trägt, stammt aus dem Jahr 2015 und spielte in einem gutbürgerlichen Mehrfamilienhaus in Tel Aviv.

Sieht man jetzt Nanni Morettis Verfilmung, ist die Geschichte uns nicht nur mit Rom als Schauplatz näher gerückt, sondern haben wir auch zwei Jahre Coronaerfahrung hinter uns. Man kam sich in der Eingeschlossenheit näher. Und die Frage, was hinter den Türen der Nachbarn vor sich geht, rückte näher heran.

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"Drei Etagen" schaut jetzt in die Nachbarswohnungen - ruhig, genau, psychologisch, aber ohne Voyeurismus: Da ist der herbe Rechtsanwalt, den Moretti selbst spielt, mit seiner humanen Frau (Margherita Buy), die Richterin ist und noch schützend die Hand hält über ihren erwachsenen Sohn. Dem haut der Vater seine Enttäuschung über dessen Lebensversagen um die Ohren. Aber vielleicht hat genau er selbst seinen Sohn durch ständigen Erwartungsdruck erst zu dem unsicheren, daher selbstgerechten und aggressiven Muttersöhnchen gemacht?

Der Sohn wird gleich zu Beginn in einer Betrunkenheitsfahrt mit einem todbringenden Unfall direkt vor der Haustür eine Dynamik in Gang bringen, an deren Ende alle die Fassade fallenlassen müssen. Und dahinter: Abgründe, Einsamkeit, Hysterien, Selbstbetrug und Ängste.

"Drei Etagen": Ein Drama, leicht menschlich abgefedert

Dabei ist Morettis Film zwar ein Drama, aber - wie oft bei italienischen Filmen - bei aller Radikalität immer auch leicht menschlich abgefedert. Und es sind vor allem die Frauen, die versuchen, die eskalierenden Verhaltensweisen ihrer Männer wieder einzufangen. Dabei emanzipieren sie sich, finden eigene Wege.

In der Wohnung darunter wohnt der jüngere Macho-Vater (Riccardo Scamarcio) mit seiner Familie, der seine Tochter gern mal bei einem Rentnerehepaar nebenan parkt, obwohl der alte Herr schon etwas dement ist. Bis er den Nachbarn verdächtigt, sich seiner Tochter sexuell genähert zu haben und mit dieser fixen Idee unfassbaren Schaden anrichtet.

Und da ist noch die junge Mutter (Alba Rohrwacher) im Stockwerk darüber, deren Mann es nicht einmal von einer Dienstreise zur Geburt seiner Tochter nach Hause schafft und durch ständige Abwesenheit seine sanfte Frau in neurotische Fantasiewelten treibt.

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Moretti erzählt das aber nicht als Aneinanderreihung von Episoden, sondern in einem intelligent verflochtenen Reigen an Konstellationen, wichtig werdenden Details, Wegen und Abwegen, wobei der Film durch die souveräne Regie Morettis nie seinen Spannungsbogen verliert. Film und Literatur sind auch die Kunst, uns kunstvoll Konstruiertes und künstlich Verdichtetes als wahr empfinden zu lassen. "Drei Etagen" ist dabei auch nicht durchgehend düster. Es ist auch die größere Kommunikationsfähigkeit der Italiener, ihrer Art, Familie und die Verantwortung gegenüber Kindern als traditionellen Kern nicht so schnell aufzugeben, was Wärme in das eskalierende Geschehen bringt.

Und am Ende werden wir wieder entlassen in einen warmen römischen Sommer, der dann auch atmosphärisch sehr tänzerisch Einzug hält. Bei alledem nur eine kleine Warnung: Die deutsche Synchronisation ist atmosphärisch etwas hölzern geraten.

Kino: ABC, City sowie
Monopol (auch OmU)
R: Nanni Moretti (I, 121 Min.)

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