"Igor Levit - No Fear" im Kino: In die Tiefe spielen

Endlich mal ein gelungener Film über einen Musiker: Regina Schillings "Igor Levit - No Fear".
Robert Braunmüller
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Igor Levit ist ein furchloser Mensch und Künstler - aber manchmal überfällt ihn auch eine tiefe Melancholie.
Igor Levit ist ein furchloser Mensch und Künstler - aber manchmal überfällt ihn auch eine tiefe Melancholie. © zero one Film

Er hat Bachs Partiten und die "Goldberg-Variationen" aufgenommen, aber auch Frederic Rzewskis unverschämt schwierige Variationen über den linken Protestsong "The People United Will Never Be Defeated!". Aber das Zentrum von Igor Levits Beschäftigung mit Klaviermusik bildeten zuletzt Beethovens 32 Sonaten.

Man spürt, was Beethoven Klavier und Interpreten abverlangt

In Regina Schillings Dokumentarfilm "Igor Levit - No Fear" bekommt der Zuschauer eine Ahnung davon, wie sich bei Beethoven die Persönlichkeit des Interpreten in der Musik spiegelt. Der Film nimmt sich die Zeit, den Pianisten neun Minuten lang dabei zu beobachten, wie er das Finale der Waldstein-Sonate spielt: in einer Verbindung aus nervöser Ruhe und kraftvoll-vehementer Virtuosität, bei der ihm die Schweißperlen nur so vom Kopf fliegen.

Man spürt, was Beethoven dem Klavier und dem Interpreten abverlangt. Unmittelbar davor läuft - wenn nicht alles täuscht - Robert Habeck durchs Bild: Denn Levit ist nicht nur ein Musiker, sondern auch ein politischer Mensch. Er ist Mitglied der Grünen, ohne dass der Film dies besonders betonen würde.

Igor Levit und der Tonmeister Andreas Neubronner.
Igor Levit und der Tonmeister Andreas Neubronner. © zero one Film

In der halben Stunde vor dem Finale aus op. 53 hat der Zuschauer den Pianisten soweit kennengelernt, dass eine Verbindung zwischen der die Gegensätze betonenden Interpretation und Levits Persönlichkeit zumindest naheliegen. Am Beginn beobachtet er besorgt den Transport eines Flügels über eine enge Treppe in sein Arbeitszimmer. Der Pianist macht gleich ein paar Fotos für Social Media und ist auch sonst öfter auf der Suche nach einer Lademöglichkeit für sein Mobiltelefon. Später sieht man ihn mit maßvollem Lampenfieber im Amsterdamer Concertgebouw, das Solisten einen ganz besonderen Auftritt bietet: Er schreitet über einen roten Teppich über eine Treppe durch das Publikum zum Klavier.

Igor Levit spielt im Dannenröder Forst
Igor Levit spielt im Dannenröder Forst © zero one Film

Von Skrupeln die Rede: eine Ehrlichkeit, die ehrt

Natürlich endet das Konzert mit Ovationen. Aber es ist die Stärke dieses Films, dass er sich nicht in der Lobrede und der Dokumentation künstlerischer Triumphe erschöpft. Nach einer anstrengenden Aufnahmesitzung für Robert Stevensons "Passacaglia on DSCH" liegt er so lange flach auf dem Fußboden, dass man sich als Zuschauer ernsthaft Sorgen macht.

Mit dem Dirigenten Franz Welser-Möst redet Levit über künstlerische und seelische Krisen, einmal sitzt der Pianist, von Melancholie überwältigt in einem Taxi, während er stockend davon erzählt, dass er im nächsten Jahr an jedem dritten Tag ein Konzert geben wolle. Und auch sonst ist immer wieder von Skrupeln die Rede: eine Ehrlichkeit, die ehrt.

Privates bleibt allerdings privat - und das ist eine Stärke des Films

Denn erst Krisen schaffen eine starke Persönlichkeit. Levit scheint auch das, wenn man seine Grenzen und Extreme auslotende Interpretation des Finales der Waldstein-Sonate zum Exempel nimmt, immer wieder künstlerisch zu verarbeiten. Auch seine breiten Interessen für Literatur und Musik jenseits der Klassik stabilisieren ihn. Darüber hinaus - ein Gespräch mit Wolfgang Schäuble deutet das an - scheint Levit paradoxerweise auch aus hässlichen Diskriminierungserfahrungen, die er als Jude erlebt, widerständige Kraft zu schöpfen. Als er einmal in einem Kleidergeschäft blöd angemacht wurde, war er erst wütend. Aber er fraß den Ärger nicht in sich hinein und ging danach ins Fitnessstudio. Und tatsächlich ist Levit in einem älteren Filmausschnitt aus den Nullerjahren kaum wiederzuerkennen.

Irgendwann streift die Kamera einige Flaschen eines mexikanischen Biers: Die Pandemie beendet Levits Auftritte. Doch dann hat der Pianist die Idee, mit dem Smartphone wöchentliche Hauskonzerte auf Twitter und Instagram zu übertragen, die ein riesiger Erfolg werden. Nie habe er sich künstlerisch so frei gefühlt, sagt er nach dem 52. und letzten dieser Konzerte.

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Der Film kommt dem Pianisten und seiner Arbeit mit dem kongenialen Tonmeister Andreas Neubronner sehr nahe. Zweimal wird der 1987 in Nischni Nowgorod Geborene nach seinen Erinnerungen an Russland gefragt. Levit behauptet, sich an nichts zu erinnern: Sein Leben beginnt für ihn erst 1995 beim Betreten deutschen Bodens am Düsseldorfer Flughafen.

Privates bleibt allerdings privat, und das ist eine Stärke des Films. Levits Tweets und Instagram-Postings gliedern den Film. Es wird nicht verschwiegen, dass im Hintergrund eine Managerin und eine PR-Beraterin die Marke Igor Levit schärfen. Aber deutlich wird auch: Wenn der Pianist etwas postet, dann macht er das selbst.

Das bei Musikfilmen oft so nervige Kulturgeschwätz und die byzantinische Lobhudelei im Angesicht berühmter Künstler hört man nur einmal, wenn Leute aus der Branche dem Pianisten nach seinem Auftritt in der Elbphilharmonie huldigen. Das ist dann fast peinlich angesichts der Arbeitsatmosphäre dieses Films. Die Nüchternheit ist einer der entschiedenen Vorzüge dieses gelungenen Films, der mit Levits Auftritt vor Umweltaktivisten im Dannenröder Forst endet.


Kinos: City, Monopol, Studio Isabella. R: Regina Schilling (D, 119 Min.)

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