Kritik

Neuer Bully-Film "Tausend Zeilen": Der Fall des Hochstaplers

In "Tausend Zeilen" inszeniert Regisseur Michael Herbig den "Spiegel"-Skandal als komisch-dramatische Unterhaltung. Die AZ-Kritik.
Dominik Petzold
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Saubere Recherche mit Schweiß und Tränen in Mexiko: Elyas M'Barek als Juan Moreno.
Saubere Recherche mit Schweiß und Tränen in Mexiko: Elyas M'Barek als Juan Moreno. © Warner

Der junge "Spiegel"-Reporter Claas Relotius hat jahrelang Geschichten erfunden, die spektakulärer waren als die wahren Storys seiner Kollegen. Doch am Ende stand eine ironische Pointe: Wie sein Kollege Juan Moreno ihn im Alleingang und gegen große Widerstände beim "Spiegel" als Betrüger enttarnte, das war dann eben auch eine verdammt gute Geschichte. Moreno hat sie in "Tausend Zeilen Lüge" aufgeschrieben – und die Filmrechte schon verkauft, bevor das Buch fertig war.

Claas Relotius: Das vermeintliche Wunderkind

Regisseur Michael Herbig und Drehbuchautor Hermann Florin konnten aus dem Vollen schöpfen: Dieser Claas Relotius hatte die unwahrscheinlichsten Geschichten zusammenfabuliert: etwa wie er den 13-Jährigen traf, der mit einem Graffito den Syrienkrieg ausgelöst haben soll. Oder er gab vor, als einziger Journalist ein Interview mit den weißen Adoptiveltern von Colin Kaepernick bekommen zu haben, dem US-Footballstar, der aus Protest gegen Rassismus bei der Nationalhymne kniete.

Und die Reaktionen der Medienprofis? Beim "Spiegel" wurde niemand argwöhnisch, das vermeintliche Wunderkind Relotius stand mit Anfang dreißig kurz vor dem Aufstieg zum Ressortleiter. Und die Medienbranche warf ihm sagenhafte vierzig Preise hinterher.

Beim "Spiegel" wollte von den Zweifeln niemand etwas wissen

Dann sollte der freie Mitarbeiter Juan Moreno gemeinsam mit dem Starautor an einem Artikel arbeiten: Moreno begleitete einen Flüchtlingstreck, der von Süden in Richtung USA zog. Auf der anderen Seite sollte Relotius über eine Bürgermiliz schreiben: radikale Rechte, die verhindern wollen, dass die Migranten über die Grenze gelangen. Moreno merkte schnell, dass etwas faul war: Denn wie konnte Relotius in wenigen Tagen eine Bürgerwehr infiltrieren? Und würde ein Milizionär wirklich in Anwesenheit eines Reporters auf einen Menschen schießen, wie Relotius es beschrieben hatte? Beim "Spiegel" aber wollte von Morenos belegten Zweifeln niemand etwas wissen, man unterstellte ihm Eifersucht auf den erfolgreichen Kollegen und sonnte sich weiter im Erfolg des Reportagestars.

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Der Film wird konsequent aus der Moreno-Position erzählt

An dieser starken Story haben Drehbuchautor Florin und Regisseur Herbig in ihrem Film fast nichts geändert. Sie erzählen ihn aber konsequent aus der Position von Moreno. Die Hauptfigur heißt hier Juan Romero und wird von Elyas M'Barek als sympathischer Normalo gespielt. Relotius (Jonas Nay) dagegen ist wie im Buch: rätselhaft und nicht recht greifbar.

Natürlich gibt es Zugeständnisse ans Kino: Die Journalisten des "Spiegel" sind überzeichnet, insbesondere der Ressortleiter (Michael Maertens), der schon tagsüber Rotwein trinkt. Die Medienbranche kommt bei Preisverleihungen reichlich glamourös daher. Und dem Reporter wird ein filmtaugliches Privatleben zugedacht: Er vergisst vor lauter Stress schon mal eine seiner vier niedlichen Töchter im Bus und schlittert mit seiner an sich nett-verständnisvollen Frau (Marie Burchard) in eine Ehekrise.

Das Komödienhafte am Stoff arbeitet Michael Herbig mit ein guten Pointen und einem lustigen Österreicher (Michael Ostrowski als Fotograf und Romeros Sidekick) heraus – doch auch nicht allzu sehr.

"Tausend Zeilen": Ein interessanter Genre-Mix

Vielmehr weigert sich Herbig, die Geschichte innerhalb der Konventionen eines Genres zu erzählen. Denn in der Story steckt von allem etwas, aber auch nicht allzu viel: Sie ist ein bisschen dramatisch, da der Reporter Moreno um Job und Karriere kämpft – aber nicht um sein Leben. Wie Moreno detektivartig versucht, Relotius zu enttarnen, entfaltet ganz dezente Krimi-Spannung – doch ist das Ende nun mal bekannt. Und natürlich stecken Komödie und Mediensatire von vornherein in dieser Story, mit all den übertölpelten Preisjurys und Spitzenjournalisten: Doch die verhielten sich, bei allem Pfusch, nicht annährend so narrenhaft wie die Beteiligten des "Stern"-Skandals um die Hitler-Tagebücher Anfang der 80er-Jahre , der die Steilvorlage für Helmut Dietls Mediensatire "Schtonk" lieferte.

Und so hatte Herbig wohl den richtigen Riecher, die Geschichte nicht in eine dieser Richtungen zu überspitzen, sondern sie zwischen den Genregrenzen hindurch zu schlängeln. So bietet der Film zwar weder Spannung, Komik noch satirische Schärfe im Übermaß. Aber er hat von all dem etwas, und das versteht Herbig gut auszubalancieren. Er übersetzt die "Tausend Zeilen" in 90 Minuten gute Unterhaltung.

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Immer wieder wenden sich die Figuren direkt an den Zuschauer

Dazu kommt ein bisschen Unterricht in Medienbildung: Immer wieder durchbricht Herbig die Illusionsbene. Dann frieren die Bilder ein, die Filmfiguren wenden sich an die Zuschauer und erklären ihnen die komplexeren Momente der Handlung. Denn die ist nicht selbsterklärend. Nach Michael Herbigs eigenen Marktforschungen haben 70 Prozent der Deutschen vom Fall Relotius noch nie gehört. Wer von ihnen in diesen Film gehen sollten, ist danach gut im Bilde.


Kino: Arri, Cinemaxx, Sendlinger Tor, Gloria, Solln, Leopold, Mathäser, Rio | R: Michael Herbig (D, 93 Min.)

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