Fantasy Filmfest: Das Spiel mit der Angst
Fehlendes Fachpersonal, miese Bezahlung, mangelnde Wertschätzung. Der Notstand in der Altenpflege ist ein Dauerthema. Zu kurz kommt in der öffentlichen Diskussion aber die oft desolate Lage der vier Millionen Pflegebedürftigen. Konsequent zettelt der Münchner Regisseur Andy Fetscher in seinem Horrorfilm "Old People" (Do., 20.15 Uhr) nun die Rebellion der Alten an - wenn auch mit einem blutigen Augenzwinkern.
Fetschers Arbeit, die in Kooperation mit Netflix entstand, steht in der Tradition von Schockern wie "Das Kettensägenmassaker", die ein gesellschaftlich-politisches Spannungsfeld zum Anlass nehmen, um die ganze Wut, den ganzen Frust filmisch radikal zu kanalisieren. Damit passt "Old People" auch bestens ins Programm des Fantasy Filmfests, das Werken abseits des Mainstreams mit Themen, die wehtun und das Publikum so richtig durchschütteln, eine Plattform geben will. Das Festival findet von Mittwoch bis 14. September im City-Kino statt.
Durchschütteln und wachrütteln
Durchschütteln, oder besser wachrütteln möchte man die weiblichen Hauptfiguren im auch auf dem Filmfestival in Venedig laufenden Eröffnungsfilm "Don't Worry Darling" (Mittwoch, 19.45 Uhr). Wie Zombies spulen sie hier in einer US-Firmengemeinde ihre 50er-Jahre-Hausfrauen-Rolle ab, Partys und Luxus inklusive.
Nur Alice (Florence Pugh) will sich, als wäre sie Jim Carrey in der "Truman Show", bald nicht mehr fügen, misstraut dem narzisstischen Kontrolleur (Chris Pine) und bekommt deswegen auch Ärger mit ihrem Mann Jack (Harry Styles). Das Gefühl, nicht ernstgenommen zu werden, anders zu sein als die anderen, zieht sich durch viele der in diesem Jahr - auch Corona-bedingt - nur 35 Festival-Filme.
Ein kühler und kühner, an Michael Haneke erinnernder Kommentar zum allgegenwärtigen "Body Shaming" ist der österreichische Beitrag "Family Dinner" (Fr, 13.30 Uhr), in der sich die verunsicherte, übergewichtige Simi (Nina Katlein) von ihrer Tante, der nahmhaften Ernährungsexpertin Claudia (genial fies: Pia Hierzegger) Abnehmtipps erhofft, aber in den Strudel einer dysfunktionalen Familie gerät.
Fehl am Platz fühlt sich in "Watcher" (Di, 20 Uhr) auch die nervlich angegriffene Ex-Schauspielerin Julia (Maika Monroe). Nur auf Drängen ihres Workaholic-Mannes Francis (Carl Glusman) ist sie nach Bukarest mitgekommen und glaubt im unheimlichen Nachbarn gegenüber gleich einen gefährlichen Stalker entdeckt zu haben.
"Speak No Evil": Elegant inszenierter Paranoia-Thriller
Der von Chloe Okuno elegant inszenierte Paranoia-Thriller sorgte wie auch der herausragende dänische Beitrag "Speak No Evil" (Sa, 19.30 Uhr) bereits auf dem Filmfest München für Schockwellen. Wie viele andere Filme schleicht sich auch Christian Tafdrups Psychodrama, das zwei bürgerliche Familien, die sich aus dem Urlaub kennen, gegeneinander ausspielt, langsam an den Zuschauer heran, um im Schlussakkord noch einmal an der Spannungsschraube zu drehen.
Hervorzuheben wäre in diesem Kontext auch der stimmungsvoll morbide niederländische Beitrag "Moloch" (heute, 22.15 Uhr), der aus der Perspektive einer alleinerziehenden Komponistin (Sallie Harmsen) die Auswirkungen eines jahrhundertealten Fluchs auf eine nebelverhangene ländliche Gemeinde aufdröselt.
Der Abschlussfilm "Emergency Declaration" (Mi, 20.30 Uhr) greift dann zwei Leitlinien der Festival-Macher um den Mitbegründer Rainer Stefan auf: eine hohe Präsenz des asiatischen Kinos (hier Südkorea) und die Lust am Spiel mit klassischen Ängsten.
Die Flugphobie in "Emergency Declaration" mit einem Terroristen an Bord einer Passagiermaschine verstärkt sich noch durch die Bedrohung mit einem neuartigen Virus. Vielleicht sollte man bei diesem Kinobesuch die Maske doch wieder aufsetzen.
City Kinos, Sonnenstr. 12a, OV oder OmU (ab 18 J.), 11 Euro, Infos & Tickets: fantasyfilmfest.com
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