Filmfestival von Venedig: Gesellschaftliche Härten
Italienischer Faschismus und deutscher Nationalsozialismus sind zweierlei - außer Frage. Aber die Italiener tun sich mit der Aufarbeitung ihrer Vergangenheit besonders schwer, allerdings ohne es zu merken, weil alles verharmlost wird, so als ob man nur in einer peinlichen Operette gewesen wäre.
Genau 100 Jahre nach Mussolinis Putsch mit seinem "Marsch auf Rom" und jetzt im Schlusswahlkampf zerlegt sich zwar gerade das rechte Bündnis über die Frage des Umgangs mit Russland, aber hat immer noch gute Umfragewerte. Und die Führerin des Rechtsbündnisses, Giorgia Meloni von den Fratelli d'Italia, belässt im offiziellen Parteiabzeichen die Trikolore-Flamme über schwarzem Balken - Symbol für das ewige nationale Feuer über dem Sarg Mussolinis. Das ist noch recht offensichtlich.
Wie unachtsam man allgemein mit der Vergangenheit hier oft umgeht
Aber wie unachtsam man allgemein mit der Vergangenheit hier oft umgeht, kann man bei der täglichen Festival-Sonderbeilage der "Elle" Italia sehen. Sie feiert den 90. Geburtstag der Mostra Internationale d'Arte Cinematografica mit Kolumnen. Und wie sind die ersten zehn Jahre, 1932 bis 1942, überschrieben? "I primi magici anni" - die ersten magischen Jahre: mitten im Faschismus und am Ende bereits drei Jahre im Weltkrieg.
Im Wettbewerb um den Goldenen Löwen hat nun ein Lieblingsregisseur der Italiener, Gianni Amelio, ein anderes düsteres Kapitel der Geschichte aufgeschlagen. Aber wie oft bei italienischen Filmen mit einer Bilderschönheit und unter Vermeidung zu expliziter Grausamkeit.
Dabei geht es um die psychiatrische Behandlung von Homosexuellen mit Elektroschocks und Fixierung, Isolierung und Psychopharmaka: "Il signore delle formiche - Der Herr der Ameisen" erzählt von einem liberalen, linksintellektuellen Lehrer, einem Hobby-Ameisenspezialisten, der für viele Schüler ein Idol ist, in der noch recht rigiden, katholischen Gesellschaft der 60er Jahre. Aber er ist homosexuell, ein volljähriger Schüler, mit dem er ein Verhältnis hatte, wird von seiner eigenen Mutter in die Psychiatrie eingeliefert, und der "Professor" wird wegen "Unzucht" zu neun Jahren Gefängnis verurteilt.
Amelio hat das Publikum klug für sich gewonnen, indem der Professor nicht nur einfach Opfer ist, sondern in seiner Überheblichkeit durchaus auch unsympathische Züge hat, aber wiederum mit dem italienischen Everybody's Darling und sanftgesichtigem Luigi Lo Cascio besetzt ist. Dass am Ende doch fast alle ein Taschentuch brauchen, liegt vor allem an dem zerstörten Jungen (Elio Germano). Als Hoffnung liegt über allem der Kampf der Linken für die Abschaffung des "Unzuchts"-Paragrafen, und auch in der Bundesrepublik war der Durchbruch gegen den § 175 ja erst 1969 im ersten und 1994 im zweiten Schritt gelungen.
Die Briten sind gewohnt erbarmungsloser
Gewohnt erbarmungsloser sind die Briten in der Darstellung von gesellschaftlicher Härte, auch wenn es in "The Banshees of Inisherin" des jungen irisch-stämmigen Londoners Martin McDonagh durchaus auch eine sanfte Ironie gibt. Es geht um zwei Freunde - Colin Farrell als gutmütiger, etwas einfältiger Kleinbauer und Brandan Gleeson als Dorfschenkenmusiker, die seit Jahren täglich um zwei Uhr nachmittags gemeinsam ins Pub gehen. Bis der Musiker meint, seine Lebenszeit mit wortkargem Rumquatschen zu verbringen und die Freundschaft aufkündigt.
Das eskaliert, bis der Esel des einen tot und die Hütte das anderen abgebrannt ist, der als masochistisches Fanal gegen den anderen sich nacheinander noch alle Finger abhackt. Es ist das Porträt einer rückständigen, intimen Insel-Gesellschaft, die sich durch Tradition, Religion und Gewohnheiten so eingespielt hat, dass sie einigermaßen stabil funktioniert. Bis eine Abweichung das labile Gleichgewicht durcheinanderbringt und in einer Art negativem Katalysator-Effekt Gewalt ausbricht: skurril, makaber, fesselnd - viel Applaus.
Was man von dem weiteren britischen Beitrag, "The Eternal Daughter", nicht sagen kann. Hier spielt Tilda Swinton Mutter und Tochter in einer Doppelrolle. Eine Tochter bemüht sich, der Mutter alles möglichst angenehm zu machen, als sie für eine Art Vergangenheitsrecherche an einen ihrer Kindheitsorte zurückkehren. Aber der Film scheitert auf ganzer Linie, weil niemals klar ist, woher die seelisch ungesunde Verkettung von Mutter und Tochter stammt oder warum der Film ständig mit Horrorfilmelementen spielt. Und das obskure Ende kapiert man ohnehin nicht. So ist der Film von Joanna Hogg einzig eingeladen, um nach der bisher großen Star-Dichte auf dem Roten Teppich nicht nachzulassen. Aber ist das Grund genug, um einen Film auf einem der drei größten und wichtigsten Filmfestivals der Welt zu zeigen?
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