"Avatar: The Way of Water": Ungezügelter Eskapismus
Vor fast 30 Jahren hat Willy im Kino die Physik außer Kraft gesetzt und sich scheinbar schwerelos aus dem Wasser gewuchtet. Der Sprung des vier Tonnen schweren Schwertwals über seinen jungen Beschützer hinweg, hinein ins offene Meer, in die Freiheit, war auch ein stummer Aufschrei gegen die jahrelange Gefangenschaft, gegen das Domestizieren eines Wildtiers.
Auch in "Avatar: The Way of Water" hebelt ein Ozeanriese die Schwerkraft aus, zitiert sein Schöpfer James Cameron den berühmten Willy-Filmmoment, um doch brutaler und mit ganz anderen Dringlichkeit von den Bedrohungen unserer Flora und Fauna zu erzählen.
"Avatar: The Way of Water": Ozeanriese erinnert an Willy
Camerons Willy im Geiste, ein Tulkun, erinnert vom Aussehen an einen leicht deformierten Walhai und stammt doch komplett aus dem Computer. Emotional aber kommt diese fiktive, vom Menschen gejagte Spezies seinem Publikum ähnlich nah wie einst der Orca Willy. Und das liegt auch daran, was in "Avatar: The Way of Water" auf dem Spiel steht.
Vor 13 Jahren entführte Cameron uns in "Avatar" auf einen fremden Planeten namens Pandora. Gewöhnen musste man sich in bestechendem 3D an die dort im Einklang mit der Natur lebenden Na'vi: Indigene mit bläulicher Haut und spitzen Ohren, die den Kampf aufnehmen müssen mit den Eindringlingen, den Menschen.
Nun also geht die Schlacht in die nächste Runde, mit einer noch mal weiterentwickelten, überwältigenden Videospiel-Ästhetik, aber auch neuen Ideen.
James Cameron kennt keine Selbstzweifel
Die Frage, ob sich nach all den ermüdenden Comic-Blockbustern und dem Gespenst Corona das Publikum zur Hoffnung aller Kinobetreiber aber auch zurücksehnt nach Pandora, stellt sich für Cameron nicht, er kennt keinen Selbstzweifel.
Noch immer kann sich der Macher von Blockbuster wie "Terminator" oder "Titanic" auf seinen Instinkt verlassen, im richtigen Zeitpunkt auf die wichtigen Themen zu setzen, ohne sein Publikum dabei aus den Augen zu verlieren.
"Avatar: The Way of Water" dauert drei Stunden
Drei Stunden dauert sein 350 Millionen-Dollar-Epos und ist doch keine Minute zu lang. Klug unterteilt Cameron seinen Öko-Blockbuster in drei Abschnitte. Im ersten weidet er sich noch einmal an der Schönheit der Dschungelkulisse, den dampfenden Wäldern, der erdähnlichen, aber doch in Details verschiedenen Tier- und Pflanzenwelt von Pandora.
Im Zeitraffer stellt der Film uns dann seine alten und neuen Protagonisten vor, Jake Sully (Sam Worthington), der Ex-Marine, der im ersten Teil seinen menschlichen Körper verlassen hat, um als Avatar, als Na'vi, an der Seite seiner großen Liebe Neytiri (Zoe Saldana) weiterzuleben.
Fünf Kinder haben die Halb-Mensch-halb-Na'vis großgezogen, der Älteste, Neteyam (Jamie Flatters), tritt souverän in die Fußstapfen des autoritären Vaters.
Erde scheint kaum mehr bewohnbar zu sein
Dahingegen fühlt sich der jüngere Sohn Lo'ak (Britain Dalton) stets zurückgesetzt, als Loser abgestempelt. Und während der Jüngsten, Tuk (Trinity Jo-Li Bliss), nur die Rolle der staunenden Mitläuferin bleibt, erweitert der Film das Patchwork-Glück noch um zwei spannende Adoptivkinder: die spirituelle Außenseiterin Kiri (eine digital verjüngte Sigourney Weaver) und der an Mowgli erinnernde Menschenjunge Spider (Jack Champion).

Ihren archetypischen Charakteren widmet der Film viel Zeit, auch um die Kontraste zur anonymen Befehlsbrutalität der Menschen hervorzuheben. Die kommen nach ihrer Vertreibung nämlich mit aller Macht und schwerer Ausrüstung auf Pandora zurück, um sich den Planeten anzueignen – die Erde scheint kaum mehr bewohnbar zu sein.
Kate Winslet als taffe Skeptikerin Ronal
Cameron zitiert, diesmal jedoch kritisch, sein eigenes Werk, wenn er den Militarismus und die Technikfixiertheit der Eroberer aus dem Weltraum kennzeichnet. Im zweiten Teil dann schwenkt der Film Richtung Migration, wenn Scully mit seiner Familie aus Angst vor seinem alten Widersacher, dem nun im Körper eines Na'vi lebenden Quaritch (Stephen Lang), das Weite sucht und Zuflucht bei einem am Wasser lebenden Clan (darunter auch Kate Winslet als taffe Skeptikerin Ronal) findet.
Stimmig kontrastiert Cameron dabei die von Ressentiments, aber auch von Demut und Respekt geprägte Annäherung der Kulturen, während Quaritch und sein Macho-Gefolge sich die Geschöpfe dieser Welt mit Gewalt untertan machen wollen.
Menschen und Na'vi schlagen sich die Köpfe ein
Im dritten Teil ist Cameron, der Meister des Actionkinos, wieder in seinem Element, wenn die Schlacht unausweichlich wird, Menschen und Na'vi sich die Köpfe einschlagen. Immer wieder berührt der Film bei allem Bombast, bei allen Schauwerten brennende Themen wie die brutale Vertreibung indigener Völker oder auch die Hässlichkeit des industriellen Walfangs.
In vielen Szenen meint man auch die verzweifelte Wut des ökologisch bedachten Regisseurs auf die Folgen des achtlosen Umgangs mit unserer Natur zu spüren. Diese überlebensgroße Dringlichkeit ist es auch, die "Avatar: The Way of Water", der erst der Auftakt für weitere Filme sein soll, noch packender macht als seinen Vorgänger.
Erfreulicherweise versinkt die filmische Anklage jedoch nie in stumpfe Hoffnungslosigkeit oder nervige Larmoyanz, bleibt die "Festung Familie" hier bei allen Auseinandersetzungen ein pulsierendes, warmes Zentrum, das den Film zu einem generationenübergreifenden Ereignis macht, das mal wieder Rekorde brechen dürfte.
Kino: Arri, Astor, Cadillac, Cinema (OV), Cincinnati, Cinemaxx, Gloria, Leopold, Mathäser, Museum Lichtspiele (OV), Neues Rex, Royal R: James Cameron (USA, 192 Min.)
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