"Der Untergang des Römischen Reiches": Die Verpöbelung eines Weltreichs?

Das Landesmuseum in Trier zeigt die Ausstellung "Der Untergang des Römischen Reiches".
Josef Tutsch |
X
Sie haben den Artikel der Merkliste hinzugefügt.
zur Merkliste
Merken
0  Kommentare
lädt ... nicht eingeloggt
Teilen  AZ bei Google News
Die Plünderung Roms in einer Darstellung aus dem 19. Jahrhundert.
Die Plünderung Roms in einer Darstellung aus dem 19. Jahrhundert. © Stadtmuseum Simeonstift Trier

Eine blühende Hochkultur wurde von beutegierigen Barbaren zerstört. Oder sollte man Perspektive und Wertung besser umkehren: Kraftvolle Naturmenschen verdrängten eine dekadente, nicht mehr lebensfähige Zivilisation? Seit dem 18. Jahrhundert wurde auch immer wieder die Auffassung vertreten, der Sieg des Christentums hätte die jungen Römer vom Soldatendienst abgehalten – mit der Folge, dass Rom gegen die Germanen wehrlos wurde.

1984 listete der Historiker Alexander Demandt nicht weniger als 227 verschiedene Theorien über den Untergang des Römischen Reiches auf. Viele dieser Erklärungsversuche, vermerkt der Wiener Mediävist Walter Pohl, würden heute nur noch Kopfschütteln auslösen – etwa die "Verpöbelung" der römischen Gesellschaft. Oder das angebliche Überhandnehmen sexueller "Perversionen". Oder gar die "Rassenentartung" der mediterranen Völker, die sie jeder Widerstandskraft gegen die kraftstrotzenden "Barbaren" beraubt hätte.

Umfassendes Bild der Epoche

Aber auch viele Erklärungen, in denen ein wahrer Kern enthalten sein könnte, wurden oft sehr "einseitig" formuliert, "nur langsam hat man gelernt, sie zu kombinieren". Die aktuelle Ausstellung, die drei Museen in Trier bis zum November gemeinsam über den "Untergang des Römischen Reiches" zeigen, versucht sich nun an einem umfassenden Bild dieser Epoche im 4. und 5. Jahrhundert.

Während das Rheinische Landesmuseum Trier den "Untergang" thematisiert, der von der Spätantike zum "dunklen" Frühmittelalter führte, zeigt das bischöfliche Museum am Dom, wie die christliche Kirche das Machtvakuum füllte, das durch die Auflösung der Verwaltungsstrukturen entstanden war, und wie sie vieles vom antiken Erbe für das Abendland bewahrte. Das Stadtmuseum Simeonstift widmet sich dem Fortleben der Idee "Rom": Je nach Standpunkt des Interpreten wurde der Untergang des Reiches mal als schlimmstes Unglück in der Geschichte der Menschheit, mal als Triumph der Freiheit über das tyrannische Imperium aufgefasst.

Dass Trier für eine solche Ausstellung prädestiniert ist, versteht sich von selbst: Fast ein Jahrhundert lang, von 293 bis 392, war "Treveris" eine der Residenzen des Reiches, von hier aus versuchten die Kaiser, die Angriffe germanischer Stämme zurückzuschlagen. Und wahrscheinlich schon um die Mitte des 3. Jahrhunderts, noch in der Zeit der Christenverfolgungen, war Trier Sitz eines Bischofs – der älteste in Deutschland.

Hunderte von Porträtköpfen und Statuen, Relief- und Mosaikfragmenten, Münzen und Schmuckstücken, Waffen, Gefäßen und Dokumenten erzählen die Geschichte eines Epochenwandels, den bereits viele Zeitgenossen als Katastrophe wahrnahmen.

Dabei stand der Militärputsch 476, den unsere Schulbücher als Ende des Reiches und damit der gesamten griechisch-römischen Antike verzeichnen, viel weniger im Zentrum der Aufmerksamkeit als vor allem die Plünderung Roms durch die Westgoten im Jahr 410. Der Tübinger Mediävist Steffen Patzold berichtet im Katalog von den christlichen Theologen wie zum Beispiel Augustinus, die viel Argumentationskunst und Rhetorik aufboten, um ihren Zuhörern und Lesern den Fall der ewigen Stadt als Ausdruck göttlichen Willens einsichtig zu machen.

Chronologisch am Anfang der Ausstellung steht, wenngleich nur als Kopie, die berühmte Tetrarchengruppe vom Dogenpalast in Venedig: vier römische Kaiser, die am Ende des 3. Jahrhunderts das Reich gemeinsam regierten. Die Geste der gegenseitigen Umarmung sollte die brüderliche Eintracht ausdrücken – 285 hatte Kaiser Diokletian das Konzept entwickelt, die militärische Widerstandsfähigkeit des Reiches durch eine Regionalisierung zu stärken, mit eigenen Kaisern oder Unterkaisern für die einzelnen Regionen. Sie sollten, schreibt der Kölner Historiker Werner Eck, "vor allem an den militärischen Brennpunkten persönlich die Überlegenheit der römischen Macht demonstrieren".

Die Thronfolge war nicht geregelt

Ein Reformversuch, der ein Grundproblem römischer Herrschaft jedoch nicht zu lösen vermochte: Die Thronfolge war nicht geregelt, immer wieder riefen Truppenteile ihre Anführer zum Kaiser aus, die der Senat zähneknirschend akzeptieren musste. Der eine oder andere dieser Militärs, die nach der Macht griffen, konnte sich behaupten, tat sich dann auch durch eine erfolgreiche Herrschaft hervor. Der Direktor des Rheinischen Landesmuseums, Marcus Reuter, nennt als Beispiel Valentinian I., der von 367 an acht Jahre lang in Trier residierte. Die vergoldete Bronzebüste seines Sohnes, Valentinian II., die aus Budapest gekommen ist, bildet eines der Prunkstücke der Ausstellung.

Oft gab es aber mehrere Thronprätendenten, die einander in Bürgerkriegen bekämpften. Reuter: "Die Zahl der innerrömischen Konflikte nahm beängstigende Ausmaße an und führte zu einer gewaltigen Vernichtung der eigenen Ressourcen." Es war eine kriegerische Zeit, außen- wie innenpolitisch. Aus dem Museum von Novi Sad in Serbien ist ein vergoldeter Paradehelm nach Trier gekommen. Spätestens seit Kaiser Konstantin eröffnete das Militär aber auch den Angehörigen "barbarischer" Völker Aufstiegsmöglichkeiten bis in die Eliten des Reiches. Die Kölner Archäologin Clarissa Agricola schätzt, dass in den 360er Jahren bereits die Hälfte der höheren Offiziersstellen durch Germanen besetzt waren.

Doch die innen- und außenpolitischen Krisen ließen die Steuereinnahmen wegbrechen. Das Militär konnte kaum noch finanziert werden, mit der Folge, dass erstens die äußeren Grenzen von Schutz entblößt waren und zweitens die unzufriedenen Soldaten erst recht zu Aufständen neigten. Da war der Germanenführer Odoaker, der 476 den letzten römischen Kaiser Romulus, genannt "Augustulus", "Kaiserlein", in den Ruhestand schickte, nur einer von vielen. Als König unternahm er keinerlei Anstrengungen, die hergebrachte Reichsverwaltung zu ändern, ebenso wenig wie der Ostgotenkönig Theoderich, der ihn 493 entmachtete, betont der Mainzer Historiker Andreas Goltz.

In Konstantinopel, berichtet der Jenaer Altertumswissenschaftler Timo Stickler, wurde auch die Auffassung vertreten, durch die Vakanz des weströmischen Throns sei der oströmische Kaiser Zeno nun Herrscher des Gesamtreiches. Mitte des 6. Jahrhunderts unternahm Kaiser Justinian große militärische Anstrengungen, Italien, Afrika und Spanien zurückzuerobern. So steht am Ende der Ausstellung denn auch ein Mosaik aus Ravenna mit dem Kopf Justinians.

"Auseinanderklaffende soziale Schere"

Man könnte sogar sagen, dass die Ausstellung mit Justinian den Schlusspunkt um ein Jahrhundert zu früh ansetzt. 663 brach mit Konstans II. nochmals ein oströmischer Kaiser nach Italien auf, um in Rom seinen Anspruch zu bekräftigen. Realpolitisch betrachtet, hatte inzwischen die Eroberung Syriens, Ägyptens und Nordafrikas durch die Muslime seit den 630er Jahren alle römischen oder oströmischen Weltmachtträume zunichte gemacht.

"Ein Riesenreich wie das römische stirbt nicht an einem Tag", stellt der Konstanzer Historiker Alexander Bätz nüchtern fest. Wenn man schon ein ausschlaggebendes Datum nennen will, dann statt 476 etwa die Schlacht von Adrianopel, heute Edirne, im Jahr 378. Gotische Stämme brachten dem römischen Heer eine katastrophale Niederlage bei. Fortan konnte sich Rom gegen das Begehren der "Barbaren", sich auf dem Gebiet des Reiches anzusiedeln, nicht mehr sperren. Die Ankömmlinge verpflichteten sich zwar, dem Reich Soldaten zu stellen, schufen unter der bloß noch formellen Oberhoheit des Kaisers jedoch neue Staaten, die nach eigenen Gesetzen regiert wurden.

"Völkerwanderung" hat sich seit dem späten 18. Jahrhundert als Begriff für diesen Vorgang eingebürgert. Der Tübinger Historiker Mischa Meier erklärt ihn für problematisch: Von "Völkern" im modernen Sinn könne bei diesen Flüchtlingsgruppen und Kriegerverbänden nicht die Rede sein. Und was die "Wanderung" betrifft: Die römische Armee hatte sich bereits Jahrhunderte zuvor durch einen beständigen Zustrom von Menschen aus dem "Barbaricum" rekrutiert. Was sich in der "Völkerwanderung" änderte, so Meier, sei lediglich die Massivität und Intensität gewesen sowie die Verquickung mit innerrömischen Problemen.

Was die Schriftkultur angeht, hat der Frankfurter Archäologe Markus Scholz eine "auseinanderklaffende soziale Schere" festgestellt: Lese- und Schreibfähigkeit wurde für Jahrhunderte zum Monopol vor allem der Kleriker. Einen Aspekt des Kulturwandels meint der Besucher der Ausstellung sogar unmittelbar feststellen zu können: Aus der Menge von Objekten stechen nur wenige Stücke hervor, die wir heute als Kunstwerke bezeichnen würden. Der Eindruck, dass in der römischen Spätantike das Bedürfnis, sich künstlerisch auszudrücken, drastisch zurückging, ist schwer von der Hand zu weisen.

Lesen Sie auch

Lesen Sie auch

Das mag mit dem ökonomischen Schrumpfungsprozess in dieser Epoche zu tun haben. Vielleicht steht aber auch ein Wandel des Welt- und Menschenbildes dahinter, eine Abkehr von der Sinnlichkeit. Edward Gibbon, der britische Historiker des 18. Jahrhunderts, berichtet der Innsbrucker Altertumswissenschaftler Roland Steinacher, machte die Wendung zum Christentum dafür verantwortlich: Die Kleriker hätten durch Zensur und mangelnde Bildung den Reichtum der griechischen und lateinischen Kultur ruiniert.

Sicher ist, dass die weltanschaulichen Kämpfe damals mit großer Rabiatheit ausgetragen wurden. Das Archäologische Nationalmuseum in Athen hat einen Aphroditekopf nach Trier ausgeliehen. Auf die Stirn ist ein Kreuz eingraviert, um die Dämonin zu bannen. Die Christianisierung des Römischen Reiches brachte eben nicht nur einen Fortschritt in Humanität, indem etwa die blutigen Gladiatorenspiele zum Erliegen kamen, sondern war auch ein Zerstörungswerk – Zerstörung im Geiste einer neuen Frömmigkeit.

Der Ausstellungsteil im Dommuseum zeigt jedoch, dass die Gegenrechnung ebenso gilt: Ohne die fleißige Abschreibetätigkeit christlicher Mönche wäre uns von der "klassischen" Literatur der Antike kaum etwas erhalten geblieben. Kleidungsreste aus Seide und Purpur, teilweise golddurchwirkt, die im frühchristlichen Gräberfeld um die Abtei St. Maximin in Trier gefunden wurden, bezeugen, dass auch der Sinn für das Schöne, für eine kultivierte Lebensform, in dieser Zeit keineswegs erloschen war. Eines der Exponate ist beinahe an seinem Ursprungsort zu sehen, nur um wenige Meter versetzt: Der Trierer Dom war in der Antike mit einem Marmorfußboden geschmückt.

Die Ausstellung "Der Untergang des Römischen Reiches" ist bis 27. November im Rheinischen Landesmuseum Trier zu sehen. Ein Katalog erschien im Theiss Verlag (465 Seiten, 40 Euro)

Lädt
Anmelden oder registrieren

Zum Login
Zu meinen Themen hinzufügen

Hinzufügen
Sie haben bereits von 15 Themen gewählt

Bearbeiten
Sie verfolgen dieses Thema bereits

Entfernen
Um "Meine AZ" nutzen zu können, müssen Sie der Datenspeicherung zustimmen.

Zustimmen
 
0 Kommentare
Bitte beachten Sie, dass die Kommentarfunktion unserer Artikel nur 72 Stunden nach Veröffentlichung zur Verfügung steht.
Noch keine Kommentare vorhanden.
merken
Nicht mehr merken
X

Sie haben den Inhalt der Merkliste hinzugefügt.