"Was sind westliche Werte?"
Es ist die Geschichte einer Brautentführung und ein bürgerliches Trauerspiel um den Konflikt zwischen der Willkür des Adels und der Moral des Bürgertums. Am Ende stirbt die Heldin mit den Worten: "Eine Rose gebrochen, ehe der Sturm sie entblättert." Das inspirierte die aus Litauen stammende und in Berlin lebende Dramatikerin Arna Aley zu ihrem neuesten Stück "Unsterblichkeit oder Die letzten sieben Worte Emilia Galottis". Die Welt des Gotthold Ephraim Lessing trifft bei ihr auf die eines ganz gegenwärtigen Spross der Wittelsbacher. Im Münchner Volkstheater wird das Werk heute uraufgeführt und Hausregisseur Philipp Arnold inszeniert.
AZ: Herr Arnold, die Autorin hat schon einmal bei "Fabian oder Der Gang vor die Hunde" mit Ihnen gearbeitet und war eine der osteuropäischen Autorinnen und Autoren, die zusätzliche Texte lieferten. Wie kam es nun zum weiteren Auftrag?
Philipp Arnold: Das hatte wirklich mit "Fabian" zu tun. Ich fand damals ihren Text ganz toll. Es hatte viel Spaß gemacht, mit dem Text und auch mit Arna Aley zu arbeiten. Ihre Sprache ist sehr rhythmisch und sie hat ein Talent, die Realität abzubilden. Deshalb habe ich sie gefragt, ob sie etwas für uns schreiben will. Sie sagte zu und wir haben uns auf eine Vorlage geeinigt.
Wessen Idee war "Emilia Galotti" - Ihre, die der Autorin oder der Dramaturgie?
Das war eine Zusammenarbeit. Wir fanden, dass es für Arna produktiv ist, sich an einer Vorlage abzuarbeiten. Es gab verschiedene Vorschläge und Arna entschied sich für "Emilia Galotti", weil sie darin etwas gefunden hatte, was ihr einen Zugang ermöglichte.
Es war aber keine Stückentwicklung, bei der Autorin bei den Proben dabei ist.
Nein, aber wir waren immer im Austausch. Ich habe ihr Eindrücke von den Proben vermittelt und auch die Fragen des Ensembles. Was sie geschrieben hatte, war sehr umfangreich. Ich habe manches herausgenommen und ihr zur Durchsicht gegeben. Es war ein Hin und Her aus der Ferne.
Was sagen uns Emilia Galottis letzte Worte, die, wenn man genau nachzählt, nicht sieben, sondern acht sind?
Ich habe auch gezählt und dann Arna geschrieben, dass es aber acht Worte sind. Aber sie bezieht sich natürlich auf die sieben letzten Worte Jesu Christi. Es war unsere Herangehensweise, wie es auch zur Zeit überall das Bestreben gibt, in Klassikern Frauen zu finden und sie auf die Bühne zu bringen. Oft nimmt man sich diese klassischen Stoffe, die dann aber weit weg sind von dem, was wir unter einer modernen Frau verstehen. Ich habe selbst in der letzten Spielzeit in Bamberg "Maria Stuart" inszeniert und dachte mir, diese Figuren haben so überhaupt keine Spielräume und sind einfach nur Spielbälle. Bei "Emilia Galotti" ist das auch so. Am Ende rettet sie die Ehre des Vaters und es kommt zu diesem Ehrenmord, den sie selbst fordert und den der Vater ausführt. Bei den letzten Worten geht es um die Jungfräulichkeit, und das jungfräuliche Opfer rettet die Ehre des Vaters.
Was bedeutet das für uns?
Es stellt sich auch die Frage, was man einer Autorin geben kann, um eine Korrektur zu schreiben. Und das hat Arna überhaupt nicht gemacht, sondern sie ist ihren eigenen Weg gegangen. Es wurde ein Stück, das sehr politisch und sehr heutig ist. Sie hat sich teilweise reale Ereignisse als Vorbild genommen, teilweise auch nicht. Sie hat die Figuren ins Heute gesetzt und stellt die Frage nach unserer eigenen gesellschaftlichen Ausrichtung. Diese Lessing-Welt ist sehr brüchig geworden. Es gibt keine Wahrheiten mehr, denn jeder hat seine eigene.
Das Wort "Ehrenmord" verbinden wir heute mit archaischen Gesellschaften außerhalb unseres Kulturkreises.
Genau. Und das wird vollkommen nach Deutschland gekehrt. Was Arna Aley geschrieben hat, ist ein Spiegel. Wie sähe das aus, wenn diese Figuren heute leben würden?
Es kommt ein Prinz von und zu Nymphenburg vor, eine Amalia of Saxony oder die Krimtatarin Naila. Was sind das für Leute?
Den Prinzen gibt es sowohl in der Wirklichkeit als auch bei Lessing. Bei ihn gibt es auch eine Prinzessin, die aber nie auftritt, sondern nur erwähnt wird. Arna hat sie trotzdem ins Heute versetzt und sie sucht, da sie bei Lessing nie auftrttt, nach ihrer Identität. Statt der Emilia gibt es eine Nailia, die - nach eigener Aussage - eine Krimtatarin ist. Die stehen für politische Strömungen und den gesellschaftlichen Diskurs.
Lessing brachte die bürgerlichen Werte in Stellung gegen die Macht der Aristokratie, und das 17 Jahre vor der Französischen Revolution. Vor welchem Umbruch stehen wir Ihrer Meinung nach heute?
Das ist genau das, was das Stück untersucht. Was ist die Aufklärung? Was sind die westlichen Werte? Welche Werte vertritt Lessing mit dem bürgerlichen Trauerspiel? All das zieht unser Stück nach Heute. Es geht um das Wegbrechen der Aufklärung, das Wegbrechen der Wahrheiten und das Wegbrechen unseres gesamten Fundaments.
Münchner Volkstheater, Bühne 2, Premiere am 15. November, nächste Vorstellungen 16. November, 19 Uhr, 22. und 23. November, 20 Uhr, Telefon 5234655
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