Residenztheater eröffnet mit "Hamlet": Wenn zuletzt dichte Nebel aufziehen

Das Residenztheater eröffnet den Spielbetrieb wieder mit der Premiere von Shakespeares "Hamlet" in der Regie von Robert Borgmann.
Mathias Hejny |
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Der Elefant im Raum.
Birgit Hupfeld Der Elefant im Raum.

München - Nebel im Staate Dänemark. Nur schemenhaft sind die beiden Wachmänner hinter einem milchig-dunstigen, halbtransparenten Vorhang zu erkennen. 

Ein langer aber klarer "Hamlet"

Auf den Zinnen von Helsingör geht es aber nicht nur wegen des Wetters ungemütlich zu, denn zur Nacht erscheint der Geist ihres kürzlich überraschend verstorbenen Königs. Der Nebel lichtet sich bald und der Blick wird frei auf einen großen, hellen Raum, umgeben von weißen Vorhängen und variabel strukturiert von einem weiteren weißen Vorhang dazwischen.

Es verspricht, ein mit fast vier Stunden zwar langer, aber aufgeräumter und klarer "Hamlet" zu werden. Schon Resi-Intendant Andreas Beck, bejubelt von 200 an Theatermangel leidenden Premierengästen mit negativem Schnelltest auf dem Mobiltelefon, fasste die Tragödie griffig zusammen.

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Es gehe um die Entscheidung zum Handeln und um den Umgang der Menschen untereinander, vor allem aber um das Unterscheiden von Lüge und Wahrheit. Dafür stehe nicht zuletzt das Theater, das, wie Beck nachgerechnet hat, 191 Tage lang nicht spielen durfte und sich damit geraume Zeit nicht an der Wahrheitsfindung beteiligen konnte.

Der Albtraum verwöhnt die Zuschauer mit ganz großer Oper

Bei Shakespeare ist es eine Theatergruppe, mit deren Hilfe Prinz Hamlet den Mord an seinem Vater aufdeckt. Der Täter ist dessen Bruder und Nachfolger sowohl auf dem Thron als auch im Bett der Königsgattin Gertrud (Sibylle Canonica). Regisseur Robert Borgmann, der sein eigener kongenialer Bühnenbildner ist, führt vor, wie tief der Schmerz unter Darstellenden Künstlern in diesen Tagen sitzt.

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Die beiden Schauspieler (Michael Gempart, Arnulf Schumacher) siechen in Krankenhausbetten vor sich hin, am Leben erhalten von Blutkonserven. Erst zu ihrer Vorstellung am Hofe werden sie aktiv und zeigen einen ebenso gewaltig wie gespenstisch inszenierten Albtraum. Der ist zwar ohne Worte und umspült von Klängen des Musikers Rashad Becker, raubt aber Claudius (Christoph Franken) die Fassung und verwöhnt die Zuschauer mit ganz großer Oper.

Grandiose Bilder dieser Qualität prägen vor allem den Teil vor der Pause. Da kommt es zur anrührenden Begegnung Hamlets mit seinem toten Vater (wiederum Michael Gempart) - einem sehr alten Mann, der einen Umzugskarton mit sich trägt und bis auf die weißen Socken splitterfasernackt ist.

Und es gibt den sprichwörtlichen weißen Elefanten, der als riesiges aufblasbares Spielzeug durch die Zuschauerreihen bis in den Rang getragen und geschubst wird. Doch dem geht am Ende der mit spontanem Applaus bedachten Gute-Laune-Szene die Luft aus und bleibt als schlaffes Stück Plastikhülle liegen.

 Der Regisseur traut irgendwann weder sich selbst noch dem Text

Dieses Schicksal erleidet auch Robert Borgmanns Inszenierung. Es gibt weiterhin immer wieder faszinierendes Lichtdesign (Gerrit Jurda) zu bestaunen, aber mit wachsender Fassungslosigkeit muss man auch zusehen, wie wieder dichter Nebel aufzuziehen scheint - der Regisseur traut irgendwann weder sich selbst noch dem Text.

An dem Zerfleddern in Beliebigkeiten sind die Schauspieler nicht schuld. Mit viel Kraft und unbändiger Spiellust zelebrieren sie auch dümmlichste Beliebigkeiten wie dem Hitler-Gruß, in dem Hamlet erstarrt, nach dem er seine Reise nach England angekündigt hat, oder den Vortrag des Texts von "Da-da-da", dem Nonsensschlager aus den 1980er-Jahren.

Polonius hat überraschend komische Auftritte

So ist etwa Linda Blümchen als Ophelia nicht von vornherein eine depressionsumflorte Tragödin, sondern ein fröhliches Kind, das erst plötzlich, aber umso wirkungsvoller einen Riss in ihrer Seele erleidet. Ihr Vater Polonius ist bei Max Mayer ein drahtiges Kerlchen mit überraschend komischen Auftritten.

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Katja Jung durchschleicht als ein Horatio, der aussieht wie Hannah Arendt, wie ein Gestalt gewordenes schlechtes Gewissen das Land. Dazwischen sucht, findet und behauptet Johannes Nussbaum als ein Hamlet mit schmaler, aber beweglicher Körperlichkeit und traumagesteuerter Unerbittlichkeit seinen zunehmend beherrschten Platz.


Residenztheater, wieder am Sonntag, 17 Uhr, 23. Mai, 18 Uhr, 24. Mai, 16 Uhr, Karten unter Telefon 2185 1940

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