Klassiker auf der Bühne: Ein Video mit Kleist
München - Man trifft sich im Rheingau zu feinem Gebäck und Tee. Einer der Gäste ist der junge Schriftsteller Heinrich von Kleist, dem die anwesende Karoline von Günderrode (Linda Blümchen) nicht geheuer ist: "Ein unsichtbarer Kreis ist um sie gezogen, den zu übertreten man sich scheut", findet der von Selbstzweifeln zernagte Dichter. Trotzdem entdecken sie eine Seelenverwandtschaft. Ihre Diskussion dreht sich um Künstlertum, Individualität und die Grenzen der Freiheit, aber auch um die Wirklichkeit von Träumen und das Träumen der Wirklichkeit.
"Kein Ort, nirgends"
Frau von Günderrode verfolgt einen eher pragmatischen Ansatz, Herr von Kleist hingegen ist von einer selbstzerstörerischen Radikalität umgetrieben: "Unlebbares Leben. Kein Ort. Nirgends".
Diese einzige Begegnung zwischen den beiden ist literarische Fiktion, beschrieben von Christa Wolf in ihrem 1979 erschienenen Roman "Kein Ort. Nirgends". Elsa-Sophie Jach, die neue Hausregisseurin des Residenztheaters, nimmt den tiefsinnigen Nachmittag zum Ausgangspunkt ihrer Inszenierung von "Das Käthchen von Heilbronn".
Metaebene mit Videoprojektionen
Aus der Videoprojektion, mit der der Abend beginnt, purzelt Kleist heraus und ist das Käthchen. Dort landet er beziehungsweise sie inmitten des Femegerichts, vor dem sich Graf Ritter vom Strahl (Moritz Treuenfels) zu verantworten hat. Käthchens Vater, der Waffenschmied Theobald Friedemann (Simon Zagermann), klagt ihn an, seine 15-jährige Tochter mit teuflischem Zauber verführt zu haben. Aber er wird freigesprochen. Doch das Mädchen ist nach einer Engelserscheinung unerschütterlich überzeugt, dass der Graf und sie füreinander bestimmt sind.
Vincent zur Linden brilliert
Der Dramatiker und sein somnambules Geschöpf werden bei Vincent zur Linden auf schwer beeindruckende Weise tatsächlich zu einer einzigen Gestalt in all ihrer Widersprüchlichkeit. Ist Kleist tief zerrissen vom Selbstekel, ist Käthchen unbeirrt in ihrer gottgesandten Selbstgewissheit. Der diesjährige Nominierte des Faust-Theaterpreises macht das mit ganz wenig Theater. Selbst Visionen und Wahn haben bei ihm eine große Klarheit.
Weder dieses hochfluide Spiel noch die Verschränkung des romantischen Dramas mit dem Roman aus dem sozialistischen Teil Deutschlands geben aber sachdienliche Hinweise, warum sich Theater 212 Jahre nach der Uraufführung noch immer so hingebungsvoll um die schwäbische Ritterscharteke bemühen.
"Gemisch aus Sinn und Unsinn"
Von Goethe wird überliefert, dass er dieses "Gemisch aus Sinn und Unsinn" ins Feuer geworfen habe. Kleist selbst äußerte sich unzufrieden über sein damals erfolgreichstes Stück: "Nur die Absicht, es für die Bühne passend zu machen, hat mich zu Missgriffen verführt, die ich jetzt beweinen möchte."
Christa Wolf meets Heinrich von Kleist
Den überschwänglich begeisterten Reaktionen des Premierenpublikums nach ist anzunehmen, dass auch die Wolf-Kleist-Kompilation im Cuvilliés-Theater eine Erfolgsproduktion sein wird. Zweifellos ist die entschlossene Frische und das hohe Tempo überzeugend, mit denen Elsa-Sophie Jach ihr grandioses Ensemble durch die zweieinhalb pausenlosen Stunden jagt.
Das Wesentliche zwischen trutzigen Ritterburgen, dramatischer Feuersbrunst, kostbaren Futteralen und verwechselten Briefen sowie der Entlarvung der schönen Kunigunde (Vassilissa Reznikoff) als frankensteinesk zusammengebautes Monster wird erzählt.
Aber in und um die Burg aus grünem Plexiglas, die Bühnenbildnerin Marlene Lockemann ins Zentrum einer sportlich umturnten Berg-und-Tal-Piste errichtete, huscht die Inszenierung unverbindlich zwischen parodistischer Distanzierung und süffisant geplaudertem Künstlerdrama umher.
Cuvilliéstheater, wieder am 12., 14., 15., 19. Dezember, 19.30 Uhr, Karten unter Telefon 089 2185 1940.
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