Interview

Dirigent François-Xavier Roth: "Ich habe Wagner neu kennengelernt"

Der Dirigent François-Xavier Roth über Wagners Modernität und die Premiere von "Lohengrin" im Nationaltheater.
Robert Braunmüller
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Ein schöner Mann steht immer im Mittelpunkt: Klaus Florian Vogt in der Titelpartie von Wagners "Lohengrin" im Nationaltheater.
Ein schöner Mann steht immer im Mittelpunkt: Klaus Florian Vogt in der Titelpartie von Wagners "Lohengrin" im Nationaltheater. © Wilfried Hösl

Er hat Musik von Beethoven und Mahler mit einem Originalklangensemble aufgenommen. Außerdem beschäftigt sich François-Xavier Roth mit französischer Musik, der Klassischen Moderne und den Tondichtungen von Richard Strauss. Nun dirigiert er eine Neuinszenierung von Richard Wagners "Lohengrin" im Nationaltheater. Regie führt Kornél Mundruczó, die Titelpartie übernimmt Klaus Florian Vogt.

AZ: Herr Roth, Ihre Interessen hätten eher eine Strauss-Premiere erwarten lassen. Was interessiert Sie an Wagner und "Lohengrin"?
François-Xavier Roth: Ich nähere mich aus zwei Richtungen: Einerseits komme ich von der älteren und Alten Musik - durch die Arbeit mit meinem Originalklangorchester Les Siècles. Auf diesem Wege habe ich mir erarbeitet, wo Wagner musikalisch herkommt: von Mozart, Beethoven, Weber und Schumann. Außerdem interessiert mich sehr die Musik des 20. Jahrhunderts und der Gegenwart.

Roth wurde 1971 in Neuilly-sur-Seine geboren. Er studierte Flöte und Dirigieren und war Assistent von John Eliot Gardiner. Roth ist Generalmusikdirektor der Stadt Köln. 2025 wird er zum SWR Symphonieorchester wechseln.
Roth wurde 1971 in Neuilly-sur-Seine geboren. Er studierte Flöte und Dirigieren und war Assistent von John Eliot Gardiner. Roth ist Generalmusikdirektor der Stadt Köln. 2025 wird er zum SWR Symphonieorchester wechseln. © Holger Talinski

Lohengrin: Zukunftsweisend? 

Was ist an Wagners "Lohengrin" zukunftsweisend?
Während der Proben habe ich das Bayerische Staatsorchester öfter darum gebeten, bei bestimmten Artikulationen oder Klängen an György Ligetis musikalisches Magma zu denken. Wagner ist der Erfinder der Klangfarbenmusik.

Wo kann man das hören?
Etwa im Vorspiel. Es beginnt in A-Dur. Aber die Musik ist so komponiert, dass sie verschleiert, ob Geigen, Flöten oder Oboe spielen. Dieses musikalische Gleiten gibt es auch in Ligetis Kammerkonzert. Auch das marschartige Orchesterzwischenspiel mit den Trompeten auf der Bühne im dritten Akt ist in seinem Umgang mit Klang und Raum erstaunlich innovativ: Hier wird ein einziges Motiv wiederholt und umgefärbt. Ähnliches findet sich auch im "Rheingold", aber auch bei Bruckner und Mahler.

Als zweiten Aspekt nannten Sie eben Wagners musikalische Herkunft.
"Lohengrin" steht zwischen Wagners Frühwerk und den Musikdramen wie "Tristan" und dem "Ring des Nibelungen". Die Musik nimmt manches bereits vorweg, andererseits beginnt die Oper mit einer vergleichsweise konventionellen rezitativischen Szene zwischen dem König, dem Heerrufer und dem Chor. Elsas Auftritt sorgt dann fast für einen musikalischen Schock: Die Holzbläser spielen eine einfache Melodie und die Sängerin schweigt. Das nimmt Debussys "Pelléas et Mélisande" vorweg, wo das Orchester ausspricht, was die Figuren auf der Bühne verschweigen.

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Eine Richtung, aus der Sie kommen, ist die Historische Aufführungspraxis. Warum hat sich die von Wagner bisher weitgehend ferngehalten?
Das ändert sich. Mit Les Siècles habe ich den "Fliegenden Holländer" herausgebracht. Andere Opern sind in Vorbereitung. Es gab "Rheingold" von Concerto Köln und dem Orchestra of The Age Of Enlightenment. Viele Musiker, die am Originalklang interessiert sind, mögen das Narkotische an Wagner nicht. Außerdem gibt es organisatorische Gründe: Originalklangensembles bestehen vielfach aus freien Musikern. Die Besetzung ist groß, und das macht Aufführungen sehr teuer. Aber das ändert sich, weil auch das Publikum an einem frischen Hören interessiert ist.

Wie sind Sie "Lohengrin" zum ersten Mal begegnet?
Ich habe alle Wagner-Opern als Flötist der Pariser Oper gespielt - nur "Lohengrin" nicht. Da war ich immer nur an der Bühnenmusik beteiligt, die im dritten Akt den Brautchor begleitet. Danach habe ich mich sehr intensiv mit der französischen Tradition beschäftigt. Wagner im Orchester zu spielen. "Lohengrin" spielt hier eine wichtige Rolle, weil der Dirigent lange direkt vor der Bühne stand - mit dem Orchester im Rücken. Erst André Messager hat das bei der Pariser Erstaufführung von "Lohengrin" geändert, weil er mehr Kontakt mit dem Orchester brauchte.

"Das Bayerische Staatsorchester verfügt über eine faszinierende Flexibilität"

Das Bayerische Staatsorchester ist stolz auf seine Wagner-Tradition. Gab es Widerstände gegen Ihren Ansatz?
Nein, im Gegenteil. Das Orchester war für meine Vorschläge sehr offen, die Musik anders zu artikulieren und das Vibrato zu reduzieren. Es gab ein großes Interesse daran, diese Musik neu zu erleben - auch im Chor, mit dem ich sehr gern gearbeitet habe. Das Bayerische Staatsorchester verfügt über eine faszinierende Flexibilität, und alles was man sich wünscht, wird sehr schnell umgesetzt. Der Klang der Streicher ist sehr warm und schön, das Blech spielt bei aller Kraft nie forciert.

In "Lohengrin" stehen zwischen der Gralserzählung und dem Ausruf "Der Schwan!" gut 30 Seiten Partitur, die in Aufführungen immer weggelassen werden und Wagners wohl unbekannteste Musik sind. Wird man das hören?
Leider nein. Diese Passage stellt nach der Gralserzählung nicht menschliche Anforderungen an einen Tenor. Klaus Florian Vogt gibt auch in Proben alles, aber das möchte ich nicht von ihm verlangen. Ich habe es ernsthaft erwogen, diesen traditionellen Strich aufzumachen, aber es scheint mir unmöglich.

Was erwartet das Publikum auf der Bühne?
Ich habe zuvor nicht mit Kornél Mundruczó zusammengearbeitet. So etwas ist immer ein Risiko, aber seine Inszenierung hat eine große Kraft und Radikalität. Sie fragt im besten Sinn sehr viel, ohne überall eine Antwort zu geben. Ich habe durch seine Arbeit jedenfalls die Oper noch einmal anders kennengelernt.


Premiere am 3. Dezember, 17 Uhr. Übertragung im Hörfunk auf BR Klassik sowie als Video-Livestream auf BR Klassik Concert und Staatsoper.tv ab um 16.45 Uhr

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