"Ist mein Mikro an?" im Marstall: Abrechnung der Generationen
München - Zu Beginn wollen die 17 Schülerinnen wissen, wie viele Babyboomer im Publikum sitzen.
Die 1965 oder früher Geborenen heben artig die Hände und ernten dafür, sich geoutet zu haben, vergiftete Anerkennung: "Ihr seid mutig", heißt es.
Und das Höflichste, was den alten, weißen Frauen und Männern im Saal in der folgenden knappen Stunde um die Ohren geschlagen wird, ist "Ihr habt es verkackt!" Später ruft eine der Mitspielerinnen von ganzem Herzen "Ich hasse alte Menschen!" in den Saal.
Thunbergs Zorn bleibt in Tannahills Text naturbelassen
Für diese Produktion im Marstall hatte das Residenztheater Jugendliche gecastet, um eine Friday-for-Future-Demonstration zu theatralisieren.
Ausgangspunkt ist das im vergangenen Jahr in Düsseldorf uraufgeführte Stück "Ist mein Mikro an?" des Kanadiers Jordan Tannahill, dessen Titel sich auf einen Auftritt von Greta Thunberg vor britischen Parlamentariern bezieht. Der Zorn der heute 19-jährigen Schwedin bleibt in Tannahills Text naturbelassen.
Bei den Vertretern der Babyboomer-Generation hat das harte Agitprop mit Publikumsbeschimpfung den angenehmen verjüngenden Effekt.
Als die heute 60- bis 70-Jährigen selbst noch jung und zornig waren, war diese Form von Schauspiel ein Beleg für die "gesellschaftliche Relevanz" einer Inszenierung, was unter Hardcore-Achtundsechzigern oft der einzige Parameter der Kunstkritik war.
Werden die heute 13- bis 17-Jährigen nicht mehr alt genug?
Damals ging es vor allem darum, sich von den Eltern und ihrem von Faschismus und Nachkriegszeit geprägten Wertekanon zu distanzieren. Die Kids des frühen 21. Jahrhunderts hätten ihren Eltern eigentlich nichts vorzuwerfen, würden die ihre komfortablen Existenzen nicht auf Kosten ihrer Nachfahren leben.
Wenn die jetzt 13- bis 17-Jährigen über alte, zahnlose und tüttelige Menschen lästern, ist das nicht nur die ganz gesunde Selbstgerechtigkeit der Kinder und Enkel. Dahinter steckt auch die Ahnung, in der Welt, die sie bald erben, selbst nicht alt genug zu werden, um eines Tages zahnlos und tüttelig zu sein. Sie können Oma und Opa, Papi und Mutti auch nicht damit entschuldigen, sie hätten nichts gewusst.
Regisseurin Daniela Kranz dreht die Argumente der Alten gegen die Jungen um
Der Bericht des Club of Rome über die "Grenzen des Wachstums" feiert heuer sein 50-jähriges Erscheinen und was damals noch Warnung war, liest sich heute als text-treu umgesetztes Drehbuch der jüngsten Klimageschichte.
Die wenigen Angebote für reflektierten Diskurs, die sich in Tannahills Entrüstung finden und von dem handeln, was unbedingtes Menschenrecht und verzichtbares Privileg ist, nutzt Regisseurin Daniela Kranz sehr klug dazu, die Argumente der Alten gegen die Jungen umzudrehen.
Recht erfrischender Tritt in die Hintern
Das Smartphone, dessen exzessive Nutzung die Generationen trennt, wird hier zur letzten Lichtquelle in von Nebel umwaberter Dämmerung.
Ein großes Schauspielereignis ist das zwar nicht, aber ein wertvoller und recht erfrischender Tritt in die Hintern, Vorurteile und Klischees endlich upzudaten.
Marstall, wieder am heutigen Freitag (19 Uhr), am 7. April (19 Uhr), 8. April (10 Uhr, ausverkauft), 9. und 25. Mai (18 Uhr), Karten unter Telefon 21851940
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