"Francesca da Rimini": Belcanto – nur für Autofahrer
Oper bedeutet laut George Bernhard Shaw, dass ein Bariton den Tenor und den Sopran daran hindert, miteinander ins Bett zu springen. Wenn eine Mezzosopranistin in Hosen als Liebhaber auftritt und der Tenor eifersüchtig tobt, weiß der einigermaßen erfahrene Besucher: Vincenzo Bellinis Romeo-und-Julia-Verschnitt "I Capuleti e i Montecchi" stehen auf dem Programm.
Text stammt von Felice Romani
Das gleiche Stimmdreieck öffnet und schließt sich derzeit auf der Bühne des Festspielhauses in Erl in Saverio Mercadantes "Francesca da Rimini". Die Oper entstand im gleichen Jahr 1830 wie Bellinis Fest des romantischen Belcanto. Erstaunlicherweise stammt der Text vom gleichen Autor: Felice Romani.
Der scheint für seine Meisterstücke "Norma" oder "Lucrezia Borgia" französischer Vorlagen bedurft zu haben: "Francesca da Rimini" frei nach einer Episode aus Dantes "Divina Commedia" ist so exemplarisch missglückt, dass damit Schreibkurse für italienische Operntexter bestritten werden könnten, wenn es dafür nicht schon zwei Jahrhunderte zu spät wäre.
Die Zeitgenossen, die Sergej Rachmaninow und Riccardo Zandonais dramatisch schlüssigeren Opern über den gleichen Stoff noch nicht kannten, störte das nicht: Neben Mercadante vertonten noch zehn weitere Komponisten Romanis Text, der Paolo, Francesca und den erst noch zu betrügenden Ehemann zwei Akte an unerfüllter Liebe leiden lässt.

Ehebruch am Ende des zweiten Aktes
Dem Libretto und der Vertonung fehlt, was seinerzeit "Chiaroscuro" genannt wurde: Der Kontrast zwischen Licht und Schatten. Mercadantes gediegene Opernmusik kennt nur fade, vom Orchester begleitete Rezitative und der ewige, von Rossini geprägte schematische Mechanismus eines langsamen Cantabiles, auf die eine schnelle Cabaletta folgt.
Am Ende des zweiten Akts ereignet sich der durch Dantes "Divina Commedia" berühmt gewordene Ehebruch: Paolo und Francesca küssen sich während der gemeinsamen Lektüre der Geschichte von Lancelot und Guinevere. Mercadante lässt da kurz die Harfe rauschen. Das Vergehen fliegt mit Getöse auf, dann dauert es zwei weitere Stunden, bis sich nach ungezählten Arien voller Wiederholungen und Schematismen eine musikalisch nicht völlig erwartbare Schlusszene ereignet.
Mercadante als zentrale Figur der italienischen Oper
Mercadante gilt als zentrale Figur der italienischen Oper zwischen Donizetti und Verdi. Die zu seinen Lebzeiten unaufgeführte "Francesca da Rimini" wirkt eher retrospektiv mit einem akademischen Hauch von Opera Seria des 18. Jahrhunderts, auch in ihrem Hang zur dekorativen, die Sängerinnen und Sänger maximal fordernden Ornamentik.
Die extrem hohe und extrem verzierte Tenorpartie des betrogenen Ehemanns Lanciotto wirkt zugleich extrem undankbar, weil sie kein menschlicher Sänger mühelos bewältigen kann. Theo Lobow macht das mit anfangs etwas engem Kragen trotzdem ausgezeichnet. Anna Nekhames verfügt über ein ansprechendes Timbre für die dramatische Koloraturpartie der Francesca. Auch über Karolina Makula in der Hosenrolle lässt sich nur das Freundlichste sagen: Ihre Koloratursicherheit ist enorm und die Stimme mischte sich im Schlussduett optimal mit dem ihrer Kollegin.
Chor wirkt nicht übermäßig homogen
Es ist gewiss nicht vergnügungsteuerpflichtig, bei einer solchen Oper Regie führen zu müssen. Hans Walter Richter verlegte die Geschichte in die Entstehungszeit der Fräcke und Backenbärte. Ein Schurke verbrannte im Zorn das zum Ehebruch verleitende Buch, ein Tanz-Trio verdoppelte die eine oder andere Szene: Das kann man machen, es wirkt hübsch dekorativ, aber eine Lösung aller Probleme bringt es auch nicht.
Wieso in Rimini bei eisigen Gefühlen Schnee fällt, blieb so rätselhaft wie die gotische Ruine, die sich in Zeiten knapper Kassen für Gaetano Donizettis schottische "Lucia di Lammermoor" zweitverwenden ließe.
Der Chor der Tiroler Festspiele wirkt nicht übermäßig homogen, das Orchester unter Giuliano Carella holt aus der Partitur die maximale Farbigkeit aus der an einigen Stellen originell instrumentierten Partitur heraus. Aber es spricht nichts dafür, diese lange verlorene und 2010 beim Festival della Valle d'Itria uraufgeführte Oper nun noch einmal aus dem Regal zu holen.

Aufführung nur mäßig besucht
Mercadante hat fünf Jahre nach "Francesca da Rimini" unter dem Eindruck der "Hugenotten" von Giacomo Meyerbeer das dramatische Tempo beschleunigt. Seine gelungeneren Opern "Il giuramento" und "Il bravo" werden auch so selten gespielt, dass ihre Inszenierung einer Wiederentdeckung gleichkäme.
Die Aufführung war mäßig besucht, was die Verantwortlichen auf die üblichen Krisen und die sehr teuren Karten zurückführen werden. Doch ist das wirklich der einzige Grund? In Erl vertraut man ausschließlich auf das festspieleigene Luxusparkhaus. Oberaudorf auf der bayerischen Talseite ist zwar bis in die tiefe Nacht im Stundentakt an München angebunden.
Der Bahnhof wäre nur einen halbstündigen Spaziergang vom Festspielhaus entfernt. Doch der führt über Österreichs längste Holzbrücke: den verrotteten, seit zwei Jahren unpassierbaren Zollhaussteg. Und weil Tirols rückwärtsgewandte Touristiker Fußgänger und Radfahrer für arme Schlucker halten, bei denen nichts zu holen ist, wird das wohl noch ein Weilchen so bleiben.
Erl, Festspielhaus, wieder am 3. und 7. Januar, 18 Uhr. Karten unter www.tiroler-festspiele.at
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