Die Debatte in der Kammer 2 mit Matthias Lilienthal

Krise oder keine Krise? "Das Experiment fängt erst an", sagt Matthias Lilienthal bei der Debatte in der Kammer 2
von  Michael Stadler
© Judith Buss

Es ist nicht leicht, den Durchblick im Streit um die Kammerspiele zu bewahren: Die einen sprechen von einer handfesten Krise, vor allem ein Teil der Presse. Die anderen, vor allem Intendant Matthias Lilienthal, halten Vorgänge wie den Weggang der Ensemblemitglieder Brigitte Hobmeier, Katja Bürkle und Anna Drexler sowie die Absetzung der prestigeträchtigen Produktion „Unterwerfung/Plattform“ für bedauerliche, aber normale Vorgänge, die nun mal in einem Stadttheater vorkommen können.

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Als Michael Krüger, Präsident der Bayerischen Akademie der Schönen Künste und am Sonntag Moderator in der Kammer 2, vor Diskussionsbeginn mit seiner neuen, billig in einer Drogerie gekauften Brille haderte, war das ein schönes Bild für den wackligen Stand jeglicher Perspektiven und für (auf beiden Seiten?) auftretende Kurzsichtigkeiten, die es zu beheben gilt. Und es war ein seltener humorvoller Moment, der für erleichtertes Lachen bei allen Beteiligten sorgte, woraufhin die Diskussion um die Frage „Welches Theater braucht München?“ sich jedoch hitzig entwickelte.

Matthias Lilienthal verteidigt sich

Die Krisenschraube, das wurde zu Beginn klar, hat sich weitergedreht und schließt nun auch die Medien ein: Die Kammerspiele stehen weiter in der Schusslinie der Münchner Presse, aber die Berichterstattung selbst ist in den Fokus geraten, nachdem die Süddeutsche Zeitung vor kurzem die Aufschlagsseite ihres Feuilletons dazu nutzte, um über den Krisenstand der Kammerspiele zu berichten. Neuer Diskussionspunkt: Wie sieht guter Journalismus aus, was ist der richtige Ton?

Gegen den Vorwurf, dass hier eine Kampagne gegen die Kammerspiele gestartet wurde, wehrten sich sowohl Christine Dössel, Theaterredakteurin der SZ, als auch Robert Braunmüller, Kulturredakteur der AZ. Eine Zeitung muss dem nachgehen, wenn es zu solchen Vorgängen in einem Theater kommt, stellte Christine Dössel fest und will sich dabei nicht in eine konservative Ecke stellen lassen: Das Neue ist nicht per se gut. Vielmehr schreibe sie aus einer „enttäuschten Liebe“ heraus, verwies auf die Geschichte und Tradition des Hauses und beschwor den Genius loci des Schauspielhauses, der einiges fordere: klare Visionen von Theater, große Schauspielkunst. Was jetzt an den Kammerspielen stattfinde, so Dössel, „ist die komplette Unterforderung der Zuschauer – und der Schauspieler.“

Martin Kusej unterstützt seinen Intendanten-Kollegen

Lilienthal hingegen sieht Schauspielkunst im Performativen, lobte die Leistungen seines Ensembles und verteidigte sich gegen Vorwürfe, dass es ein „Betreuungsproblem“ gäbe, sprich, dass die Intendanz zu wenig mit Schauspielern und Regisseuren kommuniziere und deren jeweilige Qualitäten bei der Planung von Projekten nicht in Betracht ziehe. Im Fall des französischen Regisseurs Julien Gosselin habe man durchaus vorab über die Begrenzungen, die sich im deutschen Repertoirebetrieb ergeben, gesprochen. Gosselin, so Ensemble-Mitglied Annette Paulmann, „hat gedacht, dass er das schafft.“ Die Proben seien alles andere als leichtfertig abgebrochen worden. Auch die Entscheidung ihrer drei Kolleginnen, das Ensemble zu verlassen, beschreibt Paulmann, die mit zwei davon engeren Kontakt hat, als „unglaublich schmerzhaften, für die Betroffenen einsamen Prozess.“

Die Ausrichtung der Kammerspiele auf aktuelle politische Themen wie Migration steht ebenfalls unter Kritik. Robert Braunmüller verwies auf die bereits vorhandene Willkommenskultur in München: „Im linksliberalen Milieu gibt es keine große Debatte über Migration.“ Insofern renne Lilienthal mit seinem Theater offene Türen ein. Dem Vorwurf Dössels, dass Lilienthal vornehmlich auf Labels setze und eben das einkaufe, was gerade in Mode ist, setzte dieser einige Beispiele entgegen: Mit Ersan Mondtag etwa, der im nächsten Jahr ein Stück zum NSU-Komplex inszeniert, habe er schon längst Kontakte gepflegt, bevor Mondtag zu einem der derzeit gefragtesten jungen Regisseure wurde.

Lilienthal sieht die Kammerspiele „auf einem harten, struppigen, aber guten Weg“ und meint: „Das Experiment fängt erst an“. Dass einige Zuschauer mit dieser Ausrichtung leichte bis erhebliche Probleme haben, zeigte sich bei den Publikumsreaktionen, im Fall einer Dame besonders wütend. Der im Publikum sitzende Hausregisseur Nicolas Stemann warf ein, dass es auch eine Sorgfaltspflicht gibt, wie die Presse eine solche Debatte führt. Eine Annäherung war nach diesem Abend jedoch nicht in Sicht. Und vielleicht brauchen wir ja alle, ähnlich wie Moderator Michael Krüger, eine neue Brille.

 

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