Der Intendant der Münchner Kammerspiele Matthias Lilienthal im AZ-Interview: Katja Bürkle und Anna Drexler verlassen das Ensemble

Das Neue, die Wut und die Liebe: Sind die Kammerspiele in der Krise? Matthias Lilienthal meint: nein. Und aller Anfang ist weiterhin an seinem Haus schwer
Michael Stadler |
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Eine freie Radikale: Die Schauspielerin Brigitte Hobmeier als Herbert Achternbuschs „Susn“. Am 26. und 28. Dezember wird die Aufführung wieder gespielt.
Arno Declair 3 Eine freie Radikale: Die Schauspielerin Brigitte Hobmeier als Herbert Achternbuschs „Susn“. Am 26. und 28. Dezember wird die Aufführung wieder gespielt.
Sima Dehgani 3
Sima Dehgani 3

In München kann es wirklich verdammt kalt werden. Ein rauer Wind weht da draußen, auch für Matthias Lilienthal und seine Kammerspiele, die nach dem Abbruch der Proben für das Houellebecq-Projekt „Unterwerfung/Plattform“ und der Kündigung von Brigitte Hobmeier im Blickpunkt der Presse, damit der Öffentlichkeit stehen. Von Krise will Matthias Lilienthal jedoch nichts wissen. Leicht erkältet ist er, angeschlagen sein Haus. Oder werden hier ganz normale Vorgänge hochgekocht?

AZ: Herr Lilienthal, ich schätze mal, Sie haben gerade schlaflose Nächte.

MATTHIAS LILIENTHAL: Nö, ich schlafe immer gut.

Das heißt, es gibt keine Sorgen?

Doch, schon, aber sie beeinflussen meinen Schlaf nicht. Außerdem hat die Spielzeit sehr gut angefangen: mit Amir Reza Koohestanis Inszenierung von "Der Fall Meursault", mit Yael Ronens „Point Of No Return“, mit „The Re’search“. Und ich bin auch mit der letzten Spielzeit zufrieden. Dass jetzt die Houellebecq-Produktion eingestellt wurde und Brigitte Hobmeier gekündigt hat, ist natürlich nicht gut fürs Theater. Die Wellen, die durch diese Ereignisse geschlagen wurden, weisen aber darüber hinaus auf eine generelle Diskussion, die sich um die Ausrichtung der Kammerspiele dreht. Wenn man das Bild aus der SZ hinsichtlich der Kündigung Brigitte Hobmeiers aufgreift, geht es nicht nur um die Frage, ob man einen hochkarätigen Spieler wie Lewandowski auf der Ersatz-Bank sitzen lässt, sondern es ist auch die Frage, ob man Jupp-Heynckes-, Gardiola- oder Ancelotti-System spielt. In bestimmten Spielsystemen ist dann auch Lewandowski manchmal schwer einsetzbar.

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Aber wieso wurde jemand wie Brigitte Hobmeier nicht eingesetzt?

Sie hatte einen Zweijahresvertrag mit zwei Rollen pro Jahr. Es war also im Vorhinein ein Vertrag, der ihr auch ermöglichen sollte, parallel Filme drehen zu können. Und sie wurde eingesetzt: Sie hat in der ersten Spielzeit in „Rocco und seine Brüder“, jetzt in „The Re’search“ mitgespielt, und im Januar wird sie in Nicolas Stemanns Inszenierung vom „Kirschgarten“ zu sehen sein.

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Woher kommt dann Frau Hobmeiers Unmut?

Weil sie gerne protagonistischer eingesetzt worden wäre, als es momentan passiert ist. Es ist nun mal so, dass die Besetzung an einem Theater ein Zusammenspiel aus vielen Faktoren ist:  aus Regisseuren, aus Stoffen, Konzeptionen, Spielweisen, einer Dramaturgie. Wir versuchen gerade, uns über Stoffe und Inhalte zu definieren, im Zusammenhang mit Regisseuren und Gruppen. Dabei geben wir sehr Acht auf die Schauspieler.

Die Frage ist dennoch: Wo bleibt bei all dem der Schauspieler, auch mit seiner Schauspielkunst?

Ich finde, dass es uns gelungen ist, rund um Julia Riedler, Niels Bormann, Franz Rogowski, Jelena Kuljic, alten wie neuen Ensemblemitgliedern eine hervorragende Truppe zu formen. Eine Truppe, in der auch ältere, großartige Schauspieler wie Walter Hess und Peter Brombacher absolut zentral integriert vorkommen. Yael Ronens „Point Of No Return“ ist zum Beispiel ein Schauspieler-Spektakel. 

Manche meinen: Wie kann ein Schauspieler seine Kunst entfalten, wenn er nicht eine Rolle spielt?

Ich finde, dass die Schauspieler in „Point Of No Return“ auf absolut großartige Weise spielen. Das ist doch längst absoluter Standard an großen deutschen Stadttheatern, dass in projekthaften Zusammenhängen gearbeitet wird, ob man nun in Düsseldorf oder in Hamburg ins Theater geht.

Inszenierungen, in denen die Schauspieler sich in eine Rolle psychologisch einfühlen, gibt es aber wenig bis gar nicht. Ist das nicht das Problem: dass die Zuschauer diese Farbe vermissen?

Ich finde, dass München eine wunderbar breit aufgestellte Theaterszene hat, mit drei großen Theatern, dem Residenztheater, den Kammerspielen und dem Volkstheater. Und ich finde, dass es da auch eine bestimmte Auffächerung geben kann. Ich habe bei Frank Baumbauer gelernt und würde behaupten, dass es konventionelle Inszenierungen in der Baumbauer-Zeit genauso selten gab.

Wenn man sich gerade die Inszenierungen mit Brigitte Hobmeier anschaut, die Sie aus der Simons-Ära übernommen haben, „Die Zofen“ und „Maria Stuart“, wirken die doch recht traditionell.

Ja, in letzten zwei Spielzeiten von Johan Simons war das auch etwas anders. Aus der Baumbauer-Zeit kann ich mich aber an solche Arbeiten nicht erinnern. Und ich habe damals viel gesehen.

Es gibt den Vorwurf, dass Sie die Schauspieler und ihre Kunst an sich nicht schätzen würden.

Ich find das total schade, das geht auch völlig an meiner Person vorbei. Ich mache seit meinen Anfängen nichts anderes als mit Schauspielern zu arbeiten. Natürlich komme ich aus einem Volksbühnen-Zusammenhang. Sophie Rois hat dort einen Paradigmenwechsel eingeleitet: Sie hat durch das Nadelöhr ihrer heiseren Stimme und ihres schmalen Körpers etwas gejagt, was am Ende Rolle hieß. Diese Art des Spiels ist doch gang und gäbe, auch die Internationalisierung der Theater.

Im Fall des französischen Regisseurs Gosselin, der nach drei Wochen das Houellebecq-Projekt hingeworfen hat, kam die Begegnung verschiedener nationaler Theaterkonzepte offenbar an ihre Grenzen.

Was Julien Gosselin dazu gebracht hat, die Arbeit abzubrechen, darüber kann ich zum Teil nur spekulieren. Obwohl die Kammerspiele ein sehr luxuriöses Theater sind, ist eine permanente Anwesenheit von Technikern auf der Probebühne einfach nicht vorgesehen. Julien Gosselin hat zwei Wochen Leseproben gemacht, da haben sich alle super verstanden. Dann hat er eine Woche lang probiert und es tauchten Schwierigkeiten bei der szenischen Umsetzung auf, und er ist in irgendeine Blockade geraten. Wir versuchten im Gespräch, diese Technikfragen zu lösen. Ich sagte ihm zu, dass ich versuchen werde, viele seiner Forderungen abzudecken. Dann ist er übers Wochenende nach Paris zurückgefahren und hat am Sonntagabend eine Mail geschickt, dass er nicht wiederkommt.

Stimmt das Gerücht, dass neben Brigitte Hobmeier auch Katja Bürkle gehen will?

Ja.

Gibt es noch andere Mitglieder des alten Ensembles, die Ende der Spielzeit gehen?

Ja, Anna Drexler.

Das bedeutet doch im Grunde, dass einige der Schauspieler, ähnlich wie Zuschauer und Presse, sich mit dieser neuen Theaterform, die sie etablieren wollen, nicht identifizieren können.

Ja, das würde ich auch so sehen. Das ist mit Sicherheit der Fall. Ich sage aber nochmal: Dass Schauspieler das Ensemble eines Theaters verlassen, ist immer wieder ein Normalfall. In der Diskussion wird so getan als ob ich Frau Hobmeier rausgeschmissen hätte. Das habe ich nicht getan.

Der Weggang von so Hochkarätern wie Frau Bürkle und Frau Drexler ist doch höchst bedauerlich.

Klar, ich bedauere das sehr! Ich habe mich aber am Anfang meiner Intendanz für eine Politik entschieden, die in anderen Städten ganz anders aussieht. Armin Petras hat zu Beginn seiner Intendanz in Stuttgart das Ensemble vollständig neu zusammengestellt. Wir haben uns entschlossen, sehr integrativ zwölf Schauspieler aus dem alten Ensemble zu behalten und diese mit acht neuen Schauspielern zu kombinieren. Jetzt gehen 15 Prozent des Ensembles, andere tolle Schauspieler wie Annette Paulmann oder Wiebke Puls bleiben. Ich halte das nicht für außergewöhnlich.

Wie sieht es mit der Auslastung aus?

Wir hatten in der ersten Spielzeit eine Platzausnutzung von 70 Prozent. Es hat sich eine deutliche Verjüngung des Publikums ergeben, die Studentenrate ist von 13 auf 30 Prozent gestiegen. Der Anfang der Saison hing etwas, es gab auch Kündigungen des Abonnements: 20 Prozent, von denen aber sich durch Probe-Abonnements 15 Prozent kompensiert wurden. Wir haben also einen Realverlust von 5 Prozent.

Was aber schon ein ziemlicher Schwund ist.

Natürlich ist es ein Schwund. Aber das ist auch normal: Die Abonnenten, die die neue Arbeit nicht schätzen, ziehen sich zurück und man versucht, andere Zuschauer zu finden und zu binden.

Sie haben hinsichtlich der Spielpläne und Ausrichtung des Theaters bereits gesagt: Es gibt eine Planung für drei Jahren, dann eine Bestandsaufnahme und dann wird geguckt, wie es weitergeht.

Das ist der normale Vorgang, nach zweieinhalb Jahren wird verhandelt. Ich finde, dass man Versuche auch eine bestimmte Zeit lang angucken muss. Dass einzelne Arbeiten daneben gehen, das passiert an jedem Theater der Welt. Wenn man nach der ersten Spielzeit sagt, huch, da ist etwas danebengegangen, jetzt muss man den Kurs ganz rumreißen – das finde ich nicht richtig.

Das, was gerade passiert, ist ein typischer Prozess: Etwas Neues kommt. Und es gibt Streit.

Ja, aber die Welt hat sich verändert. Von den Siebzigern bis zu den Nulljahren gab es ein Schema: Ein neuer Intendant kommt, er versucht, das Theater inhaltlich und formal  weiter zu bewegen. Es gibt einen Teil von Zuschauern, die damit Schwierigkeiten haben. Die Presse stellt sich hinter der Arbeit des Neuen oder ist dagegen.  Dann gab es eine linke Szene, die das Neue unterstützt. Und am Ende des Prozesses gibt es irgendeinen Ausgang. Das war ein Vorgang, den ich in meiner Jugend immer wieder beobachten konnte, sei es, dass Volker Ludwig ans GRIPS-Theater kam, Peter Stein an die Schaubühne, Peymann nach Stuttgart. Diese klare Begrifflichkeit von rechts oder links existiert aber heute nicht mehr. Die Gesellschaft ist in sich tief verunsichert und sucht deshalb Bezugspunkte des Bekannten. Der Prozess ist viel poröserer und offener geworden, ein Prozess mit horrendem Maß an Unvorhersehbarkeit. Dass Schauspieler als Akteure in der Diskussion mitmischen, ist ebenfalls neu.

Stark verkürzt könnte man sagen: Die Kammerspiele machen progressives Theater und stoßen auf ein konservativ eingestelltes Publikum, dass mit dieser Art des Theaters Probleme hat. Oder: Die Kammerspiele landen mit ihren Experimenten auf dem Bauch, weil man es allzu oft mit den Selbstbefindlichkeiten von Performern zu tun hat und die Schauspielkunst nicht gepflegt wird.

Ich bin total froh, dass es an den Kammerspielen eine gute neue Schauspielkunst gibt. Und ich finde, dass das in Inszenierungen wie „Point Of No Return“ oder „The Re'search“ total gut aufgeht. Wahrscheinlich werfen mir jetzt viele vor, ich würde in einer Parallelwelt leben, aber ich fand den Schnitt von guten Arbeiten bislang alles andere als schlecht.

Welche Arbeiten meinen Sie?

 „Wut“ von Stemann, Marton mit „La sonnambula“, Toshiki Okadas „Hot Pepper…“, „Der Fall Meursault“ oder „Point Of No Return“. Oder ich liebe über alles, auch wenn diese Liebe das Münchner Publikum in der Breite nicht teilt, eine Arbeit wie „Caspar Western Friedrich“.

Was kann man den Leuten sagen, die ihr geliebtes traditionelles Sprechtheater vermissen?

Die kann ich versuchen für einen wunderbaren neuen Schauspielstil zu interessieren, für Inhalte und dafür, dass der Raum Kammerspiele sich im Ganzen extrem gegenüber der Stadt öffnet. Ich lade sehr dazu ein, dass das Publikum hierherkommt und all das mit uns erlebt. Das ist das, was ich tun kann.

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