Martin Kusej über die (angebliche?) Münchner Theaterkrise

Die Kammerspiele sind weiter in den Schlagzeilen. Resi-Chef Martin Kusej über die Situation beim Nachbarn, im eigenen Haus und seine Erfahrungen, als seine Intendanz begann
Michael Stadler |
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Bevor Robin Hood auf der großen Bühne des Residenztheaters gemeinsam mit seiner Bande für Recht und Ordnung sorgt, hat Intendant Martin Kusej Zeit für ein Gespräch über die Theaterkrise, die gerade in der Stadt ausgerufen wird. Dabei geht es zwar vielmehr um die Münchner Kammerspiele, doch der Chef des Residenztheaters hat Ähnliches selbst schon erlebt, nicht nur vor kurzem, sondern auch zu Beginn seiner eigenen Intendanz.

AZ: Herr Kusej, momentan wird davon berichtet, dass die Kammerspiele in einer Krise stecken. Wie beurteilen Sie diese Diskussion?
MARTIN KUSEJ: Ich finde, dass diese Diskussion absolut ärgerlich ist. Um die Situation am Residenztheater wurde schon ähnlich debattiert. Dabei geht es bei dieser Kritik um Befindlichkeiten, nicht um eine gut recherchierte Beurteilung der Arbeit an den Theatern. Die behauptete Theaterkrise ist an den Haaren herbeigezogen. Diese Krise wird anhand von normalen Vorgängen herbeigeschrieben und herbeigeredet, ohne dass es dafür eine fundierte Grundlage gibt.

Lesen Sie auch: Krise an den Kammerspielen - Brigitte Hobmeier verlässt das Ensemble

Ihre Intendanz begann in der Spielzeit 2011/2011, die ersten paar Jahre waren, soweit ich mich erinnere, ebenfalls nicht leicht. Welche Erinnerungen haben Sie an diese Zeit?
Bei uns wurde damals dieselbe Platte aufgelegt: Zu Beginn wurde erwartungsvoll über das geschrieben, was mit mir als Intendanten kommen wird. Zum Teil wurde ich hochgelobt. Nach einem Jahr wurden wir dann in die Pfanne gehauen. Als Intendant, als Ensemble, als Theater erlebt man doch Ähnliches wie die Zuschauer: Die Erwartungen, mit denen man startet, erfüllen sich nun mal nicht zu hundert Prozent. Über eine missglückte Inszenierung sind wir genauso verärgert und traurig. Aber so ist Theater: Es gelingt nicht alles auf Bestellung. Ich würde mir natürlich wünschen, dass jede Aufführung ein Erfolg ist. Ich denke, bei meinem Kollegen Matthias Lilienthal ist das genauso, aber…

…niemand kann die Zukunft vorhersagen.
Genau. Und wir wissen alle, dass das erste Jahr einer Intendanz immer schwierig ist, dass es ungefähr drei Jahre braucht, bis das Schiff wieder durchs Fahrwasser gleitet. Der Kurs muss mitunter leicht korrigiert werden, ohne dass man ihn verliert. Das haben wir auch getan.

Zu Beginn Ihrer Intendanz inszenierten Sie „Das weite Land“, dazu kamen Uraufführungen wie „Halali“ und „Eyjaffjalajökull-Tam-Tam“ oder die deutschsprachige Erstaufführung von „Zur Mittagsstunde“. Die Spielzeit jetzt begann mit „Die Räuber“, „Die schmutzigen Hände“ und „Glaube Liebe Hoffnung“. Der Experimentiergeist muss offensichtlich gezügelt werden.
Was sollte ich machen? Der Umfang an neuen Stücken im Spielplan, zum Teil Ur- und Erstaufführungen wurde nicht angenommen, die Offenheit in Teilen des Publikums war dafür nicht gegeben – wir blieben damit erstmal bedröppelt sitzen. Deshalb haben wir unsere Strategie etwas verändert – nun haben wir die höchsten Auslastungszahlen seit Jahrzehnten und trotzdem ein kritisches, zeitgemäßes und größtenteils zufriedenes Publikum. Wir setzen die großen Stücke des Repertoires ästhetisch herausfordernd um, von Regisseuren, die eine interessante, moderne Handschrift haben. Mit den „Räubern“ ist das beispielsweise gerade sehr gelungen, meine eigene Inszenierung von „Faust“ halte ich ebenfalls nicht unbedingt für langweilig und konventionell. Wir bleiben unserem Anspruch schon treu, keine Sorge – und die Leute verstehen und schätzen das!

An den Kammerspielen wird man vorwiegend mit Projekten zu aktuellen Themen konfrontiert.
Ich ziehe den Hut vor Matthias Lilienthals Kampfgeist. Was an den Kammerspielen gezeigt wird, finde ich nicht immer gelungen, aber ich zolle dem Respekt, was dort ausprobiert wird. Ich bin nach wie vor der Meinung, dass München eine potente Theaterstadt ist, solange wir Theatermacher einen guten Kontakt pflegen und jeder sein individuelles Profil bewahrt.

An Ihrem Haus fühlen sich die Schauspieler weiterhin psychologisch und körperlich in Figuren ein, an den Kammerspielen ist der Schauspieler Mitautor bei Projekten, überwiegt das Performative.
Ja, und manchmal beneide ich das sogar. Ich würde diese Art des Theaters auch gerne öfters machen, natürlich zeigen wir solche Formen auch im Marstall. Aber große Bühne – das sehe ich nicht. Lilienthal ist nun mal ein komplett anderer Intendant als ich.

Gewisse Parallelen gab es zuletzt: An den Kammerspielen wurden die Proben zu „Unterwerfung/Plattform“ abgebrochen und Brigitte Hobmeier hat ihren Vertrag nicht verlängert. An Ihrem Haus kam Anfang des Jahres die Premiere eines neuen Handke-Stücks nicht zustande. Und Shenja Lacher verließ das Ensemble im Sommer, wobei er sich dazu in einem Interview äußerte.
Wegen dieses Interviews könnte ich die Wände hochgehen. Was danach an Tatsachen verdreht wurde, ist für mich unfassbar. Ich kann nur sagen, dass ich mit Shenja Lacher immer ein sehr gutes Verhältnis gehabt habe. Er hat mich gebeten, ihn aus privaten Gründen gehen zu lassen: Er hat neun Jahre durchgehend am Theater gespielt, er braucht eine Auszeit. Für mich und unseren Spielplan ist das eine halbe Katastrophe, aber ich habe zu ihm gemeint, ich verstehe dein Problem, ich kann dich hier nicht festnageln. So ein Weggang ist ein ganz normaler Vorgang, und ich verstehe nicht, wieso aus solchen Puzzleteilchen ein großes Krisengefüge zusammengebastelt werden muss.

Wenn jemand wie Valery Tscheplanowa ihren Vertrag nach Ende der Spielzeit nicht verlängert, dann geht eine weitere Größe Ihres Ensembles.
Aber niemand hat sich damals beschwert, als beispielsweise Birgit Minichmayr ihren Vertrag nicht verlängert hat. Das sind, wie gesagt, ganz normale Vorgänge. Der 31. Oktober ist der Stichtag für die Verlängerung von Verträgen. Das heißt, die Schauspieler haben diese Frist, um sich über ihren Verbleib im Ensemble zu äußern. Oft kommen Schauspieler zu mir und wollen eine Gagenerhöhung, gerade, wenn ihr Vertrag schon ein paar Jahre läuft. Oder jemand möchte über das nächste Jahr hinaus nicht mehr vertraglich gebunden sein. Dafür gibt es völlig unterschiedliche, sehr individuelle Gründe: Die einen brauchen eine Auszeit, die anderen wollen frei arbeiten und mehr Filme drehen, der nächste möchte eine Band gründen. Davon abzuleiten, dass ein Theater in einer Krise steckt, ist absurd.

Ist es dennoch schwieriger geworden, ein Ensemble zusammenzuhalten?
Dass Schauspieler in ein Ensemble eintreten und es später zum Teil wieder verlassen, ist für mich nichts Neues, zumindest seit den drei Jahrzehnten meiner Theaterarbeit nicht. Ich bin Intendant geworden, weil ich absolut an den Begriff des Ensembles glaube. Das Gefühl, sich mit Schauspielern auszutauschen, jemand zu sein, der den Laden zusammenhält und die Verantwortung übernimmt, der den Überblick hat, mit den Schauspielern diesen Weg gegangen ist und weiter gehen will – genau das macht mir Spaß an diesem Job. Mir tut es immer weh, wenn sich jemand entscheidet, dass er oder sie in einem Jahr nicht mehr hier sein will. Aber ich habe mich auch daran gewöhnt – das ist eine ganz normale Fluktuation. Vor 60 oder 70 Jahren war die Situation vielleicht anders, aber wir versuchen, so gut es geht, die Schauspieler an uns zu binden: mit sehr lockeren Verträgen, die einem Schauspieler auch die Möglichkeit geben, Filme zu drehen. Wenn ein Ensemblemitglied ein großes Filmangebot bekommt, dann wird es, wenn möglich, freigestellt. Mir ist wichtig, ihnen das Gefühl zu geben, dass das Residenztheater ihr Haus ist. Hier ist jeder gerne, davon bin ich völlig überzeugt.

Sie inszenieren gerade Arthur Millers „Hexenjagd“ am Wiener Burgtheater – mit Andrea Wenzl, ehemaliges Ensemblemitglied des Residenztheaters, und Steven Scharf, unter dem Intendanten Johan Simons im Kammerspiele-Ensemble, in den Hauptrollen. Man sieht sich also wieder.
Ich habe bislang um die 107 Inszenierungen gestemmt und kenne wirklich viele Schauspieler. Ich kann mich dabei an keinen existenziellen Konflikt erinnern, wenn überhaupt, dann auf künstlerischer Ebene. Dass man sich aus den Augen verliert und eines Tages vielleicht wiedersieht, gehört dazu. Theater ist eine fluktuierende Welt.

Was könnten Sie Matthias Lilienthal jetzt sagen?
Ich kann ihm gar nichts sagen. Ich kann nur sagen: Ich werde Matthias Lilienthal verteidigen, genauso, wie ich erwarte, dass er mich in solchen Fällen wie diesen verteidigt.

Es bleibt dabei, dass es zum einen die Visionen von Theatermachern gibt, wie das Theater heute und in Zukunft aussehen soll, zum anderen die Zuschauer, die vielleicht nicht jede Ansicht teilen.
Wissen Sie, ich habe als Regisseur schon wahrlich Säle leergespielt, keine Sorge, ganz oft. Mir ist es aber lieber, ich habe begeisterte Zuschauer und verfolge dennoch eine moderne Form des Theaters. Als Regisseur bin ich sicherlich radikaler. Als Intendant trage ich die Verantwortung für eine Vielzahl von Mitarbeitern, auch viele, die nicht auf der Bühne stehen. Aber ich kann trotzdem sagen, dass wir Kunst machen. Ich bin mir sicher, dass Matthias Lilienthal das ähnlich sieht und Freude mich, wenn die Kammerspiele mit ihrem Profil erfolgreich sind.

 

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