Ballettchef Igor Zelensky geht: Was steckt dahinter?

München - Das Ende der Ballettfestwoche warteten alle Beteiligten noch ab. Nach der Vorstellung von "Cinderella" am Sonntag wurde das Ensemble dann darüber informiert, dass der Ballettdirektor Igor Zelensky mit Wirkung zum heutigen Montag sein Amt niederlegen wolle. Private, familiäre Angelegenheiten seien hierfür der Grund.
Igor Zelensky: "Meine Familie braucht meine ganze Unterstützung", so Zelensky weiter.
"Eine Ballettkompagnie zu führen, erfordert absolute Konzentration und Kapazität", zitiert eine noch in der Nacht verbreitete Mitteilung den seit 2006 amtierenden Ballettdirektor. "Aktuell verlangen jedoch private Familienangelegenheiten meine volle Aufmerksamkeit und Zeit, die mit der Leitung einer Ballettkompanie nicht vereinbar sind." Daher habe sich Zelensky nach "reiflicher Überlegung" dazu entschlossen, als Direktor des Staatsballetts mit Wirkung zum 4. April 2022 zurückzutreten und sich von allen damit einhergehenden Aufgaben zurückzuziehen. "Meine Familie braucht meine ganze Unterstützung", so Zelensky weiter.
Zelensky-Nachfolge soll "in den kommenden Wochen" geregelt werden
Serge Dorny, der Intendant der Bayerischen Staatsoper, und Kunstminister Markus Blume versichern dem ehemaligen Ballettdirektor in der gleichen Mitteilung ihren großen Respekt und loben Zelenskys Arbeit, die Nachfolge solle "in den kommenden Wochen" geregelt werden.
Die von Zelensky genannten "familiären Angelegenheiten" haben für alle Seiten einen großen Vorteil: Sie umfassen ein weites Feld von Krankheiten bis zu Angehörigen des Ballettdirektors, die womöglich in Russland leben. Vor allem entziehen sie sich der Nachprüfung. Das Kunstministerium muss nicht mehr klären, ob der Nebenjob des Ballettchefs für den Nationalen Kulturerbefonds Russlands mit einer Leitungsfunktion an einem Staatstheater vereinbar ist.
Diese dem russischen Präsidenten nahestehende Stiftung betreibt die Errichtung von vier Kulturzentren, eines von ihnen liegt auf der Krim. Man kann der Ansicht sein, dass die Kunst über allem Politischen schwebt, man kann aber - angesichts finanzieller Beziehungen - in solchen Fällen auch eine Klärung dieser Frage wünschen. Die Landeshauptstadt hat im Fall des Chefdirigenten der Münchner Philharmoniker entschieden und nach dem Ausbleiben einer Distanzierung vom russischen Angriffskrieg den Vertrag aufgelöst.
Im Unterschied zu Valery Gergiev hat sich Igor Zelensky nie politisch exponiert
Zelensky hat in der Vergangenheit zwar den irrlichternden Tänzer Sergej Polunin verteidigt - aber mehr aus alter Verbundenheit. Dieses Engagement lief in aller Stille aus, ob nun wegen seines bei Neonazis beliebten Kolovrat-Tattoos, der (mittlerweile angeblich wieder weggelaserten) Putin-Tätowierung, schwacher Leistungen oder aus Angst vor mieser Publicity. Doch im Unterschied zum Dirigenten Valery Gergiev hat sich Zelensky nie politisch exponiert.
Nach dem Hissen einer ukrainischen Fahne auf dem Nationaltheater und der Auflösung der Verträge mit Anna Netrebko provozierten die Staatsoper und das Staatsballett selbst die Frage nach dem Verhältnis des Ballettdirektors zur russischen Regierung. Zum Auftakt der Ballettfestwoche wurde dann noch das "Große Tor von Kiew" in Alexei Ratmanskys Mussorgsky-Ballett "Bilder einer Ausstellung" vor der ukrainischen Fahne getanzt, in die sich der Choreograf auch beim Applaus hüllte.
Das Kultusministerium gibt sich bedeckt
Auffällig blieb allerdings, dass Zelensky den vom Generalmusikdirektor Vladimir Jurowski initiierten und auf der Homepage der Bayerischen Staatsoper verbreiteten Offenen Brief "Stoppt den Krieg und wirkt dem pauschalen Boykott russischer und belarussischer Kulturschaffender entgegen" nicht unterschrieben hat.
Das muss er auch nicht. Aber Fragen bleiben bei Inhabern öffentlicher Ämter trotzdem erlaubt. Kurz nach dem Ende der Ära Gergiev bei den Philharmonikern wurden auch Zelenskys Kontakte zur russischen Regierung zum Thema. Serge Dorny und das Kunstministerium kündigten Gespräche mit Zelensky an. Aus der Staatsoper ist immerhin zu hören, dass das Gespräch zwischen dem Intendanten und dem Ballettdirektor stattgefunden habe. Das Ministerium gibt sich bedeckt, weil man sich zu personellen Entscheidungen grundsätzlich nicht äußere.

Sanne Kurz: "Wer keine Transparenz schafft, macht sich einen schlanken Fuß"
Das ist zwar einerseits verständlich. Aber ein Staatstheater ist nicht die Privatwirtschaft. "Wo Steuermittel fließen, stellt sich immer die Frage, warum diese wie und wo eingesetzt werden", sagt dazu Sanne Kurz, die Kultursprecherin der Landtags-Grünen. "Wenn Führungspersönlichkeiten derart in Kritik geraten, dass die Staatsregierung die Betroffenen einbestellt, gibt es ein öffentliches Interesse. Haltung kann wehtun: Wer keine Transparenz schafft, macht sich einen schlanken Fuß und entzieht sich der öffentlichen Debatte."
Für den schlanken Fuß, womöglich verbunden mit einem Goldenen Handschlag - zu dem sich das Ministerium naturgemäß auch nicht äußert -, scheint sich nun auch Zelensky entschlossen zu haben. Insider wollen wissen, dass die "privaten Familienangelegenheiten" vielleicht die Hälfte der Wahrheit darstellen würden. Der Ballettdirektor habe mittelfristig ohnehin einen repräsentativen Posten in Russland angestrebt. Ob er damit nun glücklich wird?
Wer aus familiären Gründen geht, darf sich in seiner Heimat nicht als angebliches Opfer der westlichen Cancel Culture feiern lassen. Unter vielen Russen, die hier leben und arbeiten, gehen Ängste vor Diskriminierung um. Die sind - trotz einzelner Vorfälle - falsch. Ihnen ist auch zu widersprechen.
Die Meinungsfreiheit gerät an eine Grenze, wenn Völkermord und Angriffskriege gerechtfertigt werden. Als überschritten darf sie gelten, wenn jemand hier von öffentlichen Geldern bezahlt wird, der gleichzeitig für mutmaßliche Kriegsverbrecher arbeitet. So lange Deutschland aber Gas von der Regierung Putin bezieht, bleiben Debatten im Kulturbereich nur ein mittelwichtiger Nebenschauplatz.