Kritik

"Alles nicht wahr" am Gärtnerplatztheater: Das ganz Große im Kleinen

Nikolaus Habjan und die Musicbanda Franui mit Liedern von Georg Kreisler am Gärtnerplatz.
Robert Braunmüller
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Nikolaus Habjan neben seiner Puppe Lady Bug und den Musikern von Franui.
Nikolaus Habjan neben seiner Puppe Lady Bug und den Musikern von Franui. © Theresa Pewal

München - "Man nehme ein an und für sich grausiges Ereignis und übertreibe es maßlos, sodass es seinen Schrecken verliert, schreibe eine Musik dazu, die gar nicht passt und schon ist das Lied fertig", sagte Georg Kreisler einmal.

Der Inbegriff des Wiener Humors

Eines seiner bekanntesten Lieder, das vom Tauben vergiften im Park, folgt diesem Rezept. Es ist - mit ein paar weiteren Songs - der Inbegriff des schwarzgolden melancholischen Wiener Humors, der zwar schon oft totgesagt wurde, aber bei Josef Hader und in den Brenner-Krimis von Wolf Haas weiterlebt.

Ein zauberhaft böser Abend

Der österreichische Puppenspieler Nikolaus Habjan hat zusammen mit der osttiroler Musikbanda Franui dem Oeuvre Kreislers einen zauberhaft bösen Abend unter dem Titel "Alles nicht wahr" gewidmet. Er war am Wochenende dreimal im Gärtnerplatztheater zu sehen und gastiert Ende Mai noch einmal im Orlandosaal der Stadthalle Germering.

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Eine reife, bitterböse Primadonna

Vorgetragen werden die Lieder von einer reifen Primadonna, die sich mit ihrer Band darüber streitet, ob sie nun schon 15 oder 17 Jahre gemeinsam unterwegs sind. Das Lustige an dieser von Habjan geführten Klappmaulpuppe ist, dass sie überhaupt nicht lustig ist.

Die in Gold gekleidete, von ihrer Karriere offenbar ziemlich verwüstete Chansonette behandelt die Band wie Dreck und ist auch zum Publikum eher unfreundlich, das entweder zuviel oder zu wenig klatscht. Wie die gescheiterte alte Frau ihren Frust an der Mitwelt auslässt und zuletzt unendlich sentimental wird, hat Habjan psychologisch klug beobachtet.

Menschenfreundlicher Menschenhass

Das Lied vom Taubenvergiften und nicht minder berühmte frustrierte Triangelspieler stehen gleich am Anfang des Programms. Dann konzentriert sich Habjan auf Kreislers menschenfreundlichen Menschenhass. Das Lied "Meine Freiheit, deine Freiheit" beschrieb schon vor 60 Jahren bestürzend genau den heutigen Suppenkasper-Liberalismus.

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Groß- und Kleinkunst kommen hier unvergleichlich zusammen

Dass Habjan den heiteren Weltschmerz von Kreislers Lied "Das Mädchen mit den drei blauen Augen" mit Gustav Mahlers "Liedern eines fahrenden Gesellen" zusammenbringt, wirkt nur auf den ersten Blick etwas extrem. Aber dieser universale österreichische Kontext, den auch die Bläser-Arrangements von Franui hervorheben, scheint der Liedkunst Kreislers so angemessen wie ihre allerletzte Verklärung durch ein gepfiffenes Lied von Franz Schubert. Da kommen Groß- und Kleinkunst unvergleichlich zusammen.

Vom Walzer zum Totentanz

Einem Österreicher wie Habjan wird alles zu einem "Jedermann", nur ist das alles lustiger als bei Hugo von Hofmannsthal. Gegen Ende tanzt der Puppenführer mit der Puppe einen Walzer, der sich in einen Totentanz verwandelt. Dann kulminiert die wechselseitige Abhängigkeit in einem ekelhaft lustvollen Kuss, ehe sich die Puppe in den Tod verwandelt und am Ende im Puppenkoffer begraben wird.

Auch dazu gibt es ein ziemlich zynisches Kreisler-Lied über die kurze, angenehme Ruhe einer Leiche vor der nächsten anstrengenden Wiedergeburt, ehe der Abend mit dem unverwüstlichen Lied "Der Tod, der muss ein Wiener sein" endet.

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Der Rezensent hat natürlich was zu kritisieren: Er vermisst narzisstischerweise das gallige Lied vom Musikkritiker. Aber Kreislers Werk reicht ja womöglich noch für eine Fortsetzung dieses wunderbaren, sehr österreichischen Abends.


"Alles nicht wahr": wieder am Samstag, 21. Mai, um 19.30 Uhr, Stadthalle Germering, 22 bis 28 Euro, Karten: muenchenticket.de

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