Interview

Neues Buch über Ludwig II.: Das heuchlerische Bayernvolk

Zum 177. Geburtstag: Wie König Ludwig II. es sich mit allen verscherzte - auch mit seinem Volk, das erst später begann, ihn zu verehren.
Adrian Prechtel
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Geheuchelte Erinnerung: Das 1910 errichtete, 1942 eingeschmolzene und 1969 abschließend beseitigte Denkmal für Ludwig II. an der Corneliusbrücke auf einer zeitgenössischen Postkarte. Heute steht dort der erhaltene Kopf auf einer Säule, die Reste des Denkmals befinden sich im städtischen Steinlager.
Geheuchelte Erinnerung: Das 1910 errichtete, 1942 eingeschmolzene und 1969 abschließend beseitigte Denkmal für Ludwig II. an der Corneliusbrücke auf einer zeitgenössischen Postkarte. Heute steht dort der erhaltene Kopf auf einer Säule, die Reste des Denkmals befinden sich im städtischen Steinlager. © imago images/Heinz Gebhardt

München - An diesem Donnerstag ist der 177. Geburtstag von König Ludwig. Wie auch um die Todestage herum geistern immer noch viele Spekulationen um den Rätselkönig.

Schweiggert: "Warum werden Ludwigkitsch und Devotionalien immer noch gehandelt?"

Alfons Schweiggert hat sich noch einmal viele Quellen angeschaut und kommt zu dem Schluss: Der König war schon zu Lebzeiten bei fast allen gesellschaftlichen Gruppen massiv umstritten und unbeliebt. Die postume Verklärung ist also nur Produkt eines schlechten Gewissens, dass es zur "Königskatastrophe" kam. Und die kann man nur verstehen, wenn man allen "den Prozess" macht.

AZ: Herr Schweiggert, ist es nicht so, dass nach den ungeklärten Fragen um den Tod von König Ludwig II. kein Hahn mehr kräht?
ALFONS SCHWEIGGERT: Nein, diese Illusion und der Satz wurden von zwei höheren Beamten schon 1886 geäußert. Sie glaubten, mit der kurzen Landtagsuntersuchung, dem so genannten "Totengericht" nach Ludwigs Tod, sei die Sache abgeschlossen - so nach dem Motto: "klar geisteskrank", "Einsetzung Luitpolds als nächstem Verwandten", alles lupenrein. Aber warum gibt es bis heute Gottesdienste und Patriotentreffen am 13. Juni und 25. August? Warum werden Ludwigkitsch und Devotionalien immer noch gehandelt? Warum schreibt die Presse immer noch über die Rätsel und Hinterlassenschaften des Märchenkönigs, vor allem über die Todesursache?

Alfons Schweiggert: "Es gibt 25 Todestheorien"

Nun geht es Ihnen aber nicht um dieses ewige Rätsel des Todes am 13. Juni 1886. Sie fragen nach den Schuldigen - von Anfang an.
Es gibt 25 Todestheorien, anstatt zu fragen: Ab wann, wie und mit welchen Beiträgen hat die "Entmündigungsmaschinerie", wie ich sie nenne, eigentlich funktioniert? Und ich sage: Mit der Geburt! Sein Leben ist eine Enttäuschungskette, und alle gesellschaftlich relevanten Gruppen und das bayerische Volk sind schuldig - und der natürlich auch König selbst.

Die sogenannte "Viererbande" aus dem späteren Prinzregenten Luitpold, dem Psychiater Bernhard von Gudden, dem Reichskanzler Bismarck und dem damaligen bayerischen "Ministerpräsidenten" Lutz ist also irrelevant?
Das sind Sündenböcke, um sich aus der Schusslinie zu nehmen. Sie sind Spitzen eines Eisberges der generellen Abkühlung des Verhältnisses Ludwigs mit allen gesellschaftlichen Gruppen. Um das zu beschreiben, habe ich Quellen ausgewertet. Und da beginne ich zum Beispiel mit den Eltern.

Schweiggert: "Die Bayern haben als Spießer die Exzentrik ihres Königs nicht ertragen"

Seine Mutter hat er als "gansig", geistlos und als Preußin verachtet. Der Vater konnte mit seinem Kronprinzen und dessen geistigen Vorlieben nichts anfangen. Ludwig kam dann - wie er selbst sagt - völlig unvorbereitet mit 18 Jahren auf den Thron. Aber das Volk hat seinen König doch geliebt.
Das ist ein postumer, selbstentlastender Mythos! Erst zerreißt man sich das Maul - zum Beispiel über die sexuellen Umtriebe des Königs, den man am Stammtisch wegen der Gefahr der Majestätsbeleidigung "Herrn Huber" nannte. Man hat auch berechtigte Angst, dass der König seine Rechnungen an die Hunderte von Handwerker nicht mehr bezahlen kann und es Steuererhöhungen geben könnten, wenn der Staat Ludwigs Privatschulden übernimmt. Aber dann ist er völlig überraschend tot. Man beginnt, Sündenböcke zu finden, um von den eigenen Intriganz abzulenken.

Alfons Schweiggert. (Archivbild)
Alfons Schweiggert. (Archivbild) © imago images/Lindenthaler

Die Wahrheit ist: Die Bayern haben als Spießer die Exzentrik ihres Königs nicht ertragen. Und obwohl man sich ja so gerne als rebellisch stilisiert - siehe Sendlinger Mordweihnacht 1704 mit dem Schmied von Kochel - hat fast niemand in der Landbevölkerung irgendetwas für die Rettung des Königs getan. Die Stationen auf Ludwigs Weg von Neuschwanstein zur Internierung auf Schloss Berg am Starnberger See haben zum Teil nur zwei Gendarmen bewacht. Ein Amtmann hat genügt, um den Bürgern von Berg die Ausgangssperre zu verkünden und durchzusetzen.

Schweiggert: "Viele Frauen verehrten den schönen König teils hysterisch"

Die Münchner haben ihm den Münchenhass nicht verziehen, eine Stadt, die er abfackeln wollte.
Klar sprach sich sowas rum. Hinzu kam Ludwigs Wagnerfimmel. Der hörige König schmeißt dem opportunistischen Schleimer das Geld nach. Und jetzt noch ein Festspielhaus! Und dann gibt der König noch eine naive Ehrenerklärung für den Ehebrecher Wagner ab! Das war die Stimmung. In der Landtagssitzung kommt ja auch Ludwigs "Dämon Wagner" zur Sprache - bis hin zur Andeutung, dass dessen Musik zum Wahnsinn führe.

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Welche anderen Gesellschaftsgruppen waren von Ludwig enttäuscht?
Die größte ist die Frauenwelt. Viele Frauen verehrten den schönen König teils hysterisch, projizierten ihre Märchenprinzessinnen-Phantasien auf ihn, sammelten Devotionalien - bis klar wurde, dass er sexuell von Frauen nichts wollte, es keine Königin geben würde, er keinen Thronfolger zeugen würde. Später, als er aufgedunsen und unansehnlich wurde, schlug dann Enttäuschung in Ablehnung um, was sich dann nach dem Tod aber wieder in verklärende Liebe verwandelte. Bereits vor dem Sarkophag in der Allerheiligen-Hofkirche sinken dann viele ohnmächtig zu Boden.

Schweiggert: "Regierung und der gesamte Landtag waren von Ludwig entfremdet"

War die katholische Kirche eine feste Burg, auf die der König setzen konnte?
Nein - und das ist die nächste Institution, die seine Legitimität untergraben hat: Erstens, weil seine Homosexualität natürlich Todsünde war, auch wenn die Kirche es nicht überall herumgeschrien hat. Aber selbst in den Trauerpredigten nach seinem Tod klingt das an. Zweitens, weil Ludwig gegen das Unfehlbarkeitsdogma des Papstes war und den Kritiker Ignaz von Döllinger über dessen Exkommunizierung hinaus förderte, und - drittens - Ludwig überhaupt offen war für damals moderne Philosophie.

Aber er war doch politisch reaktionär, weil er wieder absolutistisch herrschen wollte.
Aber dem König war die Patriotenpartei mit ihrer ultramontanen, katholischen Ausrichtung, obwohl sehr königstreu, auch suspekt, und er provozierte diese Mehrheitspartei dauernd, indem er ein liberales Ministerium berief. Diese Fortschrittsparteiminister schätzten Ludwig aber auch nur, solange er sich wenig einmischte, und sie fürchteten auch ständig ihre Absetzung. Der Kontakt zwischen König und Regierung war nur noch durch Kabinettssekretäre hergestellt. So waren Regierung und der gesamte Landtag von Ludwig entfremdet. Politisch hat also - inklusive der von Ludwig gefürchteten Sozialdemokraten - keiner einen Finger gerührt, als Ludwig abgesetzt wurde.

"Anderen Adeligen ist Ludwig immer überwiegend mit Distanz und Verachtung begegnet"

Warum hat nicht wenigstens die Aristokratie zu ihm gehalten?
Die Wittelsbacher nicht, weil er deren Privatvermögen durch gigantische Schulden ruinierte. Und den anderen Adeligen ist Ludwig immer überwiegend mit Distanz und Verachtung begegnet. Und seine ganzen Repräsentationsaufgaben hat er ja auch kaum oder gar nicht mehr erfüllt…

Wie die Teilnahme an Militärparaden…
Diese "Igelköpfe", wie Ludwig das Militär abschätzig nannte, provozierte er mit seiner Lockenfrisur, damit er keinen Helm tragen konnte, und mit seiner pazifistischen Haltung. Für die war er ein "königlicher Deserteur", der an keinem der Kriege - mit Österreich gegen die Preußen und dann 1870 mit Preußen gegen Frankreich - im Felde teilgenommen hatte. Und er galt auch noch als Franzosenfreund.

Schweiggert: "Ludwig II. war ein grenzgängerischer Dauerprovokateur"

Aber was hat der König selbst mitgebracht, was ihn ins Verderben führte? Hätte ihn etwas retten können?
Ganz privat dem Wagner mit seinem Antisemitismus übers Maul fahren und ihm öffentlich den Geldhahn zudrehen. Kabinettssitzungen besuchen. Freundschaften pflegen, statt erst zu schwärmen und sich dann immer zu überwerfen. Er war staatsrechtlich eigentlich ein fanatischer Einzelgänger, ein reaktionärer, absolutistischer Putschist, einer der Angst hatte, wahnsinnig zu werden wie sein Bruder Otto. Außerdem war er ein grenzgängerischer Dauerprovokateur, der alle dauernd vor den Kopf gestoßen hat. Er war ein Anachronist - rückwärts gedacht mit mittelalterlichen Schlössern, aber eben auch visionär mit technischen Ideen. Sein "Wahnsinn" war letztlich eine Anormalität, die der vorherrschend bürgerlichen Vorstellung vom "normalen" Lebenswandel zuwiderlief. Die Bayern konnten dem Problematischen, aber eben auch Genialischen ihres Königs in ihrer Beschränktheit nicht folgen.

Welche Gruppe bleibt als Ludwig-Fans?
Die Juden. Was man auch an den Trauerreden nach seinem Tod sehen kann, wo die aufrichtigsten von Rabbinern stammen. Ludwig war seit seiner Frankenreise ein erklärter Förderer der Gleichbehandlung - und als die Münchner Hauptsynagoge am Stadtrand gebaut werden sollte, hat er den zentralen Bauplatz am Stachus durchgesetzt. Aber in dieser antisemitischen Zeit hat er sich als "Judenfreund" ja auch nicht viele Freunde gemacht.


Alfons Schweiggert: "Der Ludwig-II-Prozess - Die Schuldigen an der Königskatastrophe" (Volk Verlag, 312 Seiten, 24,90 Euro)

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