Interview

Jan Weiler zu "Der Markisenmann": "Das Internet stört die Literatur"

Jan Weilers Roman "Der Markisenmann" geht zurück ins Jahr 2005 und das hat viele Gründe – auch die Frage, was Teenies tun, wenn sie offline müssen.
Katrin Kaiser |
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AZ-Interview mit Jan Weiler: 1967 in Düsseldorf geboren, war der Journalist und Schriftsteller viele Jahre Chefredakteur des SZ Magazins. Sein Buch "Maria, ihm schmeckt’s nicht!" gehört zu den erfolgreichsten Büchern der vergangenen Jahre. Es folgte unter anderem "Das Pubertier".
AZ-Interview mit Jan Weiler: 1967 in Düsseldorf geboren, war der Journalist und Schriftsteller viele Jahre Chefredakteur des SZ Magazins. Sein Buch "Maria, ihm schmeckt’s nicht!" gehört zu den erfolgreichsten Büchern der vergangenen Jahre. Es folgte unter anderem "Das Pubertier". © Henning Kaiser/dpa

"Dafür, dass ich außer der Kompaktklasse an der Journalistenschule keine Berufsausbildung habe, ist die Karriere tatsächlich erstaunlich", sagt Jan Weiler. Mit "Maria, ihm schmeckt’s nicht" hat er vor knapp 20 Jahren eines der erfolgreichsten Romandebüts der letzten Jahrzehnte geschrieben. Seither erfreuen sich seine zahlreichen Romane, Kolumnen, Hörspiele und Drehbücher großer Beliebtheit. Gerade ist sein neues Buch "Der Markisenmann" erschienen, eine tragikomische Coming-of-Age-Geschichte über eine Annäherung zwischen Vater und Tochter.

AZ: Herr Weiler, Ihre Bücher und Kolumnen bringen zum Schmunzeln und machen gute Laune. Sie müssen ein sehr optimistischer Typ sein.
JAN WEILER: Das mit der Zuversicht wirkt nur so. Tatsächlich finde ich es wie die meisten Menschen gerade schwierig, zuversichtlich zu sein. Vielmehr bin ich enttäuscht, wie lange es zum Beispiel gedauert hat, Sanktionen gegen Russland zu verhängen.

Was Jan Weiler gute Laune bereitet? "Mein Sohn"

Und was macht Ihnen in diesen Zeiten gute Laune?
Mein Sohn. Der sagt immer so lustige Sachen. Neulich fragt er mich: "Was macht man eigentlich mit diesem weißen Gummiball, der noch in der Tüte ist, wenn man den Mozzarella getrunken hat?"

Ihr Sohn und Ihre Tochter sind in den "Pubertier"-Büchern und Ihren Kolumnen präsent. Wie finden die beiden das?
Sie haben kein Problem damit, weil die Bücher und Kolumnen autofiktional sind und eine gewisse Allgemeingültigkeit haben. Ich habe von Anfang an darauf geachtet, ihre Persönlichkeitsrechte zu achten und das Meiste erfunden. Die Kinder in den Kolumnen sind anders als sie. Und sie konnten die Texte immer vor der Veröffentlichung lesen. Sie haben nie ein Veto eingelegt. Allerdings habe ich auch immer klar gemacht, dass ich damit unseren Lebensunterhalt verdiene.

Eine gewisse Allgemeingültigkeit und das hohe Identifikationspotenzial Ihrer Figuren scheinen ein wichtiger Teil Ihres Erfolgsrezepts zu sein.
Ich finde es nicht verkehrt, viele Menschen erreichen zu wollen. Dabei bin ich ein Fan von literarischen Schluckimpfungen: eine bittere Wahrheit auf einem humoristischen Stück Zucker. In "Maria, ihm schmeckt’s nicht" geht es ziemlich viel um realen Alltagsrassismus. Und wenn von den vielen Menschen, die das Buch gelesen haben, wenigstens ein paar anfangen, über solche Themen nachzudenken, ist das doch super.

Idee zu "Der Markisenmann": Die Tochter und ein Filmfirma-Chef gaben den Anstoß

Ihr aktueller Roman "Der Markisenmann" ist eine tiefsinnige Tragikomödie und erzählt von einem jungen Mädchen, das durch eine Verkettung unglücklicher Umstände die ganzen Sommerferien bei ihrem ihr bislang unbekannten Vater auf einer Art Gewerbehof in Duisburg verbringen muss. Wie entstand die Idee?
Dazu gibt es tatsächlich eine Geschichte: Meine Tochter hat sich mit 13 – also vor zehn Jahren – gewünscht, dass ich ein Buch schreibe, das nur für sie ist. Ich habe es ihr versprochen, und die Idee zum "Markisenmann" mit dem jugendlichen Mädchen als Hauptfigur ist tatsächlich schon damals entstanden. Außerdem hatte ich etwa zur selben Zeit einen Termin bei einer Filmfirma – es ging um eine Verfilmung eines Buches, die dann aber nicht zustande kam – und die hatten einen Chef, der aus Bochum stammte und sagte: Wenn Sie mal etwas schreiben, das im Ruhrgebiet spielt, kaufe ich’s sofort. Wenn man so will, habe ich diese beiden Arbeitsaufträge jetzt endlich umgesetzt. Sie waren jetzt dran auf der Prioritätenliste. Auch wenn der Mann längst in Rente ist.

Die Geschichte spielt 2005. Das hat genau wie das orange-braun-weiße Cover einen tollen Retro-Charme.
Es war ganz entscheidend, dass die Geschichte vor 2007 spielt, also bevor das erste iPhone auf den Markt kam. Das allzeit verfügbare Internet ist nämlich eine enorme Herausforderung für die Belletristik. Man muss in der Gegenwart immer irgendwelche Szenarien erschaffen, in denen das Internet gerade mal nicht verfügbar ist, damit sich eine Geschichte entwickeln kann. Heute hätte ich den Markisenmann Ronald Papen nie mit einem Faltplan losschicken können. Und seine Tochter Kim hätte gar keinen besonderen Grund gehabt, die Lagerhalle ihres Vaters zu verlassen und all das zu erleben, was sie dann erlebt. Sie hätte Netflix schauen und mit ihren Freunden chatten können. Und wenn sie es gar nicht mehr ausgehalten hätte, hätte sie ein Uber bestellen können, das sie von dort weg bringt. Im Roman gibt es keine Uber-App und sie kommt dort nicht weg, weil in dieser Gegend am Rhein-Herne-Kanal kein Bus fährt.

"Eltern haben immer irgendwelche dunklen Geheimnisse"

Eine wichtige Voraussetzung für die Annäherung zwischen Vater und Tochter ist in dem Roman, dass beide einander nicht nach dem Warum für das fragen, was sie getan haben.
Beide haben Schuld auf sich geladen und müssen damit leben. Sie sind sich darin ähnlich. Das ist ganz wichtig. Für Kinder bedeutet es eine große Sicherheit, sich in den Eltern wieder zu erkennen, es birgt aber auch großen Schmerz. Bei Kim und ihrem Vater ist das so. Und wie im Roman haben Eltern in Wirklichkeit auch immer irgendwelche dunklen Geheimnisse vor ihren Kindern. Von den eigenen Niederlagen erzählt man nun mal nicht so gerne. Aber daher kann es eigentlich nie rückhaltloses Vertrauen zwischen Kindern und Eltern geben.

In Kürze kommt die Verfilmung Ihres Hörspiels "Eingeschlossene Gesellschaft" von Sönke Wortmann ins Kino. Fällt es Ihnen leicht, Ihre Bücher loszulassen und einem Filmteam als Material zu übergeben?
Bei "Eingeschlossene Gesellschaft" bin ich zum ersten Mal zu 100 Prozent einverstanden mit dem Film. Mit Sönke Wortmann teile ich dieselben Vorstellungen, denselben Humor. Außerdem hatte ich als Autor zum ersten Mal einen Vertrag, der mir viel Mitbestimmung einräumte. Das machte es leichter. Es gibt verschiedene Modelle der Zusammenarbeit. Zum Beispiel auch, dass man als Autor zwar gut und regelmäßig informiert wird, aber in entscheidenden Fragen nicht mitreden darf. Das ist sehr belastend.

Die nächste Verfilmung eines Drehbuches von Jan Weiler, "Eingeschlossene Gesellschaft" von Sönke Wortmann, kommt bald ins Kino. Im Lehrerzimmer: Justus von Dohnànyi (sitzend als Konrektor), Thomas Loibl, Florian David Fitz, Torben Kessler, Nilam Farooq, Anke Engelke.
Die nächste Verfilmung eines Drehbuches von Jan Weiler, "Eingeschlossene Gesellschaft" von Sönke Wortmann, kommt bald ins Kino. Im Lehrerzimmer: Justus von Dohnànyi (sitzend als Konrektor), Thomas Loibl, Florian David Fitz, Torben Kessler, Nilam Farooq, Anke Engelke. © BantryBay Productions

Wann war das der Fall?
Bei der Serie zum "Pubertier". Wenn man nicht so involviert ist, muss man ab irgendeinem Punkt einfach akzeptieren, dass es jetzt das Werk eines anderen ist. Auch aus "Maria, ihm schmeckt’s nicht" hätte ich einen anderen Film gemacht als Neele Leana Vollmar. Aber der Punkt ist ja, dass ich natürlich gar keinen Film hätte machen können. Ich bin kein Regisseur. Bei der Verfilmung von "Eingeschlossene Gesellschaft" hat mir sehr geholfen, inzwischen einen Agenten zu haben, der meine Belange vertritt. Ich selbst bin nämlich immer zu höflich und zurückhaltend. Man kann mich zu allem überreden, was meine Kinder seit über zwanzig Jahren hemmungslos ausnutzen.

Jan Weiler: "Ich glaube, ich habe gar keine Prinzipien"

Zählt Ihnen der Moment vielleicht einfach mehr als Ihre Prinzipien?
Ich glaube, ich habe gar keine Prinzipien. Ich muss gestehen, dass ich meine Kinder jahrelang eigentlich nur mit lächerlichen Drohungen erzogen habe. Schwierig wird es halt dann, wenn man diese Drohungen niemals wahr macht.

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Aber Ihre Kinder sind ja trotzdem gut gediehen.
Erfolgreiche Start-up-Gründer werden sie wahrscheinlich beide nicht. Wie mir fehlt Ihnen jegliches Interesse an den Prinzipien der Betriebs– und der Marktwirtschaft. Wahrscheinlich werden sie Künstler. Meine Ex-Frau und ich haben ihnen nie ein strukturiertes Leben mit Nine-to-Five-Job vorgelebt. Allerdings wäre ich mit zwei kleinen Kindern mehr auf Nummer sicher gegangen, wenn nicht das erste Buch "Maria, ihm schmeckt’s nicht" so ein Erfolg gewesen wäre. Dann wäre ich wohl einfach weiter Chefredakteur des SZ-Magazins geblieben.

Feiern Sie Ihre Erfolge?
Fürs Erfolgefeiern bin ich zu protestantisch. Ich glaube, ich habe nur ein einziges Mal einen Schampus aufgemacht.

Wann?
Als "Das Pubertier" auf Platz eins ging. Erfolgsfeiern sind in der Buchbranche generell eher unüblich. Bei Buchpreisen feiern sich die Jurys oft ein bisschen selbst für ihren ausgefallenen Geschmack. Und für Verkaufserfolge gibt es keine Auszeichnungen. Meine einzige Chance auf etwas Gerahmtes wäre irgendwann eine goldene Schallplatte für das Hörbuch von "Maria, ihm schmeckt’s nicht".


Jan Weiler: "Der Markisenmann" (Heyne, 336 Seiten, 22 Euro, E-Book 17,99 Euro)

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