Graphic Novel von Catherine Meurisse: Sehnsucht nach frischen Bildern

Es war klar, dass die Comic-Zeichnerin Catherine Meurisse irgendwann in Japan landen musste - um dabei humorvoll an ihre französischen Künstlerkollegen anzuknüpfen, die alsbald den Holzschnitten verfielen
Autorenprofilbild Christa Sigg
Christa Sigg
|
X
Sie haben den Artikel der Merkliste hinzugefügt.
zur Merkliste
Merken
0  Kommentare
lädt ... nicht eingeloggt
Teilen  AZ bei Google News
Die märchenhafte Nami blickt hier aufs Wasser - und erinnert an die Holzschnitte Kawase Hasuis.
Die märchenhafte Nami blickt hier aufs Wasser - und erinnert an die Holzschnitte Kawase Hasuis. © Catherine Meurisse, Dargaud/Carlsen

Sie stolpert immer noch suchend durch die Welt. Und das voller Selbstironie, ständig offen für Neues, Unbekanntes und auf keinen Fall moralisierend. Das ist das Sympathische an Catherine Meurisse, die viel lieber kleine entlarvende Stiche macht und überhaupt durch einen tiefgründigen, vielschichtigen Humor überzeugt.

Da ist eben die versierte Zeichnerin, die beim Satire-Magazin "Charlie Hebdo" meistens ein bisschen ätzender sein musste, als es ihr eigentlich entsprach - man konnte das jetzt in einer sehr pointierten Ausstellung im Basler Cartoonmuseum verfolgen - und die nach dem unfassbaren Anschlag auf die Redaktion im Januar 2015 bis heute vom Tod der Freunde und Kollegen traumatisch getroffen ist.

Catherine Meurisse war bis 2016 der einzige weibliche Zeichner bei Charlie Hebdo und wurde 2020 als erster Comickünstler in die Académie des Beaux-Arts aufgenommen.
Catherine Meurisse war bis 2016 der einzige weibliche Zeichner bei Charlie Hebdo und wurde 2020 als erster Comickünstler in die Académie des Beaux-Arts aufgenommen. © imago images/ZUMA Press

Meurisses Streifzüge durch Museen, Landschaften oder durch die Kulturgeschichte sind deshalb immer auch Versuche, dem Leben und speziell ihrem eigenen, europäisch geprägten auf den Grund zu gehen. Und nun ist die Französin am anderen Ende der Welt in Japan gelandet. Nicht zum Abklappern von Palästen, Gärten oder Galerien, und glücklicherweise auch nicht, um sich an Mangas zu probieren.

Im Mittelpunkt dieses Märchens steht das Naturverständnis

Vielmehr wollte sich die 42-Jährige einfach mal fallen lassen, der eigenen Intuition folgen und ihr "viel zu westliches inneres Bilderarchiv auffrischen". Das lässt sie ihr Alter Ego gleich zu Beginn der aktuellen Graphic Novel "Nami und das Meer" sagen, um dann einigermaßen orientierungslos durch traumhafte Landschaften zu marschieren.

Denn es geht in diesem "kleinen philosophischen Märchen" nicht zuletzt auch um das Naturverständnis der unterschiedlichen Kulturen, um die typische Vegetation und schließlich um das Leben mit Erdbeben und Flutwellen. Obgleich die biegsame Entdeckerin ihren Malkasten dabei hat, um dann doch nichts aufs Papier zu bringen. Aber da trifft sie auf einen japanischen Leidensgenossen, der ein berühmter Künstler wäre, würde er denn endlich auf das richtige Motiv stoßen. Oder eher: seine Malhemmungen überwinden.

Meurisse findet nahe Kyoto zu betörenden Aquarellen

Dabei spielt die literaturaffine Meurisse auf den großen Romancier und Haiku-Dichter Natsume Soseki an, der just in seinem bekannten "Graskissenbuch" ("Kusamakura") über einen solchen Maler schreibt und sich dabei mit dem künstlerischen Schaffensprozess auseinandersetzt. Der sei untrennbar mit der Natur verbunden, betont Soseki. Die Natur sei die allererste Inspirationsquelle, und wenn man in ihre Sphäre trete, würde jeder Mensch ein Maler. - Das ist Beuys auf Japanisch und doch vollkommen anderes.

Lesen Sie auch

Lesen Sie auch

Aber die einerseits hingetrimmten Ziergärten und auf der anderen Seite das zumindest nach außen vorgeführte Akzeptieren und Leben mit den Naturgewalten ist auch schwer zusammenzubringen - und doch kein Widerspruch. Da mag stellenweise ein klischeehaftes Japanbild aufscheinen, transportiert durch unzählige Farbholzschnitte der großen Meister von Utagawa Hiroshige und Katsushika Hokusai mit seiner legendär gewordenen Welle bis zu Kawase Hasui, der in der Graphic Novel immer wieder zitiert wird.

Wobei es realiter weit draußen, fern der durchgetaktet geschäftigen Monsterstädte ja doch so ausschaut. Dabei findet Meurisse auf den Spuren Sosekis in Kyoto zu betörend schönen Aquarellen und Zeichnungen, für die allein sich diese Graphic Novel lohnt. "Nami und das Meer" führt in der latenten Beschäftigung mit dem "Graskissenbuch" auf die Alte Welt und die Kunst des späten 19. Jahrhunderts zurück.

Mit dem nicht unerheblichen Unterschied, dass Meurisse die Bilder eben nicht bloß überm Schreibtisch hängen hat, wie etwa der von Édouard Manet gemalte Émile Zola. Dieses nonchalante Einweben der europäischen und besonders der französischen Malereigeschichte ist eine der Spezialitäten der Meurisse, deren "Olympia in Love" um die Entwicklung des Impressionismus zu den originellsten Kunst-Comics überhaupt zählt.

Catherine Meurisse besticht mit herrlich anarchistischem Humor

Natürlich weiß der verzweifelte japanische Künstler mit seiner dusselig schrägen Malblockade von der blumenübersäten "Ophelia" im Flussgrab und um die wenig romantische Entstehung dieses Gemäldes: John Everett Millais legte seine Gattin kurzerhand bekleidet in die Badewanne, draußen am Wasser hatte es einfach zu viele Mücken.

Dem Künstler - weder bei Soseki noch im Comic von Meurisse - hilft dieses "Konzeptionieren" dennoch nicht weiter, denn im Gegensatz zu Millais drängt es ihn wie die Pleinair-Maler von Barbizon in die Natur. Und selbst dieser Schritt reicht noch lange nicht aus, um in einen Zustand zu gleiten, der ihm das Schaffen eines Kunstwerks ermöglicht. In der Meditation muss er eins werden mit Wind und Wetter, mit den Blättern und Wassertropfen, er muss sein Bewusstsein weiten und sich in ihm auflösen.

Nur gut, dass die Meurisse bei all diesen Erkenntniswanderungen letztlich doch wieder bei sich selbst angekommen ist und das Ganze durch ihren herrlich anarchischen Humor untergräbt.


Catherine Meurisse: "Nami und das Meer" (Carlsen Verlag, 128 Seiten, 22 Euro)

Lädt
Anmelden oder registrieren

Zum Login
Zu meinen Themen hinzufügen

Hinzufügen
Sie haben bereits von 15 Themen gewählt

Bearbeiten
Sie verfolgen dieses Thema bereits

Entfernen
Um "Meine AZ" nutzen zu können, müssen Sie der Datenspeicherung zustimmen.

Zustimmen
 
0 Kommentare
Bitte beachten Sie, dass die Kommentarfunktion unserer Artikel nur 72 Stunden nach Veröffentlichung zur Verfügung steht.
Noch keine Kommentare vorhanden.
merken
Nicht mehr merken
X

Sie haben den Inhalt der Merkliste hinzugefügt.