"Wir werden von der Blechlawine überrollt": Overtourism setzt beliebtem Ausflugsziel in Bayern zu

Das Werdenfelser Land in Bayern wird von Touristen überrannt. Viele kommen mit dem Auto. Den Menschen vor Ort stinkt das gewaltig.
Tobias Lill |
X
Sie haben den Artikel der Merkliste hinzugefügt.
zur Merkliste
Merken
64  Kommentare
lädt ... nicht eingeloggt
Teilen  AZ bei Google News
Auch in den bayerischen Alpen gab es zuletzt immer häufiger Staus. Das Foto zeigt stehende Autos in Tirol, unweit der deutschen Grenze.
Auch in den bayerischen Alpen gab es zuletzt immer häufiger Staus. Das Foto zeigt stehende Autos in Tirol, unweit der deutschen Grenze. © IMAGO/Jöran Steinsiek

Wallgau — Am vergangenen Wochenende ist es wieder besonders schlimm gewesen. "Der Verkehrslärm war unerträglich", sagt Katharina Zunterer der AZ. Die 37-Jährige lebt im eigentlich malerischen Wallgau unweit von Garmisch-Partenkirchen — mit direktem Blick auf das Bergidyll. Es könnte im Alpenparadies so schön sein, wäre da nicht die Bundesstraße 11. Die viel befahrene Straße verläuft mitten durch das 1.500 Einwohner zählende Örtchen — und unweit von Zunterers Haus.

An diesem Tag muss die Unternehmerin, die ein Gästehaus betreibt, ihr Fenster ebenfalls schließen, damit sie den Anrufer überhaupt verstehen kann. "Gerade braust eine Kolonne von Motorrädern vorbei", sagt Zunterer und fügt hinzu: "Auch die Autoschlangen werden länger. "Es wird immer schlimmer", ist sie überzeugt.

Touristen im Werdenfelser Land: Bei den Anwohnern steigt der Frust

Bastian Eiter berichtet im AZ-Gespräch ebenfalls von "enormen Blechlawinen durch Grainau sowie anderen Teilen der Region in den vergangenen Wochen". Es seien spürbar mehr Autos als in den Sommermonaten zur Vor-Corona-Zeit unterwegs, sagt der Bürgermeister von Wallgau und fügt hinzu: "Für die Menschen bei uns bedeutet das jede Menge Lärm". Die Umweltbelastung durch die Abgase sei enorm.

Der Schein trügt: Von der Idylle in Wallgau ist nicht viel übrig.
Der Schein trügt: Von der Idylle in Wallgau ist nicht viel übrig. © IMAGO / Zoonar

Vor allem am Wochenende, wenn die Ausflügler massenhaft in die Berge strömen, seien diverse Straßen im Werdenfelser Land "verstopft", so der zum Wallgauer Wählerverein zugehörige Lokalpolitiker.

Ein Teil der Wallgauer freut sich über die riesige Zahl an Ausflüglern und Touristen, die in das Werdenfelser Land strömen und mitunter auch viel Geld in der Region lassen. Doch bei vielen Einheimischen wächst der Frust. Denn der überwiegende Großteil der Erholungssuchenden kommt mit dem Auto.

Viele Touristen kommen mit dem Auto – die Folge: "Die Parkplätze sind oft überfüllt"

"Wir werden von der Blechlawine überrollt", sagt auch Christian Andrä, Zweiter Bürgermeister der Gemeinde Grainau, im AZ-Gespräch. Er kann nach eigener Aussage zwar "vollkommen verstehen, warum die Menschen in Scharen zu uns kommen". Denn man habe mit dem Eibsee und der Höllentalklamm schlicht zwei besonders sehenswerte Touristen-Hotspots vor Ort zu bieten.

Auch freut er sich eigentlich über die vielen Gäste. Doch es kämen einfach "zu viele mit dem Auto. Die Parkplätze sind oft überfüllt", so Andrä, der einer Wählervereinigung angehört. Die auswärtigen Fahrer suchten dann häufig nach anderen Stellplatzmöglichkeiten. "In der Folge ist dann auf vielen Straßen nur noch Stop and Go angesagt."

Tourismus in Bayern: "Belastung für Anwohner und die Natur wieder sehr groß"

Das Zahl der Fahrzeuge an den schönen Tagen vor allem am Wochenende sei "deutlich über der Vor-Corona-Zeit und liegt nur knapp unter dem Niveau des Rekordjahres 2020", berichtet der Kommunalpolitiker. Damals hatte es massive Proteste gegeben.

Weil 2020 viele Auslandsziele pandemiebedingt weggebrochen waren, hatte es weit mehr Menschen aus den Städten in die Berge getrieben. Doch auch in diesem Sommer und Herbst sei die "Belastung für Anwohner und die Natur wieder sehr groß", sagt Andrä.

Rund um Farchant (Landkreis Garmisch-Partenkirchen) kam es bereits zu Tunnelsperrungen wegen des Touristen-Andrangs.
Rund um Farchant (Landkreis Garmisch-Partenkirchen) kam es bereits zu Tunnelsperrungen wegen des Touristen-Andrangs. © IMAGO / Volker Preußer

Gerhard Portele, Dritter Bürgermeister von Farchant, sagt auf AZ-Anfrage: "Das Problem sind die schönen Tage, an denen extrem viele Tagestouristen kommen." In der Folge gebe es mitunter wegen des großen Autoandrangs Tunnelsperrungen.

Die Auswärtigen würden dann durch diverse Seitenstraßen fahren. "Es ist eine Zumutung, wenn die Blechlawine durch Farchant rollt. Die Menschen hier haben dann auch Sorge, dass es im Ernstfall kein Durchkommen für einen Rettungswagen gibt", so der Freie-Wähler-Politiker. Er konstatiert einen "dringenden Handlungsbedarf".

Kommunalpolitiker fordern bessere ÖPNV-Verbindungen in der Region

Diesen sieht auch Irmi Gallmeier, Sprecherin des Kreisverbands Garmisch-Partenkirchen. Sie fordert die Staatsregierung auf, endlich für eine bessere ÖPNV-Anbindung der Region zu sorgen. "Die Menschen leiden unter den Blechlawinen", sagt sie der AZ. Die Grünen-Politikerin verweist auf eine Befragung der dortigen Bevölkerung im Jahr 2021: 94 Prozent der Teilnehmer gaben damals an, dass der Verkehr das drängendste Problem des Tourismus sei.

Eine Ursache dafür, dass zuletzt besonders viele Ausflügler mit dem Auto ins Werdenfelser Land kamen, ist nach Ansicht von Bürgermeister Eiter und anderen Kommunalpolitikern die zuletzt noch schlechtere ÖPNV-Anbindung als ohnehin schon.

Lesen Sie auch

Lesen Sie auch

Lesen Sie auch

Bahnstecke zwischen München und Garmisch gesperrt: Ausflügler steigen aufs Auto um

So waren seit Monaten ein ums andere Mal Teile der Bahnstrecke von München nach Garmisch gesperrt — aktuell müssen Fahrgäste zwischen Murnau und Garmisch den Bus nehmen. Auch andere Bahnlinien sind bis heute noch nicht befahrbar, etwa die Strecke zwischen Mittenwald und Garmisch sowie die zwischen Penzberg und Kochel. "Da haben vermutlich manche lieber das Auto genommen", analysiert Eiter. Zudem gab es auch bei den Bussen Ärger.

Doch das Problem ist tiefgreifender: Die Bahnstrecke zwischen Mittenwald und München ist eingleisig. Wenn überhaupt fahren Züge dort im Stundentakt, was für viele Ausflügler angesichts mitunter brechend voller Waggons schlicht nicht attraktiv ist. Die Grünen und zahlreiche Kommunalpolitiker verschiedenster Parteien fordern deshalb einen Halbstundentakt auf der Linie.

Der Freistaat Bayern will einen Autotunnel – doch es regt sich Widerstand

Hierfür müsste jedoch die Strecke zumindest zum Großteil zweigleisig werden. Doch die Staatsregierung glänzte in dieser Frage lange mit Untätigkeit. Immerhin: Der Freistaat und die Deutsche Bahn haben im August die Planungen zum zweigleisigen Ausbau eines kleinen Teilbereichs zwischen Uffing und Murnau in Auftrag gegeben.

Lesen Sie auch

Lesen Sie auch

Lesen Sie auch

Lange setzte Bayern auf Autotunnel als Lösung des Verkehrsproblems. Die Grünen kritisieren, diese Strategie sei gescheitert. "Wer Straßen sät, wird Verkehr ernten", sagt Gallmeier. Sie wünscht sich, dass die Bahn radlfreundlicher wird und der Landkreis Garmisch-Partenkirchen mehr Radwege baut. Der örtliche Ableger des Fahrradclubs ADFC beklagt hier "erhebliche Defizite".

"Uns stinkt's": Anwohner in Bayern protestieren gegen den Touristen-Ansturm

Viele Menschen in der Region wollen nicht länger vertröstet werden. Bereits 2020 gab es massive Proteste. Allein in Wallgau gingen Hunderte Menschen gegen die mitunter kilometerlangen Staus auf die Straße. "Uns stinkt's" war auf Transparenten zu lesen. Doch es tat sich in den vergangenen drei Jahren nur wenig. Immerhin wurden ein paar Busverbindungen verbessert.

Zunterer hat kaum noch Hoffnung auf eine dauerhafte Lösung. Sie glaubt, dass der Autoverkehr in die Region, wie von manche Experten prognostiziert, weiter zunehmen wird: "Wir sehen keine Perspektive."

Lädt
Anmelden oder registrieren

Zum Login
Zu meinen Themen hinzufügen

Hinzufügen
Sie haben bereits von 15 Themen gewählt

Bearbeiten
Sie verfolgen dieses Thema bereits

Entfernen
Um "Meine AZ" nutzen zu können, müssen Sie der Datenspeicherung zustimmen.

Zustimmen
 
64 Kommentare
Bitte beachten Sie, dass die Kommentarfunktion unserer Artikel nur 72 Stunden nach Veröffentlichung zur Verfügung steht.
  • Karljörg am 08.09.2023 15:54 Uhr / Bewertung:

    Aber die Touristen sollen möglichst viel Geld - vielleicht autoweise - im Ort lasen.- Aber ohne dort zu parken. Was wollt ihr denn ihr GAP's?

  • Gelegenheitsleserin am 08.09.2023 11:59 Uhr / Bewertung:

    Vielleicht wäre ein Perspektivwechsel hilfreich. Einfach mal versuchen, sich in jemand hineinzuversetzen, der dort "draußen" wohnt ...
    Dass man sich ärgert, wenn man den Stau vor der Nase hat und samstags mit nicht mit dem Auto irgendwohin zum Einkaufen oder sonntags zur Oma fahren kann, weil man sich dafür in den touristischen Stau einreihen muss, ist doch nachvollziehbar.
    Und nicht jeder, der dort wohnt, lebt selbst vom Tourismus und kann diese Touristenmassen als seine Einkommensquelle sehen.
    Auch finde ich die in einigen Kommentaren geäußerte Meinung, die Leute würden dort draußen preiswerter wohnen und sollten deshalb die Nachteile zu ertragen, schon sehr merkwürdig.
    Viele wohnen dort, weil sie schon immer dort zuhause sind, das kann man ihnen doch nicht zum Vorwurf machen.

  • ClimateEmergency am 08.09.2023 10:29 Uhr / Bewertung:

    Ich finde es amüsant, wie so mancher Petrolhead jetzt realisiert, dass die riesige Parkfläche und Autoverkehr in München eher stört.

    Damit legitimieren sie dann, dass sie dann selbst andere mit einer Blechlawine überrollen.

    Ganz nach dem Motto: "Weil wir in der Stadt schon alles durch einen riesigen Parkplatz und Asphalt zerstört haben, damit ihr hier mit dem Auto statt ÖPNV und Fahrrad l aufkreuzen könnt, gönnen wir euch draußen auch nichts mehr"

merken
Nicht mehr merken
X

Sie haben den Inhalt der Merkliste hinzugefügt.