"Wir werden von der Blechlawine überrollt": Overtourism setzt beliebtem Ausflugsziel in Bayern zu
Wallgau — Am vergangenen Wochenende ist es wieder besonders schlimm gewesen. "Der Verkehrslärm war unerträglich", sagt Katharina Zunterer der AZ. Die 37-Jährige lebt im eigentlich malerischen Wallgau unweit von Garmisch-Partenkirchen — mit direktem Blick auf das Bergidyll. Es könnte im Alpenparadies so schön sein, wäre da nicht die Bundesstraße 11. Die viel befahrene Straße verläuft mitten durch das 1.500 Einwohner zählende Örtchen — und unweit von Zunterers Haus.
An diesem Tag muss die Unternehmerin, die ein Gästehaus betreibt, ihr Fenster ebenfalls schließen, damit sie den Anrufer überhaupt verstehen kann. "Gerade braust eine Kolonne von Motorrädern vorbei", sagt Zunterer und fügt hinzu: "Auch die Autoschlangen werden länger. "Es wird immer schlimmer", ist sie überzeugt.
Touristen im Werdenfelser Land: Bei den Anwohnern steigt der Frust
Bastian Eiter berichtet im AZ-Gespräch ebenfalls von "enormen Blechlawinen durch Grainau sowie anderen Teilen der Region in den vergangenen Wochen". Es seien spürbar mehr Autos als in den Sommermonaten zur Vor-Corona-Zeit unterwegs, sagt der Bürgermeister von Wallgau und fügt hinzu: "Für die Menschen bei uns bedeutet das jede Menge Lärm". Die Umweltbelastung durch die Abgase sei enorm.

Vor allem am Wochenende, wenn die Ausflügler massenhaft in die Berge strömen, seien diverse Straßen im Werdenfelser Land "verstopft", so der zum Wallgauer Wählerverein zugehörige Lokalpolitiker.
Ein Teil der Wallgauer freut sich über die riesige Zahl an Ausflüglern und Touristen, die in das Werdenfelser Land strömen und mitunter auch viel Geld in der Region lassen. Doch bei vielen Einheimischen wächst der Frust. Denn der überwiegende Großteil der Erholungssuchenden kommt mit dem Auto.
Viele Touristen kommen mit dem Auto – die Folge: "Die Parkplätze sind oft überfüllt"
"Wir werden von der Blechlawine überrollt", sagt auch Christian Andrä, Zweiter Bürgermeister der Gemeinde Grainau, im AZ-Gespräch. Er kann nach eigener Aussage zwar "vollkommen verstehen, warum die Menschen in Scharen zu uns kommen". Denn man habe mit dem Eibsee und der Höllentalklamm schlicht zwei besonders sehenswerte Touristen-Hotspots vor Ort zu bieten.
Auch freut er sich eigentlich über die vielen Gäste. Doch es kämen einfach "zu viele mit dem Auto. Die Parkplätze sind oft überfüllt", so Andrä, der einer Wählervereinigung angehört. Die auswärtigen Fahrer suchten dann häufig nach anderen Stellplatzmöglichkeiten. "In der Folge ist dann auf vielen Straßen nur noch Stop and Go angesagt."
Tourismus in Bayern: "Belastung für Anwohner und die Natur wieder sehr groß"
Das Zahl der Fahrzeuge an den schönen Tagen vor allem am Wochenende sei "deutlich über der Vor-Corona-Zeit und liegt nur knapp unter dem Niveau des Rekordjahres 2020", berichtet der Kommunalpolitiker. Damals hatte es massive Proteste gegeben.
Weil 2020 viele Auslandsziele pandemiebedingt weggebrochen waren, hatte es weit mehr Menschen aus den Städten in die Berge getrieben. Doch auch in diesem Sommer und Herbst sei die "Belastung für Anwohner und die Natur wieder sehr groß", sagt Andrä.

Gerhard Portele, Dritter Bürgermeister von Farchant, sagt auf AZ-Anfrage: "Das Problem sind die schönen Tage, an denen extrem viele Tagestouristen kommen." In der Folge gebe es mitunter wegen des großen Autoandrangs Tunnelsperrungen.
Die Auswärtigen würden dann durch diverse Seitenstraßen fahren. "Es ist eine Zumutung, wenn die Blechlawine durch Farchant rollt. Die Menschen hier haben dann auch Sorge, dass es im Ernstfall kein Durchkommen für einen Rettungswagen gibt", so der Freie-Wähler-Politiker. Er konstatiert einen "dringenden Handlungsbedarf".
Kommunalpolitiker fordern bessere ÖPNV-Verbindungen in der Region
Diesen sieht auch Irmi Gallmeier, Sprecherin des Kreisverbands Garmisch-Partenkirchen. Sie fordert die Staatsregierung auf, endlich für eine bessere ÖPNV-Anbindung der Region zu sorgen. "Die Menschen leiden unter den Blechlawinen", sagt sie der AZ. Die Grünen-Politikerin verweist auf eine Befragung der dortigen Bevölkerung im Jahr 2021: 94 Prozent der Teilnehmer gaben damals an, dass der Verkehr das drängendste Problem des Tourismus sei.
Eine Ursache dafür, dass zuletzt besonders viele Ausflügler mit dem Auto ins Werdenfelser Land kamen, ist nach Ansicht von Bürgermeister Eiter und anderen Kommunalpolitikern die zuletzt noch schlechtere ÖPNV-Anbindung als ohnehin schon.
Bahnstecke zwischen München und Garmisch gesperrt: Ausflügler steigen aufs Auto um
So waren seit Monaten ein ums andere Mal Teile der Bahnstrecke von München nach Garmisch gesperrt — aktuell müssen Fahrgäste zwischen Murnau und Garmisch den Bus nehmen. Auch andere Bahnlinien sind bis heute noch nicht befahrbar, etwa die Strecke zwischen Mittenwald und Garmisch sowie die zwischen Penzberg und Kochel. "Da haben vermutlich manche lieber das Auto genommen", analysiert Eiter. Zudem gab es auch bei den Bussen Ärger.
Doch das Problem ist tiefgreifender: Die Bahnstrecke zwischen Mittenwald und München ist eingleisig. Wenn überhaupt fahren Züge dort im Stundentakt, was für viele Ausflügler angesichts mitunter brechend voller Waggons schlicht nicht attraktiv ist. Die Grünen und zahlreiche Kommunalpolitiker verschiedenster Parteien fordern deshalb einen Halbstundentakt auf der Linie.
Der Freistaat Bayern will einen Autotunnel – doch es regt sich Widerstand
Hierfür müsste jedoch die Strecke zumindest zum Großteil zweigleisig werden. Doch die Staatsregierung glänzte in dieser Frage lange mit Untätigkeit. Immerhin: Der Freistaat und die Deutsche Bahn haben im August die Planungen zum zweigleisigen Ausbau eines kleinen Teilbereichs zwischen Uffing und Murnau in Auftrag gegeben.
Lange setzte Bayern auf Autotunnel als Lösung des Verkehrsproblems. Die Grünen kritisieren, diese Strategie sei gescheitert. "Wer Straßen sät, wird Verkehr ernten", sagt Gallmeier. Sie wünscht sich, dass die Bahn radlfreundlicher wird und der Landkreis Garmisch-Partenkirchen mehr Radwege baut. Der örtliche Ableger des Fahrradclubs ADFC beklagt hier "erhebliche Defizite".
"Uns stinkt's": Anwohner in Bayern protestieren gegen den Touristen-Ansturm
Viele Menschen in der Region wollen nicht länger vertröstet werden. Bereits 2020 gab es massive Proteste. Allein in Wallgau gingen Hunderte Menschen gegen die mitunter kilometerlangen Staus auf die Straße. "Uns stinkt's" war auf Transparenten zu lesen. Doch es tat sich in den vergangenen drei Jahren nur wenig. Immerhin wurden ein paar Busverbindungen verbessert.
Zunterer hat kaum noch Hoffnung auf eine dauerhafte Lösung. Sie glaubt, dass der Autoverkehr in die Region, wie von manche Experten prognostiziert, weiter zunehmen wird: "Wir sehen keine Perspektive."
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