Wie Bayern Albanien beim EU-Beitritt hilft – und was der Freistaat dafür erwartet
Tirana - Zur Mittagszeit sind die meisten Sitzplätze auf dem Franz-Josef-Strauß-Platz besetzt. Viele spielen Domino oder Schach. Albaner aller Generationen kommen hier zusammen, sagt Anuela Ristani, die stellvertretende Bürgermeisterin von Tirana, der Hauptstadt des Balkanstaats. Viele Tiraner wissen zumindest grob, dass der Platz etwas mit einem Politiker aus Bayern zu hat, erzählt Ristani. Das bestätigt auch ein Einheimischer im Gespräch mit der AZ.

Bayern und Albanien: Auf den Spuren von Franz Josef Strauß
Was Franz Josef Strauß für Albanien so besonders macht: 1984 reiste er als erster westdeutscher Politiker in das Land, um den Eisernen Vorhang aufzuziehen. Offiziell nur als Privatperson, denn das Land war damals eine vom Rest der Welt abgeriegelte Diktatur. Mit dieser Reise begründete das Bayern-Urgestein die Beziehungen des Freistaats zu Albanien.
Um diese von beiden Seiten ausgerufene "Freundschaft" zu bekräftigen, ließ Ministerpräsident Markus Söder (CSU) das Straßenschild im vergangenen Jahr erneuern. Auch die Vereinigung der bayerischen Wirtschaft (vbw) unterhält in Tirana seit knapp einem Jahr ein eigenes Büro, um die Zusammenarbeit zwischen den Unternehmen beider Länder zu fördern. 2023 hat der bayerische Export in das Land um überdurchschnittliche 8,1 Prozent zugenommen.

Mit einer Delegation aus Wirtschaftsvertretern ist Europaminister Eric Beißwenger (CSU) zusammen mit der vbw am Dienstag nach Albanien gereist, um konkrete Projekte festzuzurren. Albanien möchte "bald Teil der EU-Familie" werden, sagt Außenminister Igli Hasanilaut. Auf den ersten Blick wirkt das Land jedoch wirtschaftlich wenig interessant: Mit einem BIP von knapp 18 Milliarden Euro gehört es zu den Schlusslichtern in Europa. Doch es wächst: 2023 ist das BIP um 3,6 Prozent gestiegen (dritthöchste Rate).
Bayerischer Europaminister Eric Beißwenger (CSU): "Da ist Bayern neidisch"
Für vbw-Präsident Wolfram Hatz ist Albanien "der Schlüssel für den Westbalkan". Die bayerische Wirtschaft sieht Investitionspotenzial in den Sektoren Erneuerbare Energien, Tourismus, Landwirtschaft und IT. Albanien deckt seinen Strombedarf zu 100 Prozent grün – 99,3 Prozent durch Wasserkraft. "Da ist Bayern neidisch", sagt Beißwenger mit einem Augenzwinkern.
Das Ziel Albaniens: die Versorgung durch mehr Wind- und Solarkraft diversifizieren. Das will die bayerische Seite finanziell unterstützen und erhofft sich langfristig auch Importe von sauberer Energie. Besonders interessant für die bayerische Industrie sind die Wasserstoffvorkommen, die Anfang des Jahres in Albanien entdeckt wurden. Mindestens 200 Tonnen nahezu reiner Wasserstoff sollen hier pro Jahr austreten.
In den Gesprächen zwischen albanischen Politikern und den bayerischen Delegierten einigten sie sich, ein duales Ausbildungssystem in Tirana durch Berufsschulen gemeinsam zu etablieren, um so schnell Fachkräfte für die Energiewirtschaft zu rekrutieren. Zugleich erhofft sich die bayerische Wirtschaft, einige Albaner in verschiedenen Branchen im Freistaat ausbilden zu können. Und so Unternehmen beim Fachkräftemangel zu unterstützen, sagt Hatz.
"Sie helfen auch der albanischen Wirtschaft, wenn sie zurückkehren und ihre gesammelten Erfahrungen in den Betrieben vor Ort einbringen können." Die Gefahr, die hier jedoch besteht: Sind Fachkräfte erstmal ins Ausland abgewandert und haben dort eine Beschäftigung gefunden, kehren sie womöglich nicht mehr zurück. Etwa drei bis vier Millionen Albaner leben bereits im Ausland – so viele wie im Land selbst wohnen.
"Albanien ist ein wichtiger Stabilitätsanker", sagt Europaminister Beißwenger
Albanien ist aber nicht nur von wirtschaftlichem, sondern auch von geopolitischem Interesse. Europaminister Beißwenger sagt dazu: "Das Land ist ein wichtiger Stabilitätsanker und eines der am weitesten fortgeschrittenen Länder auf dem Westbalkan. Die Regierung von Premierminister Edi Rama steht für einen klaren Kurs der Westbindung." Gerade wegen der politischen Unruhen in der Region, wie zuletzt die Spannungen zwischen Kosovo und Serbien, müsse der Westen dort präsent bleiben.
Und dann wäre da noch die Migrationsfrage, bei der Albanien helfen kann. Erst kürzlich hat Söder bei seinem Besuch bei Italiens Regierungschefin Giorgia Meloni den Flüchtlings-Deal mit Albanien gelobt: Dieser sieht vor, dass die Asylanträge in einem Aufnahmezentrum auf albanischen Boden – also außerhalb der EU – bearbeitet und die Menschen erst bei positivem Bescheid nach Italien einreisen dürfen. Dieses Angebot haben Premierminister Rama und Außenminister Hasanilaut laut Beißwenger auch an Deutschland ausgesprochen. "Albanien ist bereit, Probleme zu lösen, die eigentlich Probleme der EU sind", sagt der Europaminister.

In die will der Balkanstaat schließlich rein. "Albanien erfüllt die Beitrittskriterien", sagt er. Ein Beitritt müsse "forciert" werden. Aber wie kann Bayern neben der wirtschaftlichen Förderungen helfen? Zum einen stellt die CSU den Fraktionsvorsitzenden der EVP im Europäischen Parlament (Manfred Weber). Zum anderen hat Bayern als sechstgrößte Volkswirtschaft in der EU enormen Einfluss. Mit eigenem vbw-Büro in Brüssel könne Bayern gezielt für einen EU-Beitritt Albaniens lobbyieren.