Weiße Rosen und Kerzen für Hitler: Obersalzberg kämpft gegen Rechtsextremisten

Immer wieder zieht es Rechtsextremisten nach Obersalzberg. Eine neue Veranstaltung soll über braune Gesinnung in Sozialen Medien und in der Pop-Kultur aufklären.
Kilian Pfeiffer |
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Dieses Bild von Hitlers Residenz am Obersalzberg ist Mitte der 1930er-Jahre entstanden. Bis heute reisen Rechtsextreme an den Ort.
Dieses Bild von Hitlers Residenz am Obersalzberg ist Mitte der 1930er-Jahre entstanden. Bis heute reisen Rechtsextreme an den Ort. © imago

München – Sonja Herzl (37) kramt in einer Schublade. Darin: eine Handvoll Kerzen, jede Menge Infomaterial und Bilder, die davon zeugen, dass sich hin und wieder doch noch Menschen mit rechter Gesinnung am Obersalzberg herumtreiben. Ein hastig in den Baumstamm geritztes Hakenkreuz, eine Filzstiftkritzelei, in der der Holocaust auf Englisch als "Lie" (Lüge) bezeichnet wird. Oder ein selbstgemaltes Hitler-Konterfei mit Pistole und Orden.

Drei- bis viermal die Woche machen sich Mitarbeiter zu Fuß zum Berghof auf, um nach dem Rechten zu schauen – und nach tatsächlichen Rechten. Diese auf frischer Tat zu ertappen, das gelinge kaum. Zwar seien die Vorfälle weniger geworden, genauso wie die rechten Gästebucheinträge, sagt Herzl. Dennoch gibt es sie – vor allem an gewissen Tagen im Jahr.

Rechtsextreme gedenken Hitler an seinem Geburtstag

Hitlers Geburtstag am 20. April ist so ein Tag. Dieses Mal wurden die Mitarbeiter der Dokumentation Obersalzberg bei ihrer Visite wieder fündig: Zwei brennende rote Grabkerzen hatten Unbekannte beim Berghof aufgestellt. Immerhin keine Kränze, keine Blumen. Man muss wissen: Das Berghofgelände liegt nur fünf Minuten von der Dokumentation Obersalzberg entfernt. Bis auf eine Infotafel fehlt es hier an weiterer Aufklärung.

Auch Hitlers Geburtshaus in Braunau am Inn (Oberösterreich) wird am 20. April zum Magnet für Rechtsextreme. Zwei Paare im Alter zwischen 24 und 31 Jahren aus Plattling (Landkreis Deggendorf) wollten an dem Tag weiße Rosen niederlegen.

30 Besucher tummeln sich Anfang der Woche auf dem Berghof-Gelände am Obersalzberg. Die meisten zücken ihre Handys, machen Selfies vom schönen Ausblick und vor den historischen Hangstützmauern. Seit Jahren gibt es Vorstöße, das Gelände in das Gesamtkonzept besser zu integrieren, etwa mit einem Audioguide.

Zahlreiche Aufklärungsangebote am Obersalzberg: "Versuchen mit Bildungsarbeit an die Menschen heranzukommen"

Mittlerweile gibt es einen geführten Rundgang für Besucher der Dokumentation Obersalzberg. Allerdings muss da noch mehr passieren. Herzl zeigt das neue Bildungszentrum der Dokumentation Obersalzberg. Tische und Stühle stehen hier sowie eine Arbeitswand. Vor der Tür reiht sich meterlang ausgewählte Literatur zum Nationalsozialismus. Einst war im Haus die alte Dokumentation untergebracht, jene Erfolgsausstellung mit mehr als drei Millionen Besuchern.

Seit gegenüber die Neue eröffnet hat, haben die Mitarbeiter des Instituts für Zeitgeschichte Raum für mehr Bildung – und damit deutlich mehr Möglichkeiten. "Mit der Bildungsarbeit versuchen wir, an die Menschen heranzukommen", sagt Herzl.

"Rechtsextremismus unter der Lupe" heißt eine neue Veranstaltung. In klarer Sprache und mit neuen Erkenntnissen versehen, wagt man sich an alte Probleme: Woran erkennt man Rechtsextremismus? Welche Codes existieren dafür? Wie hat sich das Auftreten im Laufe der Jahre gewandelt? Wie findig muss man sein, um Rechtsextremismus in den Weiten der Social Media-Welt zu erkennen?

Rechtsextreme Codes und Fantasien: Unterwanderung von verschiedenen Bereichen

"Wir betrachten nicht nur Rechtsextremismus in Sachen Kleidung, sondern auch etwa in der Musik, bei Social Media oder im Umwelt- und Naturschutz." Eine professionalisierte Unterwanderung habe stattgefunden.

Neue Ästhetiken gebe es nicht nur in der Mode, sondern auch in der braunen Pop-Kultur- und in der rechtsextremen Musik-Szene. "Die AfD betrachtet Social Media als ihren Spielplatz und ist dort sehr erfolgreich", sagt Herzl. Insgesamt gesehen, habe man es mit einer "Umformierung und einer neuen Uninformiertheit zu tun", fasst die Bildungsreferentin zusammen.

Das Institut für Zeitgeschichte München (IfZ) investiert viel Zeit und Teamstärke in Aufklärungsarbeit, aber auch in die Schulung der Mitarbeiter. Kooperationen mit weiteren Bildungseinrichtungen wie der Bayerischen Informationsstelle gegen Extremismus (BIGE) oder der Mobilen Beratung Bayern sind nur ein kleiner Part in der forcierten Aufklärungsarbeit am Berg.

Erst kürzlich war eine 20-köpfige Schulklasse aus Niedersachsen zu Besuch. Es gab sogar eine Gruppenarbeit, die sich mit dem wieder erstarkenden Phänomen des Rechtsextremismus beschäftigte. "Die Jugendlichen hatten viel Ahnung von dem, was sie sagten", resümiert Herzl. "Wir eröffnen Möglichkeiten für Handlungsspielräume", sagt sie.

Nazis sind heute schwerer zu erkennen: "Der Style der Rechten existiert nicht mehr"

Mit fünf Bildungsreferenten ist die Dokumentation Obersalzberg so gut aufgestellt wie noch nie. Die Arbeit soll stets an aktuelle Entwicklungen angepasst werden. Eine Frage ist aber noch unklar: Wann wird das Berghofgelände, das einst Hitler gehörte, als Originalschauplatz noch enger in die Arbeit dieses Lern- und Erinnerungsortes eingebunden?

Früher sei es einfacher gewesen, Menschen mit rechter Gesinnung sofort zu erkennen, sagt Herzl. "Der klassische Nazi mit Glatze, Bomberjacke und Springerstiefeln. Den gab es vor allem in den 1990er-Jahren." Beispielsweise "HKN KRZ"-Prints auf Pullis vom rechtsextremen Modelabel "Ansgar Aryan" aus Thüringen, die in Online-Shops vertrieben werden.

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Diese Kleidung tragen immer weniger Leute, weil sie zu offensichtlich ist. "Der Style der Rechten existiert nicht mehr", sagt Herzl. Heutzutage könne man über Kleidungsstil und Aussehen keine Rückschlüsse mehr ziehen, wie der Mensch ticke. Gut möglich, dass Leute des rechten Spektrums auch Klamotten aus dem linken tragen, sagt sie. 

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