Luxus-Hotelbau an Tourismus-Hotspot in Bayern – großer Ärger mit den Anwohnern
München/Chiemsee – Niemand ist gerne selbst der Tourist. Klar, jeder will reisen, aber dabei die besuchten Orte am liebsten so auffinden, als wären sie noch unberührt von der weltweiten Tourismusindustrie. Wer etwa nach Venedig fährt, will unbeschwert durch Gassen schlendern und La Dolce Vita fühlen und nicht, dass andere Touristen einem andauernd auf die Füße treten.
Dieses Unberührte schätzen auch viele Besucher, die zum Chiemsee kommen, sagt Helge Holzer, Vorsitzende der Initiative "Rettet den Chiemsee", der AZ. "Wir kommen doch her, weil es bei euch anders ist!", berichtet Holzer, was Touristen sagten. Sie wollen keinen zweiten Tegernsee oder Schliersee. Das heißt: Sie wollen kein Mega-Hotel und eine daraus folgende Flut an Touristen.
"Große Bedenken": Altes Hotel Malerwinkel am Chiemsee soll vergrößert werden
Genau so eines ist jedoch geplant. Das beschauliche, 30 Zimmer große Hotel Malerwinkel vor dem Uferbereich soll einem Neubau mit 74 Zimmern, Wellness- und Spa-Bereich sowie Tiefgarage weichen. "Das Nette ist doch am Chiemsee, dass er wirklich ländlich und noch nicht so aufgetakelt ist", sagt Holzer. Sie befürchtet eine Kettenreaktion am Chiemsee, wenn der Neubau durchgeht. Weitere Großprojekte würden daraufhin folgen.
"Wir haben einfach große Bedenken, dass einem anderen Tourismus Tür und Tor geöffnet wird", sagt Holzer. "So ein Hotel wird sicherlich zusätzlich Leute anziehen", schätzt auch Marion Uber von der Initiative "Rettet den Malerwinkel", einer Untergruppierung von "Rettet den Chiemsee". "Riesen-Hotelkomplexe passen nicht zum Chiemsee", sagt sie der AZ.
Wollen kein "Mallorca-Feeling": Bürgerinitiativen befürchten verändertes Landschaftsbild
Seeon-Seebrucks Bürgermeister Martin Bartlweber (Freie Wähler) sieht die Gefahr von "Overtourism", also mehr Tourismus als die Region vertragen kann, überhaupt nicht. "Wir wollen ja nicht, dass Mallorca-Feeling entsteht", sagt er der AZ. Auch den Vergleich zu Hotelprojekten wie am Schliersee oder in Berchtesgaden mit 150 bis 200 Zimmern will er nicht ziehen. "Das sind hier 74 Zimmer, die angeboten werden. Das ist doch eine andere Hausnummer."
Die Kritik der Bürgerinitiativen geht jedoch über den Tourismus-Aspekt weit hinaus: "Das Hotel ist zu groß für die Landschaft. Das ganze Landschaftsbild wird sich dadurch komplett verändern", sorgt sich Uber. Ihre Initiative sei gar nicht gegen einen Neubau, sondern gegen die geplante Dimension: "Das ist von der Fläche her fast das Dreifache und auch noch deutlich höher."
Umweltschutzverband Alztal stellt Hotel in Grafik dar: "Leute waren entsetzt über die Größe"
Um zu sehen, wie groß das Gebäude am Ende wirkt, stellten sie einen Bürgerantrag auf ein Phantomgerüst. Der wurde jedoch Anfang des Jahres abgelehnt. "Das ist für einen Hotelkomplex nicht zielführend, man kann den Malerwinkel nicht mit Dachlatten nachbauen", erklärt Bürgermeister Bartlweber die Entscheidung des Gemeinderats. "Wir brauchen stattdessen realistische Fotovisualisierung." Die will er bei der finalen Sondersitzung im März vorlegen.
Der Umweltschutzverband Alztal (UVA) hat indes schon eine Visualisierung angefertigt. "Die Leute waren erstaunt und entsetzt über die Größe", berichtet Uber von den anschließenden Reaktionen. Auch der UVA kritisiert das Projekt scharf. Dieser sieht erhebliche Gefährdungen für viele Tier- und Pflanzenarten und hält den Boden für den Bau einer Tiefgarage ungeeignet. "Diese Tiefgründungen würden nach Ansicht des UVA ein Durchstoßen der wasserundurchlässigen Schichten des Chiemsee-Beckens bewirken", heißt es in einer Stellungnahme an den Bürgermeister.

Dieser beteuert hingegen, dass der Gemeinderat nicht vorhabe, Natur zu zerstören. "Ich als Bürgermeister verstehe die Angst der Leute vor Veränderung. Fakt ist aber auch, dass mit dem jetzigen Bestand das einfach wirtschaftlich nicht funktioniert." Das heißt: Es braucht ein großes Hotel, das durch einen Wellness- und Spa-Bereich auch ganzjährig betrieben werden könne. Alles andere sei nicht wirtschaftlich.
"Meine Volksbank Raiffeisenbank" will durch Hotel Arbeitsplätze schaffen und den Tourismus ankurbeln
Auch der Investor hinter dem neuen Hotelbau, die "meine Volksbank Raiffeisenbank" (VR) Rosenheim, sieht die Natur nicht in Gefahr: "Gegenüber den ersten Entwürfen und Planungen hat sich das Projekt inzwischen deutlich weiterentwickelt und verschlankt: Unter anderem wurden der Bodeneingriff reduziert und nur mehr eine Ebene Tiefgarage vorgesehen", sagt Wolfgang Altmüller, Vorstand der VR Rosenheim, der AZ. Er verspricht sich von dem Projekt "Stärkung des lokalen Tourismus, Schaffung von Arbeitsplätzen und regionale Wertschöpfung".
Von der Sondersitzung erhofft sich der UVA wenig: "Die Chancen, dass unsere Kritikpunkte berücksichtigt werden, stehen demnach bei Null", sagt der Zweite Vorsitzende Gerd Raepple der AZ. Diese Vermutung bestätigt der Bürgermeister selbst: Er geht davon aus, dass der derzeitige Plan auch umgesetzt werde und das Hotel Ende 2026 den Betrieb aufnehmen kann.
Ist dieser erstmal beschlossen, wollen UVA und die Bürgerinitiativen jedoch Klage erheben. Der Kampf um den "Charakter des Chiemsees" geht dann in die nächste Runde.
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