Tierwohl-Skandal? Tierschützer erheben schwere Vorwürfe – Was die Molkerei dazu sagt
Berchtesgadener Land - Knapp eine halbe Million Aufrufe hat das rund eineinhalb minütige Video der Tierschutzorganisation Animal Rights Watch (Ariwa) bereits, in dem Aktivisten den Milchtransportern der Molkerei Berchtesgadener Land mit Sitz in Piding (Landkreis Berchtesgadener Land) zu den Höfen folgen und dort heimlich filmen. Aufgenommen haben sie dort Videomaterial, das nun als Kurzclip für viel Aufsehen im Netz sorgt.

Hunderte Kommentare, Tausende Likes - die Molkerei sieht sich unter Beschuss. Man sei von den aufgenommenen Videos überrascht gewesen, sagt eine Sprecherin. Dort wird das Material als "Kampagne" eingeordnet. Die genossenschaftlich organisierte Molkerei gehört rund 1600 Landwirten, die zwischen Watzmann und Zugspitze entlang des Alpenkamms Milch produzieren.
Tierschützer fordern Tierhalteverbot für Molkerei im Berchtesgadener Land
Die Vorwürfe sind massiv: "Echt gut? Festgebunden und ausgebeutet für Berchtesgadener Land", heißt es in dem Video, in dem unter anderem das Fixieren von Kuhschwänzen kritisiert wird. "Der Kuhschwanz darf nur kurzzeitig, wie etwa bei tierärztlichen Untersuchungen, hochgebunden werden", so Scarlett Treml, eine Sprecherin von Animal Rights Watch, auf Nachfrage der AZ. "Dass diese Praxis aus Gründen der Arbeitserleichterung aber offenbar routinemäßig und über längere Dauer gemacht wird, bestätigen unsere Aufnahmen."
Die Aktivisten haben zwei angebundene Kälbchen dokumentiert. "Die Tierschutznutztierhaltungsverordnung verbietet das Anbinden von Rindern unter sechs Monate ausdrücklich", sagt Treml. An das zuständige Veterinäramt sei eine Meldung ergangen. Gegen alle vier Betriebe sei Strafanzeige erstattet worden. Ariwa fordert "die Verhängung eines Tierhalteverbots gegen die Verantwortlichen". Von den betroffenen Landwirten habe es keine Reaktion gegeben.
Tierschützer erheben schwere Vorwürfe gegen Molkerei im Berchtesgadener Land
Aber: "Wir sind gesprächsoffen", sagt die Sprecherin. Weitere Missstände, auf die die Tierschützer aufmerksam machen, seien neben der Anbindehaltung "hochgradig verschmutzte Tiere", die "an einem Platz im Stall stehen, liegen, essen, ruhen, urinieren, koten und leben müssen und demnach ständig ihren eigenen Fäkalien ausgesetzt sind", prangert die Ariwa-Sprecherin an. "Abgenutzte Gummimatten, harte Betonböden: Oft stehen die Tiere mit ihren empfindlichen Klauen auf dem Kotgitter oder aber sie liegen mit ihren Eutern darauf."

Nach Information der AZ sind die im Video gezeigten Höfe in Irschenberg, Bad Wiessee und Rottach-Egern beheimatet. Dabei handelt es sich um drei konventionelle Betriebe, einer ist ein ökologisch wirtschaftender Naturland-Betrieb. "Es sind kleine bäuerliche Familienbetriebe mit 15 bis 28 Kühen mit sehr engem Mensch-Tier-Kontakt, die Kombinationshaltung in der Alpenregion betreiben", sagt eine Molkerei-Sprecherin. Man nehme jede Kritik ernst. Bei der Kombinationshaltung sind die Kühe im Winter im Stall angebunden und zwischen Mai und Oktober "an mindestens 120 Tagen auf der Weide".
"Berchtesgadener Land gaukelt eine Tierwohl-Idylle vor", sagen die Tierschützer
Die Tierschutzorganisation hat darauf verzichtet, die Molkerei zu kontaktieren. "In den allermeisten Fällen bekommt man hier Standardantworten, die nichts als PR-Maßnahmen sind", heißt es bei Ariwa. "Wir sehen in unseren Aufnahmen, dass Berchtesgadener Land uns eine Tierwohl-Idylle vorgaukelt, die mit der Realität leider nicht viel zu tun hat."
Die Molkerei Berchtesgadener Land teilt mit, dass Milch aus ganzjähriger Anbindehaltung nicht verarbeitet werde. Auf die Vorwürfe von Ariwa hin habe man die Höfe schnell ausfindig gemacht sowie Hofberater ausgesandt. "Wir fanden sehr saubere Ställe vor", schreibt die Molkerei-Sprecherin. Auch die Tiere seien in einem "sehr guten und sauberen Zustand" angetroffen worden. Die Bänder zur Schwanzfixierung in den betroffenen Betrieben seien inzwischen entfernt worden. Im monatlichen Erzeuger-Rundschreiben wolle man an die Milch liefernden Betriebe die "dringende Empfehlung" abgeben, von der Schwanzfixierung als Maßnahme zukünftig abzusehen.
Zwei der konventionellen und der Bio-Betrieb (Naturland) sind in der Planungsphase für einen neuen Stall. Einer von ihnen habe "während der Reinigung der Boxen Kälber für kurze Zeit angebunden", teilt die Molkerei mit. Auch beim Bayerischen Bauernverband, der die Landwirte vertritt, gibt man sich überrascht. Die Tierschutzorganisation habe sich im Vorfeld nicht an den Verband gewandt, bestätigt ein Mitarbeiter der AZ. Rund die Hälfte der 25.000 Milchviehbetriebe in Bayern hält ihre Tiere in der von Ariwa kritisierten Anbindehaltung, sagt Markus Drexler, Leiter Querschnittsbereich Kommunikation beim Bayerischen Bauernverband.
Das entspricht rund 30 Prozent der Kühe und 25 Prozent der Milchmenge. Die gesellschaftliche Bedeutung der kleinen Milchviehbetriebe mit Anbindehaltung sei sowohl für die Landschaftspflege als auch für die Bewirtschaftung von Grünland im Alpengebiet groß. "Es sind gerade diese Betriebe, die kleinteilige Grünlandflächen, Hanglagen und andere ökologisch wertvolle Grenzstandorte pflegen", sagt Markus Drexler. Maximal zehn Jahre soll es die Anbindehaltung noch geben, danach ist maximal die Kombinationshaltung erlaubt.
Der Bayerische Bauernverband teilt mit: "Wenn diese Betriebe aus der Milcherzeugung ausscheiden, würde die Bewirtschaftung vieler dieser Flächen aufgegeben werden." Dies wäre dann ein "großer Verlust" für die bayerische Kulturlandschaft. "Das im Kurzfilm gezeigte Material ist destruktiv und hilft keinem Tier", sagt der Geschäftsführer des Verbands Traunstein, Martin Huber. Ariwa-Sprecherin Scarlett Treml sagt dazu: "Milch ist ein Produkt, das ohne Leid nicht entstehen kann. Selbst was erlaubt, also legal ist, ist nicht legitim." Weiter sagt sie: "Das einzig Richtige, was das Molkerei-Unternehmen nun tun kann, ist, die Werke umzustellen und auf die Produktion zukunftsfester Milchalternativen zu setzen - wie etwa Hafermilch."
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