SPDler Greiner und Grötsch im Interview: "Gerechtigkeit, kein Geschwurbel"
München - AZ-Interview mit Ramona Greiner und Uli Grötsch: Der Polizist aus Weiden sitzt seit 2013 im Bundestag und ist seit 2017 Generalsekretär der Bayern-SPD. Am Samstag stellt sich der 45-Jährige als Landesvorsitzender zur Wahl.
Die 34-jährige Digitalisierungsexpertin und Vize-Chefin der Oberbayern-Jusos aus Unterhaching tritt als neue Generalsekretärin an. Ihre Konkurrenten: Ronja Endres und Florian von Brunn, die eine Doppelspitze bilden wollen.
AZ: Frau Greiner, Herr Grötsch, Sie treten zwar im Team an, bewerben sich jedoch für die Ämter der Generalsekretärin und des Vorsitzenden - warum wollten Sie keine Doppelspitze bilden?
RAMONA GREINER: Darüber haben wir uns natürlich Gedanken gemacht, uns dann aber für dieses Modell entschieden. Wir glauben, dass es exakt das ist, was die Bayern-SPD im Moment braucht.
Ramona Greiner: "Uli Grötsch prägt das Leitbild der SPD"
Inwiefern?
RG: Einerseits beschließen wir auf dem Parteitag vermutlich eine Verschlankung des Vorstands, weil die Arbeit in den Gremien ohnehin schon sehr viel Zeit frisst, die wir besser draußen bei den Menschen und mit inhaltlicher Arbeit verbringen könnten. Hinzu kommt: Wenn man sich umhört, wer die beiden Vorsitzenden der Grünen in Bayern sind, hört man in der Regel nicht viel. Deshalb ist es richtig, mit Uli Grötsch einen Vorsitzenden zu haben, der im Zentrum steht und das Leitbild der SPD prägt.
Ramona Greiner: Partei-Management im Hintergrund
Wie sehen Sie Ihre Aufgabe?
RG: Wir sind eine mitgliederstarke Partei mit vielen Ortsvereinen und Gliederungen, die unser Herzstück sind, die wir aber dringend besser miteinander vernetzen müssen. In der organisationspolitischen Kommission und dem Fachforum Digitalisierung haben Uli und ich in den vergangenen Jahren dabei viele Meter gemacht. Diesen Weg würden wir gemeinsam gerne weitergehen. Ich bringe durch meinen beruflichen Hintergrund die Expertise und das Know How für den Job der Generalsekretärin mit: Organisationsentwicklung, Prozessoptimierung und Strategieentwicklung. Deswegen war für uns klar, dass wir den Bundestagsabgeordneten und erfahrenen Politiker, der Bayern so gut kennt wie sonst niemand aus dem gesamten Bewerberfeld, an die Spitze stellen - und ich das Partei-Management im Hintergrund übernehme.
"Digitale Themen und der Datenschutz - das treibt uns doch alle um"
Sie sind unter anderem Expertin für Digitales Marketing, Datenschutz sowie Digitalisierungsethik. Geschieht in der SPD auf diesem, vergleichsweise jungen Feld, genug?
RG: Nein. Da haben wir auf allen Ebenen aufzuholen - genau wie die anderen Parteien. Deshalb ist es gut, jemanden an der Spitze zu haben, der sich wirklich mit Digitalisierung auskennt, mit der Anwendung, aber auch mit den ethischen Fragen zur Datenverwendung und daraus Lösungen entwickeln kann. Zum Thema Datenschutz etwa, das uns ja alle umtreibt, habe ich gerade erst ein Buch geschrieben. Wie Behörden mit unseren Daten umgehen, die digitale Patientenakte und bald auch der digitale Impfausweis sind Themen, die die Menschen beschäftigen.
Auf Ihrer gemeinsamen Homepage schreiben Sie, dass Sie die SPD zurück in die erste Reihe der Politik führen wollen. Ausgehend von den aktuell sieben Prozent Zustimmung ist das ein weiter Weg. Wie wollen Sie den bewältigen?
ULI GRÖTSCH: Das ist der Anspruch der Sozialdemokratie: Ganz vorne zu stehen und die Zukunft des Landes oder des Freistaates Bayern maßgeblich mitzubestimmen - und dafür kämpfen wir.
"Wir wollen uns auch beim Thema Stadt-Land-Gefälle einbringen"
Mit welchen Themen?
UG: Wir sind als SPD das Original in den Politikfeldern Arbeit und soziale Gerechtigkeit. Wenn wir in diesem Zusammenhang etwa an die bayerischen Industrie-Arbeitsplätze denken, geht es darum, sie digital und klimaneutral in die Zukunft zu überführen. Das ist unser Auftrag, den wir gemeinsam mit den Gewerkschaften erfüllen werden.
RG: Wir wollen uns auch beim Thema Stadt-Land-Gefälle einbringen. Wir kommen beide vom Land - Uli aus der Oberpfalz, ich aus Oberfranken - und kennen das Leben dort ebenso wie das Leben in Metropolen. Das Stadt-Land-Gefälle führt in den Metropolen zu Zuzugsdruck, explodierenden Mieten, Flächenfraß und -versiegelung. Auf der anderen Seite entsteht auf dem Land Leerstand, schwinden die Freizeitmöglichkeiten. Dabei würden viele Leute gerne auf dem Land leben, können es aber aus beruflichen Gründen nicht, weil das Internet nicht ausreichend aufgebaut ist. Oder sie tun es nicht, weil der Mangel an Freizeitaktivitäten die Attraktivität schmälert.
Wie wollen Sie das ändern?
RG: Da müssen wir Ausgleich schaffen - zum Beispiel, indem man den ÖPNV ausbaut und Land und Stadt wieder besser verbindet. Wenn dann Leute aus der Stadt zurück aufs Land ziehen, werden sich dort auch wieder Restaurants und Kinos ansiedeln, und die Lebensqualität wird aufgewertet. So können wir als Gesellschaft insgesamt stärker werden. Schließlich sind wir ein großes Bundesland, das sehr unterschiedlich strukturiert ist. Dazu gehört aber auch, dass man nicht mit der Gießkanne von München aus Wahlkämpfe in die breite Fläche streut. Wir müssen regional Wahlkampf machen, mit den Themen, die den Leuten vor Ort unter den Nägeln brennen.
UG: Als langjähriger Kommunalpolitiker - ich war 15 Jahre lang Gemeinderat in meiner Heimatgemeinde, bin seit 2008 Kreisrat in Neustadt an der Waldnaab - sind für mich natürlich auch die Kommunen ein großes Thema. Deshalb haben Ramona und ich einen Covid-19-Marshall-Plan für Bayern aufgestellt.
"Wir müssen die Kaufkraft der Menschen stabilisieren"
In dem Sie was genau vorschlagen?
UG: Ein ganz wichtiger Punkt ist die Stabilisierung der Kaufkraft der Menschen. Das fängt bei zwölf Euro Mindestlohn an, geht über die Allgemeinverbindlichkeit von Tarifverträgen und einen höheren Steuerfreibetrag für Privatpersonen bis hin zur finanziellen Situation der Kommunen. Es geht um Pflege, Klimaschutz, intensiv und wirksam, einmal querbeet.
Sie sind seit 2017 Generalsekretär der Bayern-SPD. Warum ist es in dieser Zeit nicht gelungen, stärkere Akzente zu setzen - auch in den genannten Punkten?
UG: Ich glaube, dass wir unsere Themen viel stärker über alle Ebenen spielen müssen, um damit sichtbar zu werden. Ein Beispiel dafür ist die Bildungs- und Schulpolitik in der Corona-Pandemie: Das hat einen kommunalpolitischen Aspekt in der Fläche, einen landespolitischen Aspekt - nämlich die Frage, ob Schule nur aufs Berufsleben oder aufs Leben vorbereiten soll -, einen bundes- und auch einen europapolitischen Aspekt. Als Vorsitzender möchte ich Themen über all diese Ebenen spielen, dann werden wir damit auch stärker in Verbindung gebracht werden.
Uli Grötsch "... ein paar deutliche Worte nach außen zu sagen..."
Das hätten Sie doch schon als Generalsekretär tun können. Sie sind ja auch Bundestagsabgeordneter und verbinden so zwei Ebenen in Ihrer Person.
UG: Aber als Generalsekretär hat man eine andere Aufgabe. Da bin ich für die innere Entwicklung der Partei zuständig - und dafür, ein paar deutliche Worte nach außen zu sagen, wenn es um die Auseinandersetzung mit dem politischen Gegner geht. Ich behaupte, dass ich das gemacht habe. Aber genauso habe ich gesehen, wo unsere Defizite sind - und die möchte ich nun gemeinsam mit Ramona Greiner abstellen.
Ist es da nicht ein Nachteil, wenn man die meiste Zeit in Berlin ist - nicht in München?
UG: Nein! Das ist ein klarer Vorteil! Der neue Vorsitzende wird - ob es ihm gefällt oder nicht - sehr regelmäßig, mindestens alle zwei Wochen, in Berlin sein müssen. Hier im Willy-Brandt-Haus tagt der Partei-Vorstand, hier sind die ganze Zeit Konferenzen der Landesvorsitzenden - nach Corona auch wieder in Präsenz. Und die Entscheidungen, die auf Bundesebene getroffen werden, haben auch vielfach erhebliche Auswirkungen auf die Bayern-SPD.
"Es gibt keine Erbmonarchie in der Bayern-SPD"
Als Defizit der Bayern-SPD kann man auch das Bild bezeichnen, das zuletzt in der Öffentlichkeit wahrgenommen wurde: Da war von einer Erbmonarchie die Rede und gar von Heckenschützen, als Florian Post im Münchner Norden überraschend das Direktmandat verlor. Wie wollen Sie die Situation beruhigen?
UG: Jeder der Vorsitzenden der Bayern-SPD stellte sich einer demokratischen Wahl, Natascha Kohnen sogar einem Mitgliedervotum. Es gibt also keine Erbmonarchie, sondern gute demokratische Strukturen bei der Bayern-SPD. Und Ramona Greiner und ich verzichten in unserem Wahlkampf bewusst auf Aussagen, die irgendwie spalterisch sind oder Keile in die Partei treiben würden. Das ist nicht unser Charakter und nicht unsere Art Politik zu machen. Wir arbeiten für die Menschen in der Bayern-SPD.
"Die Freude darf nicht zu kurz kommen"
Im Internet werben seit Montag etwa 100 Unterstützer für Ihre Konkurrenten Ronja Endres und Florian von Brunn, die als Doppelspitze antreten. Beunruhigt Sie das nicht?
UG: Auch wir können uns über mangelnde Unterstützung nicht beklagen. Genossen aus allen Teilen Bayerns und von allen Ebenen haben mich in den vergangenen Wochen kontaktiert, oder sogar Botschaften per Video geschickt. Dabei freut mich besonders, dass sich Arbeiterführer wie Saki Stimoniaris von MAN oder Manfred Schoch von BMW, die viele Tausend Beschäftigte hinter sich versammeln, für uns ausgesprochen haben. Wir müssen unsere bayerische SPD wieder zu der Partei der Arbeit und der Sozialen Gerechtigkeit machen. Dafür brauchen wir unsere Gewerkschaften genauso wie unsere kommunalen Vertreter fest an unserer Seite.
Und wie wollen Sie die Menschen außerhalb der Partei, die diese im Laufe der Jahre verloren hat, zurückholen?
UG: Indem wir klare Positionen vertreten und nicht mit einem Bauchladen an Themen durchs Land laufen, in dem für jeden ein bisschen was dabei ist, von dem aber keiner richtig satt wird. Arbeit und soziale Gerechtigkeit - das ist unser Markenkern, bei dem wir Klimaschutz und Digitalisierung immer mitdenken. Diesen Markenkern werde ich pflegen. Ohne Geschwurbel.
RG: Ein weiterer wichtiger Punkt ist, mit welcher Stimmung wir an die Parteiarbeit herangehen. Wenn wir immer nur als diejenigen wahrgenommen werden, die gegeneinander agieren, trägt das nicht zu guten Wahlergebnissen bei. Die Freude darf nicht zu kurz kommen. Deshalb müssen wir stark auf die Multiplikatoren setzen, die in unserer Partei sind: So dass diejenigen, die im Elternbeirat oder im Sportverein vernetzt sind, sich nicht immer rechtfertigen müssen, sondern ein Leuchten in den Augen haben, wenn sie davon erzählen, welche gute Politik wir machen und wie viel Spaß wir dabei haben.