Interview

Münchner SPDler verklagt Staatsregierung: "Offenbar will man belastende Details vertuschen"

Florian von Brunn verklagt die Staatsregierung - und will die Bayern-SPD gemeinsam mit Ronja Endres aus dem Umfragetief führen. Ein Gespräch über sündhaft teure Masken, das Ende der Leisetreterei und den Dschungel von Madagaskar.
Natalie Kettinger
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"Dass sie dabei ist, macht die Kandidatur zu etwas ganz anderem, weil eine Doppelspitze zeitgemäß ist und wir uns sehr gut ergänzen", sagt Florian von Brunn über Ronja Endres.
"Dass sie dabei ist, macht die Kandidatur zu etwas ganz anderem, weil eine Doppelspitze zeitgemäß ist und wir uns sehr gut ergänzen", sagt Florian von Brunn über Ronja Endres. © Lennart Preis

München - AZ-Doppel-Interview: Die Wahl-Regensburgerin Ronja Endres (34) ist seit 2008 SPD-Mitglied, seit 2019 Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen in der bayerischen SPD und Referentin für politische Kommunikation beim Bund Naturschutz.

Der 52-jährige Florian von Brunn ist seit 1990 Genosse, Vize-Vorsitzender der Münchner SPD und seit 2013 Mitglied des Bayerischer Landtags. Am 24. April treten sie bei der Wahl zum neuen Vorsitz des Landesverbandes als Doppelspitze an. Ihr Gegenkandidat: Generalsekretär Uli Grötsch.

AZ: Frau Endres, wie findet man sich im Dschungel von Madagaskar zurecht, woher wissen Sie das - wie Sie auf Ihrer Homepage anklingen lassen - und was hat das mit bayerischer Politik zu tun?
RONJA ENDRES: Leider ist der Dschungel von Madagaskar sehr klein geworden, weil schon so viel gerodet wurde. Trotzdem findet man sich nur mit Guide zurecht. Das weiß ich, weil ich diesen Guides im Rahmen eines Uni-Projektes Deutsch beigebracht habe, damit sie Öko-Tourismus anbieten können. Was ich dabei gelernt habe, ist, zuzuhören, welche Probleme es beim Lernen der Sprache genau gibt. Sonst kann man ja nicht darauf reagieren. Und Zuhören ist auch bei der Parteiarbeit in Bayern enorm wichtig.

SPD-Duo: "Wir können eine Trendwende schaffen - wenn wir kämpfen!"

Und wo haben Sie beide als Team zueinandergefunden?
FLORIAN VON BRUNN: Ich habe Ronja Endres im Landesvorstand kennengelernt. Wir haben gemeinsam einen Antrag zur Verkehrswende in Bayern geschrieben und die Zusammenarbeit war toll. Sie hat Power und macht den Mund auf! Und wir haben festgestellt, dass wir beide davon überzeugt sind, dass die Bayern-SPD einen Neuanfang braucht.

Inwiefern?
FvB: Wir sind, seit 2017 zuletzt ein neues Team gewählt worden ist, von 17 Prozent auf sieben bis acht Prozent runtergerutscht und ich habe nie gemerkt, dass es ein Aufbäumen oder nur den Versuch gab, das zu ändern und sich vom Bundestrend abzukoppeln. Dabei bin ich der festen Überzeugung, dass wir in Bayern eine Trendwende schaffen können. Wir müssen dafür aber kämpfen!

Ronja Endres musste sich im Leben durchkämpfen

Dazu passt, was Herr von Brunn in einem Video Ihrer gemeinsamen Kampagne über Sie sagt, Frau Endres: Sie seien eine Kämpferin, die sich im Leben durchbeißen musste. Was verbirgt sich dahinter?
RE: Ich wurde in eine Arbeitslosen-Familie geboren und bin die ersten sieben Jahre von meiner alleinerziehenden Mutter großgezogen worden, die sehr früh verstarb. Dann kam ich zu meiner Oma, die nur 450 Euro Rente hatte, und habe teilweise auch in einer Pflegefamilie gelebt. Ich bin vom Gymnasium geflogen, weil ich eben nicht die optimale Hausaufgaben-Betreuung hatte.

Wie ging es weiter?
RE: Ich hatte eine großartige Zeit auf der Realschule, habe anschließend eine Ausbildung zur Chemielaborantin gemacht und bin danach auf ein kleines Kolleg gegangen, um mein Abi auf dem zweiten Bildungsweg nachzumachen. Das hätte ich ohne Stipendien nie geschafft - aber es hat mich geformt.

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Ziel der beiden SPDler: sich "um die Probleme der normalen Menschen kümmern"

Wie äußert sich diese Prägung in Ihrer politischen Arbeit?
RE: Das Wichtigste für mich ist, dass wir uns um die Probleme der normalen Menschen kümmern: Etwa, dass alle dieselben Chancen haben - egal, ob ich nun in einer Arbeitslosen-Familie geboren wurde oder ob meine Eltern Akademiker*innen sind.
FvB: Darin waren wir uns ganz schnell einig: Bildungsgerechtigkeit muss wieder ein großes Thema in der Bayern-SPD sein. Da haben wir als Partei unsere Standpunkte in den letzten Jahren leider nicht öffentlich gemacht. Bildungserfolg darf nicht vom Geldbeutel abhängig sein.

Krimakrise als das größte Problem des 21. Jahrhunderts

Welche Schwerpunkte wollen Sie noch setzen?
FvB: Wir sind beide davon überzeugt, dass die Klimakrise das größte Problem des 21. Jahrhunderts ist. Deshalb müssen wir Klimaschutz mit sozialer Gerechtigkeit, guten Arbeitsplätzen und wirtschaftlichem Erfolg verbinden. Auch deshalb ist unsere Kombi ideal: Ronja Endres kommt von der Gewerkschaftsseite, hat sich intensiv mit dem Thema gute Arbeit auseinandergesetzt - und ich bin unser umweltpolitischer Sprecher und kenne mich sehr gut mit dem Thema Klimaschutz aus. Zusammen verbinden wir beide Themen.

Wie soll diese Kombination aus Klimaschutz und guter Arbeit konkret aussehen?
RE: Es geht darum, Umwelt und Arbeit wieder zu vereinen - eine Grundüberzeugung der SPD, die wir jetzt mit Leben füllen müssen. Beispiel ÖPNV: Da haben wir aktuell wahnsinnig viele freie Stellen. Deshalb müssen wir die Arbeitsbedingungen verbessern, damit die Leute gerne dort arbeiten. Oder in der Automobil-Industrie: Da müssen wir den Umbau begleiten und gestalten, sonst fallen Arbeitsplätze weg.

Themen: Soziale Gerechtigkeit, Klima und Pflege

FvB: Thema soziale Gerechtigkeit: Wir haben jetzt eine CO2-Abgabe. Die SPD wollte ursprünglich, dass das Geld, das der Staat dadurch einnimmt, komplett den Bürgerinnen und Bürgern zurückgegeben wird, pro Kopf als Klimaprämie. Das hat die CDU/CSU verhindert, weil es dazu führen würde, dass die "unteren" 50 bis 60 Prozent der Einkommensbezieher mehr rausbekämen als sie einzahlen. Schließlich verbrauchen die Reichen im Schnitt mehr Energie. Doch die Kompensation der CO2-Abgabe durch mehr Wohngeld und die Pendlerpauschale ist zwar schön, sie reicht aber nicht aus, um ärmere Haushalte bei den Heizkosten zu entlasten. Außerdem fordern wir einen Zuschuss für ärmere Haushalte, mit dem sie sich energiesparende Haushaltsgeräte leisten können.

RE: Mir ist zudem das Thema Pflege sehr, sehr wichtig. Meine Pflegemutter ist in diesem Bereich tätig - und kaputt von Kopf bis Fuß: Zwei Bandscheibenvorfälle, kaputte Gelenke und trotzdem schuftet sie weiter in einem System, das sie aufreibt, während sie dafür einen Sch...lohn bekommt. Der Pflegeberuf ist so schön, man hilft Menschen - und wir müssen jetzt dafür sorgen, dass dieser tolle Beruf auch Spaß macht. Deshalb wollen wir die Forderungen des Volksbegehrens Pflege wieder aufleben lassen und auch auf die Altenpflege ausweiten.

Hauptprobleme der Bayern-SPD: Leisetreterei und Bedenkenträgerei

Wie wollen Sie es anstellen, dass diese Vorstöße mehr wahrgenommen werden, dass die SPD "sichtbarer" wird?
FvB: Ich glaube, dass mir das in den letzten Jahren - sei es beim Riedberger Horn, bei Bayern-Ei, dem Tierschutzskandal in Bad Grönenbach oder jetzt bei den Amigo-Geschäften der CSU - sehr gut gelungen ist. Dazu gehört harte Arbeit, ein Gespür für die richtigen Themen und dass man den Mut hat, eine klare Position einzunehmen, auch wenn es Widerspruch gibt. Leisetreterei und Bedenkenträgerei - zwei Hauptprobleme der Bayern-SPD - führen nicht zu einem klaren Profil.

Brunns Klage gegen die Regierung: "Es ist meine Abgeordneten-Pflicht"

Thema Amigo-Geschäfte: Sie haben der Staatsregierung mit einer Verfassungsklage gedroht, sollte Ihre Anfrage zu den unter anderem von Georg Nüßlein und Alfred Sauter eingefädelten Masken-Käufen nicht zeitnah beantwortet werden. Wie ist der Stand?
FvB: Ich will von Herrn Söders Truppe unter anderem wissen, wer von den Maskendeals wusste und seine Finger mit im Spiel hatte. Leider verweigert man mir mit absurden Ausreden die Auskunft. Offenbar wollen sie belastende Details vertuschen. Vor Kurzem ist meine letzte Antwort-Frist abgelaufen. Ich habe als Abgeordneter aber nicht nur das Recht, die Regierung zu kontrollieren - es ist auch meine Pflicht! Deswegen werde ich jetzt Klage vor dem Bayerischen Verfassungsgerichtshof einreichen, um für Aufklärung zu sorgen. Schließlich geht es um sündhafte teure Masken für fast 11 Euro und gigantische Provisionszahlungen! Ich bekomme übrigens zahlreiche Zuschriften von Bürgern, die mich darin bestärken.

Was ist für die Sichtbarwerdung der SPD noch von Nöten?
RE: Außerdem müssen wir wieder Partnerin der Gewerkschaften werden. Das fehlt uns jetzt. Wir brauchen wieder einen regelmäßigen professionellen Austausch, eine echte Beziehungspflege, auch mit den vielen Verbänden: AWO, Sanitäter, VdK, Kreisjugendring, Sportverbänden, Kirchen und und und. Das bringt den Verbänden etwas, weil sie ihre Anliegen bei uns platzieren können - und uns, weil die Verbände wissen, dass die SPD für sie da ist. Da reicht es aber nicht, zwei Mal im Jahr zum Telefon zu greifen. Wir müssen die Anliegen der Verbände politisch aufgreifen - und dranbleiben.

"Die SPD muss Anwältin der Arbeitnehmer und für soziale Gerechtigkeit sein"

FvB: Wir haben unlängst etwa Gespräche mit der Gewerkschaft IG BAU geführt, bei denen es um die Situation von Erntehelferinnen und Erntehelfern aus Rumänien oder der Ukraine ging. Das habe ich auch zum Thema im Landtag gemacht. Außerdem haben wir uns mit der Gewerkschaft Nahrung - Genussmittel - Gaststätten ausgetauscht, weil in München bei Lieferando ein Betriebsrat gegründet werden soll. Und zuletzt habe ich mit der EVG über die Neuausschreibung der Werdenfelsbahn zwischen Garmisch und Kochel geredet, weil die Betriebsräte große Angst haben, dass der Auftrag privat vergeben wird und sich die Bedingungen für die Menschen verschlechtern. Ich habe dabei erfahren, dass nach der Neuvergabe einer Strecke in Ostbayern hoch qualifizierte Fachkräfte aus der Wartung als Zugreiniger eingesetzt wurden. Gegen solche Ungerechtigkeiten kämpfen wir. Die SPD muss Anwältin der Arbeitnehmer und für soziale Gerechtigkeit sein.

Causa Florian Post: "Da hat sich schon ein tiefer Riss aufgetan"

Zuletzt hat die bayerische SPD jedoch vor allem durch Personal-Querelen für Aufmerksamkeit gesorgt: Nachdem sich im Münchner Norden Sebastian Roloff überraschend gegen Florian Post als Direktkandidat durchgesetzt hatte, sprach Alt-OB Christian Ude von einem Hinterhalt und Heckenschützen. Wie tief ist die Spaltung der Partei?
FvB: Da hat sich schon ein tiefer Riss aufgetan. Deshalb sollten wir alle versuchen, diesen Riss zu kitten. Am aktuellen Fall können wir nichts ändern. Aber wir können dafür Sorge tragen, dass es in Zukunft besser wird - indem wir uns als Vorsitzende einbringen und solche Situationen in konstruktiver Weise begleiten.

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Sie selbst, Herr von Brunn, haben allerdings auch nicht mit Kritik an der scheidenden Landesvorsitzenden Natascha Kohnen gespart.
FvB: Vor der Wahl 2017 habe ich sie kritisiert, weil ich fand, dass sie als Generalsekretärin nicht sehr präsent war. Nachdem sie gewählt worden war, habe ich öffentlich keine Kritik mehr an ihr geübt. Ich habe im Landesvorstand sehr konstruktiv gearbeitet.

"Jeder kann sich aussprechen, für wen er will."

Frau Kohnens Vorgänger, Florian Pronold, hat sich für Uli Grötsch als seinen Wunsch-Kandidaten an der Spitze des Landesverbandes ausgesprochen. Ärgert Sie das?
FvB: Nein. Jeder kann sich aussprechen, für wen er will. Wenn das ein ehemaliger Vorsitzender tut, kann es jedoch leicht den Eindruck erwecken, in der Bayern-SPD gebe es so etwas wie eine Erbfolge: von Pronold zu Kohnen zu Grötsch. Ich persönlich finde, dass Florian Pronold als Staatssekretär, gerade im Bereich Bauen und Wohnen, sehr gute Arbeit geleistet hat. Außerdem haben wir im Umwelt-Bereich immer gut zusammengearbeitet und er hat mich stets unterstützt, wenn ich ein Anliegen hatte.

Von Brunn ist überzeugt: Eine Doppelspitze ist zeitgemäß

Sie haben bereits 2017 für den Landesvorsitz kandidiert und 2018 als Fraktionschef. Beide Male erfolglos. Was macht Sie so sicher, dass es diesmal klappt?
FvB: Meine Mitstreiterin Ronja Endres natürlich! Dass sie dabei ist, macht die Kandidatur zu etwas ganz anderem, weil eine Doppelspitze zeitgemäß ist, und wir uns sehr gut ergänzen. Außerdem bekommen wir beide - als Team, aber auch jeder für sich - ein sehr positives Feedback bei unseren Veranstaltungen. Viele Mitglieder sind wie wir der Ansicht, dass es unbedingt einen echten Neuanfang mit neuen Führungskräften braucht - und das bestärkt uns.

"Wir jammern nicht. Wir zeigen einen positiven Weg aus dem Tief"

RE: Den Leuten gefällt der optimistische Kurs unserer Kampagne "Gemeinsam nach vorne". Wir jammern nicht über die derzeit sieben oder acht Prozent, sondern zeigen einen positiven Weg da raus. Das kommt an!

Was, wenn es trotz allem wieder nicht funktioniert?
RE: Weiterkämpfen!
FvB: Ich gehe fest davon aus, dass wir gewinnen.

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14 Kommentare
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  • chgmuc am 18.04.2021 20:00 Uhr / Bewertung:

    Diese SPD nimmt immer mehr den Unsinn der Grünen an, weg mit euch!!!

  • Kadoffesalod am 18.04.2021 11:44 Uhr / Bewertung:

    Wenn die beiden auch noch von den Stars der SPD wie Saskia Esken, Wolfgang Wodarg, Norbert Walter-Borjans, Sawsan Chebli, Michael Müller (Berlin), Martin Schulz (Würselen), Helge Lindh, Christine Lambrecht, Liban Farah (Ankläger von Helmut Schleich) u.s.w. Rückendeckung bekommen, wird die SPD Bayern wie Phönix aus der Asche steigen und größer, schöner, strahlender und stärker als je zu vor die Macht übernehmen!

  • Hundekrawatte am 18.04.2021 16:21 Uhr / Bewertung:
    Antwort auf Kommentar von Kadoffesalod

    Hahaha, fast Gemein die Aufzählung der „Stars“.

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