Rechtsstaat anhaltend gefährdet: Richterin Aßbichler zieht im Hanna-Prozess alle Register gegen Anwältin Rick
Traunstein/Aschau - Es ist ein Bild, das symptomatisch ist für diesen Prozess. Da steht Verteidigerin Regina Rick umringt von Medienvertretern im Scheinwerferlicht und gibt Interviews. Und teilt kräftig aus gegen die Vorsitzende Richterin Jacqueline Aßbichler: "Die fühlt sich halt persönlich angegriffen. Die ist irgendwie emotional."
Urteil im Mordfall Hanna: Neun Jahre Haft für den Angeklagten Sebastian T.
Im Hintergrund, im Gerichtssaal ist es eine ganz andere Szene. Still ist es dort. Die Eltern des Opfers Hanna sprechen mit den Polizeibeamten, danken ihnen für ihren Einsatz – ohne großen Medienrummel. Wie schon während des ganzen Prozesses. Hannas Eltern hielten sich im Hintergrund, mussten stumm mit ansehen, wie die mediale und juristische Schlacht eine bemerkenswerte Dynamik aufnahm.
Rick hat gerade krachend verloren. Ihr Mandant, der 22-jährige Sebastian T., ist wegen gefährlicher Körperverletzung und Mord zu neun Jahren Haft nach dem Jugendstrafrecht verurteilt worden. Mit einem Fall Genditzki vergleicht Rick ihren Mandanten. Jener angebliche "Badewannen-Mörder", den sie nach 13 Jahren Haft juristisch aus dem Gefängnis geboxt hatte.
Urteil vor dem Landgericht Traunstein: Die Eltern von Hanna sind erleichtert
An diesem Dienstag im Landgericht Traunstein, wo gerade das Urteil gefallen ist, sieht man Hannas Eltern und ihrem Bruder die Erleichterung darüber und das Ende des Prozesses an. Es huscht sogar mal ein Lächeln über ihr Gesicht, aber bei Hannas Mutter sind auch Tränen geflossen.
Noch einmal mussten Hannas Eltern und ihr Bruder hören, wie Hanna ums Leben gekommen ist. Zwar ist das Urteil noch nicht rechtskräftig, aber wenn man so will, haben sie es nun amtlich: Hanna wurde umgebracht – von Sebastian T.
Hanna-Prozess: Richterin Jacqueline Aßbichler zitiert Ferdinand von Schirach
Aßbichler beginnt mit einem Zitat des Anwalts und Schriftstellers Ferdinand von Schirach: "Über Schuld oder Unschuld eines Menschen wird in einem Rechtsstaat in einem Gericht entschieden." Und eben nicht in den Medien oder in Internet-Foren. Aßbichler sieht "eine Entwicklung in den letzten Wochen, die den Rechtsstaat gefährdet".
"Es wurde versucht, auf die Richter von außen Druck auszuüben", sagt die Vorsitzende Richterin. Ein Befangenheitsgesuch hatte Rick erfolglos gestellt. Der Inhalt des Gesuchs, darunter eine E-Mail-Konversation mit Staatsanwalt Wolfgang Fiedler, war jedoch an die "Bild" geleakt worden. Obwohl das Blatt den Angeklagten schon öfter als "Hannas Killer" betitelt hatte. Auch dass Manfred Genditzki im Landgericht auftauchen würde, wusste "Bild" schon vorab.
Eine besondere Rolle der Medien
"Medien wurden benutzt und instrumentalisiert.” Auch am Tag des Urteils ist wieder so ein bekannter Zaungast im Landgericht. Der Strafverteidiger und Podcaster Alexander Stevens sitzt neben der Familie von T. – ein Zufall? "Es war kein Unfall”, sagt Aßbichler klipp und klar. Und zerlegt die Thesen der Verteidigung. "Alle drei Sachverständigen kommen zu dem Ergebnis, dass die Kopfverletzungen nicht mit dem Treiben im Wasser in Einklang zu bringen seien”, sagt Aßbichler.
Regina Rick nimmt alles regungslos hin, auch die Kritik von Aßbichler. Sie tippt eifrig in ihren Laptop. Die Kleidung von Hanna sei nicht vom Wasser abgestreift worden, so Aßbichler. Hannas Spitzenoberteil sei völlig unbeschädigt gewesen – trotz des Treibens. Das Gericht geht davon aus, dass Hanna sich die Kleidung nicht selbst ausgezogen hat. "Lebensfremd" sei es, dass jemand, der in den Bärbach stürzt, sich dann erst einmal auszieht.
Aßbichler hat einen Meterstab dabei. Sie will damit zeigen, dass der Bärbach nur 1,15 Meter breit war. "Zieht sich jemand eine Lederjacke aus, um diese Strecke zum Ufer zu schwimmen?” Das Ufer sei zum Greifen nah gewesen. Der Bärbach war 1,40 Meter tief, Hanna 1,86 Meter groß. Sie hätte sich herausziehen können. Aber: "Hanna war bewusstlos.”
Eiskeller-Mord in Aschau: So soll die Tat abgelaufen sein
"Der Angeklagte greift Hanna von hinten an. Hanna ruft noch einmal den Notruf. Um sie wehrlos zu machen, schlägt er mehrfach mit einem harten Gegenstand auf den Schädel. Hanna kann sich nicht mehr wehren. Aus irgendeinem Grund macht er nicht mehr weiter: Eventuell war er von der Situation überfordert." Vielleicht sei es aber auch der Anruf gewesen, das Display war hell, der ihn zum Aufhören bewegt habe. Denn er habe nicht gewusst, dass der Anruf nicht durchging.
Aßbichler rechnet in ihrem Urteil mit Rick ab, nennt sie "manipulativ" und einem Organ der Rechtspflege "unwürdig”, sie habe "schlicht gelogen". Sie wirft Rick beispielsweise vor, falsche Angaben zu einem Rechen an einem Wehr gemacht zu haben, um Hannas Verletzungen zu erklären. Der Angeklagte dürfe schweigen, ja er dürfe sogar lügen. Aber: "Die Verteidigung nicht."
Es ist ein Indizienprozess, aber für das Gericht ist in der Gesamtschau klar, dass T. der Täter ist. Er selbst hat als Zeuge – und eben nicht als Beschuldigter – erzählt, dass er bereits am 3. Oktober davon erfahren habe, dass ein Mädchen umgebracht worden sei. Auch dass er von einem "Stein" sprach, mit dem Hanna attackiert worden sein könnte, findet das Gericht "sehr konkret", zumal in der Presse nicht die Rede davon war. "Wie kommt man dann auf einen Stein?"
Sebastian T.: Geständnis vor Freunden
"Ja, ich war es, ich habe sie umgebracht”, sagte T. bei Freunden. Ein Geständnis sieht Aßbichler darin. Dieses Geständnis habe er selbst gegenüber einem Mithäftling bestätigt. Einen weiteren Mithäftling, dem T. die Tat gestanden hat, hält das Gericht für glaubwürdig. Denn er habe Details gewusst, die nie in der Presse waren.
T. präferiert Gewaltvideos, rastet auch mal aus. "Schwerpunkt war das Quälen eines Menschen zum Tode hin”, sagt Aßbichler in Bezug auf den Porno, den T. angesehen hat.
Das Gericht hält den Mord dennoch für eine Spontantat. "Man traut ihm eigentlich solch eine Tat nicht zu", merkt Aßbichler an, denn er habe kein Selbstwertgefühl. Rechtlich sei das eine gefährliche Körperverletzung mit Mord durch Verdeckungsabsicht der versuchten Vergewaltigung und des körperlichen Angriffs. "Er weiß, dass eine bewusstlose Person im Wasser ertrinkt.”
Der Angeklagte schafft es nicht, zu verdrängen
Die Folgen der Tat seien "enorm”, die Belastung der Eltern "unvorstellbar”. Daher sei eine Jugendstrafe von neun Jahren angemessen. "Der Angeklagte muss sich mit der Tat auseinandersetzen. Die Bilder in seinem Kopf werden ihn verfolgen”, sagt die Richterin. Dass er es eben nicht schaffe, haben Zeugenaussagen aus ihrer Sicht bewiesen. Der Angeklagte muss zudem die Kosten für das Verfahren und die Nebenklage tragen.
"Wir geben jetzt unsere Verantwortung ab", sagt Aßbichler. Denn Rick hatte schon die Revision angekündigt. "Aber bis dahin haben auch andere Institutionen Verantwortung. Das sind die Medien." Sie müssten dafür sorgen, mit ihrer Recherche die Wahrheit ans Licht zu bringen.
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