Neue Produkte bei DM, Aldi und Co: "Zeichen, dass muslimisches Leben in Deutschland angekommen ist"
Einen Supermarkt im Dezember zu betreten, ohne dabei von Adventskalendern und Armeen von Schokonikoläusen umzingelt zu werden? Undenkbar.
Das Gleiche gilt für die Wochen vor Ostern, in der bemalte Eier und in Alufolie verpackte Hasen die Regale dominieren. Selbst auf Halloween ausgerichtete Grusel-Artikel und Süßigkeiten gehören inzwischen jeden Oktober fest zum Supermarktinventar.
Sonder-Kollektion für Ramadan bei Ikea und Co.
Wenig überraschend, dass der Einzelhandel auch für den Ramadan "Spezialsortimente" ins Leben ruft: Bei Ikea gibt es inzwischen jedes Jahr die Gokvälla-Kollektion, eine Reihe von auf das islamische Fastenfest zugeschnittene Dekorationsartikel. Geschäfte wie Tedi und Woolworth bieten ähnliches an.
Zudem verkaufen Super- und Drogeriemärkte wie Kaufland, Aldi und dm inzwischen Ramadan-Kalender, angelehnt an den vor allem im deutschsprachigen Raum beliebten Adventskalender. Hinter den 30 Türchen verbergen sich etwa Süßigkeiten, Spielzeuge und Quizfragen – alles halal.
Islamwissenschaftler: "Ein Zeichen, dass der Islam hier angekommen ist"
Jörn Thielmann, Islamwissenschaftler und Geschäftsführer des Forschungszentrums für Islam und Recht in Europa in Erlangen, sagt dazu der AZ: "Das ist ein Zeichen dafür, dass der Islam und muslimisches Leben hier in Deutschland angekommen und beheimatet sind – mit all den Spezifika unserer Bräuche."

Das zeigt sich vor allem am Ramadan-Kalender, den es in der muslimischen Welt gar nicht gibt. "Ich sehe darin eine deutsche Innovation, die auf deutsche Gewohnheiten zielt und für Muslime gedacht ist“, sagt Thielmann.
Darüber freut sich auch der in Garching lebende Marwan Al-Moneyyer (43) im Gespräch mit der AZ: "Man merkt das Entstehen einer neuen deutsch-islamischen Kultur."
Handelsverband Bayern: "Immer mehr Händler springen auf den Zug auf"
Bernd Ohlmann vom Handelsverband Bayern sieht darin einen Trend: "Immer mehr Händler, auch in Bayern, springen auf den fahrenden Zug auf." Muslime sparen demnach während Ramadan zwar an Essen und Trinken, aber: "Erfahrungsgemäß sind sie in dieser Zeit sehr ausgabenfreudig", sagt er der AZ.
Der Handelsverband schätzt das Potential der rund 700.000 in Bayern lebenden Muslime (sechs Prozent der Gesamtbevölkerung) auf einen Umsatz von 40 Millionen Euro – das ist viel Geld, angesichts des erwarteten Gesamtumsatzes für 2025 von 78 Milliarden Euro jedoch eine Nische. Ohlmann räumt aber ein: "Vor ein paar Jahren wurde auch noch Halloween belächelt, genauso wie Black Friday."

Dass Geschäfte wie Ikea ihre Kollektion gut sichtbar in ihren Filialen ausstellen, ist kein Zufall: "Der Verkaufsraum in einem Einzelhandelgeschäft ist so kostbar. Wenn für ein Produkt Werbung gemacht wird, müssen die Händler einen Grund dafür haben“, sagt Ohlmann. Der Grund ist demnach derselbe, warum Spekulatius bereits im August in den Läden ausliegt: Weil die Leute es kaufen.
Muslim: "Eine Form der Anerkennung und Normalisierung"
Das bestätigt Ikea auf Nachfrage der AZ: "Da die Kollektion auch in diesem Jahr wieder sehr beliebt bei unseren Kund:innen war, war sie in unseren Einrichtungshäusern schnell ausgesucht." Derzeit seien nur noch Reste der Kollektion erhältlich.
Auch bei Woolworth ist die Nachfrage "sehr hoch". "Einige Artikel waren bereits nach kurzer Zeit ausverkauft“, teilt das Unternehmen der AZ mit.
Ikea, Tedi und Kaufland berichten von "durchweg positiven Kundenreaktionen“. "Unsere Kund:innen schätzen die Offenheit und das festliche und doch einfache Design der Kollektionen“, heißt es etwa von Ikea.
Zu den Kunden gehört auch Al-Moneyyers Familie. Er sagt: "Für mich ist das eine schöne Sache. Es ist eine Form der Anerkennung und der Normalisierung, dass man nicht mehr fremd ist, sondern Teil von Deutschland ist.“
Spontan im Supermarkt so einen Kalender zu finden, sei für ihn eine kleine Alltagsfreude. "Das bedeutet, wir werden wahrgenommen.“
Muslimin: "Dieser Kommerz ist erst in den letzten Jahren gekommen“
Auch Sema Oğuzcan Avcı (31), Integrationsbeirätin in Fürth, erzählt im Gespräch mit der AZ, wie sich ihre Kinder über den Ramadan-Kalender freuen. "Wir basteln selber einen, aber wenn die das im Laden sehen, ist das nochmal was anderes. Es ist eine Repräsentation für sie.“

Sie selbst habe auch schon oft bei Tedi am Regal gestanden und überlegt, eine Lichterkette mitzunehmen. "Ich weiß aber, dass das Billigware aus dem Ausland ist. Die will ich nicht gerne unterstützen.“
Für sie stehe beim Ramadan die Bescheidenheit und das Fasten im Vordergrund und nicht das Befördern von Konsum. "Diese Kommerzialisierung ist erst in den letzten paar Jahren zustande gekommen“, sagt sie.
Von Kunden, die sich über die Sortimente aufregen, berichten die Unternehmen auf Nachfrage der AZ nur vereinzelt. "Der Zuspruch ist gefühlt größer als die Ablehnung“, sagt ein Sprecher von Woolworth.
Negative Reaktionen im Netz
Im Netz finden sich hingegen durchaus negative Reaktionen. Ein User auf X schreibt etwa zum Ikea-Sortiment: "Ich kaufe dort ab sofort nicht mehr ein.“ Der Post wurde rund 100.000-mal angeklickt und fast 2400-mal geliked.
Auch auf Facebook finden sich etwa über 100 Reaktionen mit einem wütenden Smiley auf einen Post, der über Aldis Ramadan-Kalender berichtet.
Oğuzcan Avcı findet es eigentlich sehr schön, ihr Heim von außen während Ramadan zu dekorieren. "Aber ich traue mich nicht, die Deko anzubringen, sodass man von außen erkennt, dass es ein muslimischer Haushalt ist.“ In ihrer Nachbarschaft ist potenziell jeder Vierte ein AfD-Wähler.
Oğuzcan Avcı sagt: "Es ist ein Faktor, dass solche Produkte überhaupt angeboten werden. Das ist ein Zeichen, dass das Interesse und der Bedarf da ist. Aber gleichzeitig würde ich mir wünschen, dass man sich keine Sorgen machen muss, die Dekoration auch aufzustellen.“
Statt selber Billigware zu kaufen, fände sie schön, wenn – wie vergangenes Jahr in Frankfurt– die Straßen auch in Bayern mit Ramadan-Beleuchtung verziert würden. "Mir wäre wichtiger, dass wir mehr Verständnis für unsere Nachbarschaft und Mitmenschen haben.“
Hintergrund-Info: Darum geht's bei Ramadan
Der Ramadan (zu Deutsch: "heißer Monat“) ist der islamische Fastenmonat sowie der neunte Monat des islamischen Kalenders. In dieser Zeit fasten Muslime täglich vom Beginn des Morgenlichts bis zum Sonnenuntergang – das heißt, sie verzichten auf Essen und Trinken.
Dieses Jahr beginnt das Fest am 1. März und endet am 29. März. Am 30. März wird das Fest des Fastenbrechens zelebriert, der zweithöchste islamische Feiertag. Ramadan wird jedes Jahr zu einer anderen Zeit gefeiert: Ausschlaggebend ist für den Beginn und für das Ende die Sichtung der Mondsichel.
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