Infraschall-Fehler entdeckt: Franke Holzheu ausgezeichnet
Bayreuth - "Der Infraschall ist der Spinat der BGR", sagt Stefan Holzheu. Spinat deshalb, weil das berühmte Argument "Du willst doch stark werden", das Eltern jahrzehntelang vorbrachten, um den Nachwuchs zum Spinatessen zu animieren, auf einem Rechenfehler beruht. Genauer gesagt einem Kommafehler: 100 Gramm frischer Spinat enthalten 3,5 Milligramm Eisen statt wie weitläufig angenommen 35 Milligramm.
Sepp-Daxenberger-Preis der bayerischen Grünen für Stefan Holzheu
So ähnlich, könnte man meinen, ist das auch mit der Infraschall-Messung der Bundesagentur für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR). Die BGR hatte 2004 ein Windrad vermessen, 2005 eine Eigenpublikation veröffentlicht und 2016 einen Artikel in einer wissenschaftlichen Zeitschrift publiziert. Doch die Infraschallpegel der BGR waren deutlich höher als die anderer Institutionen.
Der Unterschied lag zwischen 100 Dezibel und 64 Dezibel. In anderen Worten: einer Kreissäge und einem normalen Gespräch. Nur haben sich die Forscher dabei einfach verrechnet. Holzheu von der Universität Bayreuth ist der Fehler aufgefallen und dafür bekam er am Montag den Sepp-Daxenberger-Preis der bayerischen Grünen.
Einen Preis zu bekommen, ist ja in der Regel ein Anlass zur Freude, so sicher auch für Holzheu. Aber der Mann mit dem breiten Lächeln und den grau-melierten Haaren wirkt immer noch wütend: "Es ist sehr schwer mitanzuschauen, wie ein Luftargument neue Technologie verhindert."
Klimaneutral? Deutschland fehlen laut Experten noch 60.000 Windräder
Ein Jahr lang hat er die BGR erst direkt, dann über Twitter und eine Homepage auf den Fehler hingewiesen. Er hat vorgerechnet und Grafiken erstellt, er hat viel Zuspruch aus der Wissenschaftscommunity bekommen, er hat Briefe geschrieben und böse Telefonanrufe inklusive juristischer Drohungen erhalten. Die BGR jedoch hat nichts eingesehen, nicht vernünftig diskutiert und vor allem nichts korrigiert.
Nun hat der viele Spinat weder Popeye noch Kindern geschadet, könnte man sagen, aber das ist hier ein wenig anders. Denn: Die Energiewende stockt. Um Deutschland klimaneutral zu machen, bräuchte es laut Experten noch 60.000 Windräder. In Bayern wurden 2019 sieben gebaut, 2020 acht. Das liegt nicht nur an Abstandsregeln, sondern auch an den Gegnern der Windkraft. Das sind zwar laut aktuellen Umfragen weniger als fünf Prozent der Bevölkerung, aber sie sind sehr laut und hatten bisher ein obskures, aber starkes Argument auf ihrer Seite: Infraschall.
Holzheu spricht von "bewusstem Torpedieren"
Infraschall ist Lärm, den Menschen nicht hören können. Im Prinzip erzeugt quasi alles, was Schall erzeugt, Infraschall: man selbst genauso wie der Kühlschrank. Auswirkungen auf den Menschen sind kaum zu beweisen.
Seriöse Studien dazu können keine Zusammenhänge erkennen, aber auch keine ausschließen. Unseriöse Studien hingegen schon. Und wer Angst vor etwas schüren will, findet nichts Besseres als etwas nachweislich vorhandenes, nicht wahrnehmbares Unbekanntes.
Nun sind auch Wissenschaftler Menschen und machen Fehler. Aber komisch ist das schon, Holzheu spricht gar von "bewusstem Torpedieren": Zum einen, weil die Landesanstalt für Umwelt Baden-Württemberg auf andere Ergebnisse kommt. Und zwar, dass ein Windrad in 700 Metern Entfernung keinen nennenswerten Beitrag zum immer vorhandenen Hintergrundinfraschall mehr macht.
Klimaforscher Rahmstorf: "Offensichtlich unsinnige, pseudowissenschaftliche Argumente"
Dazu sind die Fehler, laut Holzheu elementarer Natur: "Die haben die grundlegendsten physikalischen Prinzipien geleugnet." Denn "wäre die Berechnung korrekt gewesen, hätte allein in einer Frequenz mehr Infraschall-Energie gesteckt als im gesamten vorhandenen Schallsignal - physikalisch unmöglich."
Zum anderen, weil die BGR beim Thema Klimawandel einige fragwürdige Positionen vertreten hat. 2014 etwa machte sie in einer Broschüre Werbung für fossile Energien und Atomkraft. 2001 gab sie das Buch "Klimafakten" heraus, das schon damals wissenschaftlich unhaltbar war und bis heute eine Art Bibel für Klimaleugner ist.
Stefan Rahmstorf, einer der angesehensten Klimaforscher Deutschlands, schrieb darüber in der Wissenschaftszeitschrift "Spektrum": Die BGR habe "mit offensichtlich unsinnigen, pseudowissenschaftlichen Argumenten nach Kräften versucht, Einfluss auf Politik und öffentliche Meinung zu nehmen".
Thomas von Sarnowski: "Energiewende wird seit Jahren diffamiert"
Diese Positionen kommen wohl nicht von ungefähr: Zwar ist die BGR dem Bundeswirtschaftsministerium unterstellt, aber Geld kommt auch von außerhalb. Zum Beispiel durch die Hans-Joachim-Martini-Stiftung. Eine Stiftung, die in der BGR angesiedelt ist, dort unter anderem Stellen finanziert, deren Kuratorium über Jahre teils auch das Kuratorium der BGR stellte.
Sie wurde unter anderem von Bayer, Degussa, dem Energiekonzern Preussag und dem Braunkohleförderer Rheinbraun (heute RWE), dem Gasförderer Wintershall und dem Stahlunternehmen Salzgitter finanziert. Bis 2016 ein Rechercheverbund von "Süddeutscher Zeitung", NDR und WDR die Machenschaften aufdeckte. Ein Verfahren wurde von der Staatsanwaltschaft Hannover eingestellt.
Auch der Grünen-Landesvorsitzende, Thomas von Sarnowski, sprach in seiner Laudatio auf Holzheu davon, dass die Gegner der Windenergie tief vernetzt seien "bis ins Wirtschaftsministerium und die CDU". Überhaupt werde die Energiewende "seit Jahren diffamiert und blockiert - besonders hier in Bayern".
Im April dieses Jahres hatte die BGR ihren Fehler eingeräumt und korrigiert. Wenig Genugtuung für Holzheu: Weil die Rechnung wohl immer noch nicht ganz korrekt und der Schaden bereits angerichtet ist. Auch wenn sich Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) entschuldigt und Aufklärung versprochen hat. "Wirklich wieder gut zu machen ist das nicht", sagte Thomas von Sarnowski.
Holzheu selbst wohnt in einer Gemeinde mit Windrad und es sind noch zwei weitere geplant. Die 10-H-Regel wird dabei nicht eingehalten. "Wegen Infraschall können Sie Ihr Haus direkt ans Windrad bauen", sagt er. Den mit 2.000 Euro dotierten Preis will er spenden, um in seiner Heimatgemeinde ein Klimaschutzprojekt zu verwirklichen.
Die BGR räumte den Rechenfehler auf AZ-Anfrage erneut ein und erklärte, sie leiste "neutrale wissenschaftliche Beratung".