Heimatpfleger Rudolf Neumaier: "Rehe machen glücklich"
Er kann den Ruf eines bellenden Rehs täuschend echt nachahmen. Das macht Rudolf Neumaier etwa, wenn man mit ihm über sein Buch "Das Reh. Über ein sagenhaftes Tier" spricht. Neumaier hat darin die Kulturgeschichte der Tiere festgehalten, die in der Vergangenheit verehrt, besungen und gejagt wurden – auch von ihm selbst. Das Buch ist eine Hommage an die Tiere und ein Weckruf zugleich.

AZ: Herr Neumaier, hängen bei Ihnen daheim Rehgemälde zum Beispiel von Franz Marc oder doch ein Hirschgeweih?
RUDOLF NEUMAIER: Weder noch. Einen Marc kann ich mir nicht leisten und ein Geweih entspricht nicht so meinem Geschmack. Ich habe mir aber neulich tatsächlich ein T-Shirt machen lassen, auf dem vorne ein naturnah gezeichnetes Rehkitz abgebildet ist und hinten drauf steht 'Heimatpfleger'.

Rudolf Neumaier: "Ein Reh erlegen, das ist etwas anderes"
Sie sind also Heimatpfleger, besitzen aber auch einen Jagdschein, richtig?
Ja, ich bin seit über drei Jahren Jäger. Die "Trophäen", die man dann hat, wenn man einen Bock erlegt hat, hänge ich mir aber nicht auf, ich schaue sie mir lieber an, hüte sie. Das sind bewegende Erinnerungen.
Welche zum Beispiel?
Das bewegendste Erlebnis war der erste Bock, den ich erlegt habe. Das macht etwas mit einem. Es hat lange gedauert, bis ich es überhaupt über das Herz gebracht habe, zu schießen. Ich bin in Kulbing im Berchtesgadener Land auf einem Bauernhof aufgewachsen, hab' auch geangelt. Da hat man eigentlich wenig Berührungsangst mit Tieren. Aber ein Reh erlegen, das ist etwas anderes.
Sie haben eine Hommage ans Reh geschrieben. Was fasziniert Sie an den Tieren?
Allein die Biologie ist schon fantastisch! Die Paarungszeit der Rehe geht von Ende Juli bis Anfang August. Erst im Mai, Juni setzen sie ihre Kitze. Wie kann das sein? Erst im 19. Jahrhundert hat man herausgefunden, dass es beim Reh eine Keimruhe gibt. Das heißt, die befruchtete Eizelle, die sich eingenistet hat, fängt erst zur Wintersonnenwende an zu wachsen. Allein das ist doch schon der Hammer! Auch das Sozialverhalten zwischen Müttern und ihren Kitzen ist spektakulär. Und außerdem sind Rehe wahnsinnig schön.
"Jäger sollen sich an der natürlichen Auslese orientieren"
Wie passen Ihre offensichtliche Liebe zum Reh und der Jagdschein zusammen?
Ich orientiere mich an den Richtlinien zur Hege und Bejagung des Schalenwilds in Bayern – in diesen liegen für mich die ethischen Grundlagen zur Jagd. Heißt: Jäger sollen sich an der natürlichen Auslese orientieren, sollen nur alte, schwache oder junge Paarhufer nehmen, die auch der Wolf am leichtesten bekommen würde. Wenn wir in unseren Gefilden nicht jagen würden, bestünde die Gefahr, dass die Populationen sozialen Stress bekommen, weil sie zu viele werden. Dann verkümmern sie, werden nicht mehr so groß. Ich halte Jagd deshalb für sinnvoll.
Sie beschreiben es im Buch: In der Geschichte, in der Malerei, Literatur, im Film, wurde das Reh – spätestens seit Bambi – mit Positivem assoziiert.
Um Anmut oder Schönheit darzustellen, haben Künstler schon immer gerne Vergleiche mit dem Reh herangezogen. Christian Morgenstern zum Beispiel. Und Felix Salten, der Autor von Bambi, war selbst Jäger. Geschichtlich gesehen, war die Jagd früher dem Hochadel vorbehalten. Damals wurden auch eher Hirsche und Wildschweine gejagt. Das Reh war überall präsent, spielte aber bei der Jagd keine große Rolle. Erst Mitte des 19. Jahrhunderts ist es ins Bewusstsein gerückt. Heute haben Hirsche ja auch gar keinen Platz mehr. Das Rotwild darf in Bayern nur in bestimmten Gebieten leben, was ich überhaupt nicht gut finde. Die Kolonien haben so keinen genetischen Austausch mehr.
"Ich fordere, dass die Jagd tiergerecht ausgeübt wird"
Wie wurde aus dem Bambi-Image das eines Waldschädlings?
Das liegt allein an den ökonomischen Erwartungen der Förster. Vor 200 Jahren war es selbstverständlich, wenn aus der Natur eine Kultur gemacht wurde, wenn also Pflanzen künstlich eingebracht wurden, mussten diese entsprechend geschützt werden. Jetzt braucht man plötzlich den Waldumbau und die Tiere müssen so reduziert werden, dass sie keinen Schaden anrichten können. Ich fordere da mehr Gerechtigkeit und dass die Jagd so ausgeübt wird, dass sie tiergerecht ist. Sonst zerstört man Sozialstrukturen von Populationen. Warum schützen wir nicht wieder die Pflanzen, mit Schafwolle oder Zäunen? Wenn wir Tierwohl bei Stalltieren einfordern, dann fordere ich das auch für unsere Wildtiere, unsere Rehe.
Jährlich werden 300.000 Rehe in Bayern geschossen. Was müsste sich also ändern?
Der Abschuss sollte sich daran orientieren, wie es einer Population geht. Wenn sie zu groß wird, muss eingegriffen werden. Wenn in einem Wald viele Altbäume wachsen, die sich nicht verjüngen können, weil der Verbiss zu groß ist, auch dann muss man das bei Abschussplänen berücksichtigen. Die geforderten Abschusszahlen sind in den letzten Jahren aber immer höher geworden. Besser wären mehr Jagdruhe, Wildruhezonen und andere Methoden, um das Wild von den Schadensflächen fernzuhalten. Dann würden Rehe wieder sichtbarer werden, für Sie und für mich. Rehe machen glücklich. Aber sie schmecken auch gut.
Rudolf Neumaier liest am 14. November um 19 Uhr im Münchner Löwenbräukeller aus seinem Buch "Das Reh. Über ein sagenhaftes Tier". Hanser Verlag, 24 Euro
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