Gefallener Sternekoch Jürgens spricht über seine Fehler – jetzt kocht er hier: "Es geht um die Existenz"
Rottach-Egern/Vitznau - Er war in der Spitzen-Gastro ganz oben, eben bei den Sternen. Und das an einem wunderbaren Fleckerl Erde in Bayern. Dann kam vor rund einem Jahr der große Küchen-Knall am Tegernsee: Die Hotel-Gruppe Althoff hinter dem Restaurant Überfahrt in Rottach-Egern stellte Christian Jürgens (55) frei. Das bestätigte eine Sprecherin am 5. Mai 2023 der AZ.
Zu schwer waren die öffentlichen Vorwürfe von früheren Mitarbeitern gegen den Sterne-Koch, man wollte diese gründlich prüfen und aufklären lassen. So hieß es zunächst. Dann folgte wenig später die endgültige Trennung.
Zusammengefasst ging es um mutmaßliche Schikane und Übergriffe. Ins Rollen gebracht hatte das ein Bericht des "Spiegel". Die Staatsanwaltschaft München II stellte die Vorermittlungen allerdings ein - sie sah keine Anhaltspunkte für verfolgbare Straftaten, wie etwa die "Tegernseer Stimme" berichtete.
Comeback in der Küche
Die Zeit ist nicht spurlos an Jürgens vorbeigegangen, wie er in einem Interview mit "Gault&Millau" ausführlich erzählt. Fast nebenbei ging es dabei auch um sein Comeback in der Küche. Als Gastkoch, wieder an einem See. Wenn auch an einem anderen: am Vierwaldstättersee in der Schweiz.
Kitchen Party am 24. Juni
Am 24. Juni - ein Montag - wird er bei der "White Night Kitchen Party" im Vitznauerhof mitkochen. Dort verweist man auf Anfrage der AZ auf den Flyer, in dem Jürgens als "Special Guest" angekündigt wird, seine bisherigen Leistungen sind auch vermerkt: drei Michelin-Sterne, 19,5 Gault-Millau-Punkte. Kostenpunkt des dreistündigen Abends mit zehn Köchen: 295 Schweizer Franken pro Person (umgerechnet gut 300 Euro).
Nach diesem Gastkoch-Engagement gefragt, sagt er in dem Interview: "Die Verantwortlichen haben mich angesprochen, mitzumachen, und das freut mich sehr. Auch weil mein langjähriger Mitarbeiter Kevin Romes vom Skins in Lenzburg sowie Jürg Kappeler von Sense of Delight mich dabei unterstützen. Ich freue mich riesig, wieder mit Gästen interagieren zu können." Eine schriftliche AZ-Anfrage dazu an Jürgens blieb zunächst unbeantwortet.
Im vergangenen Jahr hatte es schon Gerüchte gegeben, Jürgens könnte wieder am Tegernsee kochen, genauer gesagt im Egern 51 - rund 400 Meter von der Überfahrt entfernt. Daraus wurde nichts, so die "OVB"-Heimatzeitungen.
"Es geht um nicht weniger als die Existenz"
Im "G&M"-Interview sagt Jürgens über das vergangene Jahr: "Ich habe die Zeit unter anderem dazu genutzt, mein bisheriges berufliches Wirken zu reflektieren. (...) Es geht darum, aus Fehlern zu lernen." Es sei nicht einfach, eine solche Situation in Worte zu fassen. "Es geht um nicht weniger als die Existenz. Und es geht auch um Einsicht und Erkenntnis."
Der Spitzenkoch blickt zurück: "Seit 1997 habe ich als Küchenchef und Geschäftsführer rund 900 Fachleute in Küche und Service begleitet. Knapp drei Prozent davon haben sich negativ über mich geäußert. Das sind drei Prozent zu viel."
"Dagegen wehre ich mich"
Dass er "mit meinem Verhalten einigen Mitarbeitenden einen Grund zur Beschwerde gab, beschäftigt mich und es tut mir leid". Für seine Familie und ihn selbst sei es enorm belastend und herausfordernd gewesen. "Allerdings wurden auch falsche Vorwürfe erhoben. Dagegen wehre ich mich."
Auf Nachfrage führt Jürgens knapp aus: "Vieles stimmt nicht oder wurde anders als tatsächlich geschehen dargestellt. So habe ich unter anderem niemanden geschlagen. Mehr kann und darf ich dazu nicht sagen. Das zivilgerichtliche Verfahren ist noch nicht abgeschlossen." Weiter sagt er offen: "Eine andere bittere Lektion, die ich lernen musste, ist, dass von den Gefährten, die im Erfolg sich gerne an deiner Seite sonnen, nur noch wenig zu sehen ist, wenn Regen aufzieht." Seinen Aussagen zufolge hat er sich Hilfe geholt - "um zu reflektieren, und an mir zu arbeiten". Er sei reifer und nachdenklicher geworden, sagt er über sich selbst.
Und damit zu seiner Kochkunst: Was wird es beim Event in der Schweiz geben? "Wir servieren einen salzigen Bienenstich mit Spargelmousse und Eis auf einem mit Spargelsaft getränkten Brioche. Dazu gibt es Kaviar von Kaviari Paris", so Jürgens im "G&M"-Interview.
So geht es im Restaurant Überfahrt weiter
Die Überfahrt kündigte für diesen Sommer einen Neustart mit Cornelia Fischer an. "Ab dem 6. September 2024 empfängt die Fine-Dining-Adresse Gäste wieder im regulären Betrieb", heißt es auf der Internetseite. Den Angaben zufolge war die Fränkin bereits von 2015 bis 2018 Teil der Überfahrts - als Chef de Partie.