Chef-Ermittler: „Kannte Tathergangsszenario nicht“

Knapp neun Stunden wird der frühere Chef-Ermittler im Fall Peggy als Zeuge befragt. Spät kommt der spektakuläre Teil seiner Aussage: Von einer Tathergangshypothese in den Ermittlungsakten habe er nichts gewusst.
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Chef-Ermittler Wolfgang Geier hat angeblich nichts gewußt von einer Tathergangshypothese in den Ermittlungsakten.
dpa Chef-Ermittler Wolfgang Geier hat angeblich nichts gewußt von einer Tathergangshypothese in den Ermittlungsakten.

Knapp neun Stunden wird der frühere Chef-Ermittler im Fall Peggy als Zeuge befragt. Spät kommt der spektakuläre Teil seiner Aussage: Von einer Tathergangshypothese in den Ermittlungsakten habe er nichts gewusst. Doch das Dokument bestimmt die Neuauflage des Kriminalfalls.

Bayreuth  – Im neuen Peggy-Prozess hat der frühere Chef-Ermittler ausgesagt, eine wichtige Akte nicht gekannt zu haben. Die Existenz dieses sogenannten Tathergangsszenarios ist der Grund, dass das Verfahren gegen den geistig Behinderten Ulvi K. wegen Mordes an der Neunjährigen wieder aufgerollt wird.

„Dass ein solches Szenario erstellt wurde, ist mir selbst neu. Ich weiß erst seit einigen Wochen davon“, sagte der Zeuge Wolfgang Geier am Freitag vor dem Landgericht Bayreuth. Ulvi K. war im April 2004 als Mörder Peggys zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Eine Leiche des Mädchens wurde nie gefunden. Der Fall wird erneut verhandelt, weil Gericht und Gutachtern vor zehn Jahren nicht bekannt war, dass es eine Tathergangshypothese gab - damit könnte das Geständnis von Ulvi K. beeinflusst worden sein.

Lesen Sie hier: Fall Peggy: Verteidiger erhebt Foltervorwurf

Die Hypothese wurde vom Polizei-Profiler Alexander Horn erstellt: „Ich sollte für die Ermittler ein denkbares Szenario entwickeln, was mit Peggy passiert sein könnte.“ Horn, der Leiter der Operativen Fallanalyse der bayerischen Polizei ist, kam dabei zu dem Ergebnis, Peggy könnte missbraucht und vom Täter wenige Tage später getötet worden sein, um die Tat zu vertuschen.

Das spätere Geständnis von Ulvi K. war diesem Szenario verblüffend ähnlich. Von der Hypothese will Geier laut seiner Aussage aber erstmals aus Presseberichten „im Vorfeld des neuen Prozesses“ erfahren haben. Er habe sich daraufhin seine alten Dienstaufzeichnungen besorgt. „Als diese Hypothese Ende April 2002 angeblich besprochen worden sein soll, hatte ich Urlaub und war nicht im Dienst“, erklärte er. „Hätte ich das Schreiben zur Kenntnis genommen, hätte ich es mit Namen und Datum signiert.“

Lesen Sie hier: Fall Peggy: Ehemaliger Chef-Ermittler weist Vorwürfe zurück

Wie seine jetzigen Nachforschungen ergeben hätten, sei das Papier in einer Nebenakte abgelegt worden. Er könne nicht sagen, ob diese Akte später dem Gutachter für den Prozess im Jahr 2004 weitergegeben wurde. Geier betonte, die Hypothese bestehe nur aus wenigen Sätzen. „Fachlich würde ich da eher nicht von einer Tathergangshypothese sprechen.“ Die Verteidigung hatte beim Prozessauftakt am Donnerstag den damaligen Soko-Ermittlern Foltermethoden bei der Befragung von Ulvi K. vorgeworfen.

Geier wehrte sich dagegen: „Der einzige, der ihn bei den Verhörterminen angeschrien hat, war sein eigener Rechtsanwalt.“. Geier nahm seine Arbeit als Chef-Ermittler der Soko „Peggy 2“ Ende Februar 2002 auf – weil die erste Soko das spurlose Verschwinden Peggys nicht aufklären konnte. „Das Innenministerium suchte erfahrene Spezialisten, um den Fall nochmals zu überprüfen“, berichtete Geier. Auf die Frage der Verteidigung, ob die zweite Soko unter Erfolgsdruck gestanden habe, sagte Geier: „Ermittler stehen immer unter einem gewissen Erfolgsdruck, wenn sie einen Fall klären wollen.“

Lesen Sie hier: Peggy-Prozess: Mutter reicht Ulvi K. die Hand

Einen übermäßigen Druck habe er jedoch nicht verspürt. Von der ersten Soko seien 4017 Spuren und 21 812 Datensätze vorhanden gewesen. „Deshalb konzentrierten wir uns in der Soko 2 auf Kernspuren.“ Der Kriminalbeamte verteidigte die Ermittlungen gegen Ulvi K.: Der Gastwirtssohn habe zuvor bereits Kinder sexuell missbraucht. „Und der Tatverdächtige hielt sich nachweislich in der Nähe des Marktplatzes auf, was er vorher bestritten hatte.“

Im Juli 2002 legte er ein Geständis ab, das er später allerdings widerrief. Der Vorsitzende Richter Michael Eckstein ließ im Gerichtssaal einen Film vom Juli 2002 mit der Tatrekonstruktion der Ermittler zeigen. Ulvi K. ist darin auf einer Sitzbank am Marktplatz von Lichtenberg zu sehen. „Hier habe ich auf Peggy gewartet, um mich bei ihr dafür zu entschuldigen, was passiert ist“, spricht er in die Kamera.

Als der Ermittler von ihm wissen will, was passiert sei, antwortet er: „Ich war mit ihr im Bett. Die Peggy wollte das. Hinterher hat sie geweint.“ An einer Puppe zeigte der damals 24-Jährige vor laufender Kamera, wie er Peggy getötet habe. „Ich habe danach Herz und Puls bei ihr gefühlt, sie mit Ästen abgedeckt und danach eine geraucht.“

Lesen Sie hier: Foto im Fall Peggy: So könnte sie heute aussehen

 

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