Bergwacht-Chef Klaus Burger: "Dankbarkeit ist nicht immer die Regel"
Zu glauben ist es eigentlich nicht: Ein Bergsteiger-Paar gerät am Watzmanngrat in Not. In einer aufwendigen, komplizierten, mehrstündigen Rettungsaktion gelingt es der Bergwacht dennoch, die Unglücksraben zu retten. Doch von Dankbarkeit ist keine Spur. Im Gegenteil, das Pärchen giftet die Rettungskräfte an, weil diese vergessen hätten, auch den Schlafsack der Verunfallten zu retten.
Alltag? Nein, so schlimm ist es nicht, macht Klaus Burger im Interview mit der AZ deutlich. Doch der Regionalleiter der Bergwacht Chiemgau und im Berchtesgadener Land beklagt, dass die Bergrettung bei vielen Menschen falsche Erwartungen wecke und als selbstverständliche Dienstleistung wahrgenommen wird.
AZ: Herr Burger, ein Disput zwischen am Berg Geretteten und Rettern: Wie sehr gehört das zum Alltag für die Bergwacht?
KLAUS BURGER: Alltag ist das nicht. Aber es gibt schon Fälle. Oft lassen sich aber die aus Sicht der Retter notwendigen Maßnahmen letztlich gut darstellen und erklären.
Bei einem Notruf übernehmen die Einsatzkräfte eine "gesetzliche Beschützerrolle"
Am Watzmann wollte ein Paar in einer gefährlichen Situation die eigene Ausrüstung nicht zurücklassen. Wie gehen Sie als Verantwortlicher damit um, wenn zu rettende Personen Einwände haben oder die Anweisungen der Rettungskräfte nicht befolgen wollen?
Also zunächst juristisch: Wird ein Notruf abgesetzt, und alarmiert die zuständige Leitstelle die Bergwacht, übernehmen Einsatzleitung und Einsatzkräfte eine gesetzliche Beschützerrolle für die Hilfesuchenden. Bergretter sind Garanten im strafrechtlichen wie auch im haftungsrechtlichen Sinn. Wir sind zunächst zur Hilfeleistung verpflichtet, sofern wir nicht unser eigenes Leben aufs Spiel setzen müssen.
Bei besonderen Einsatzlagen kann an der Einsatzstelle ein Zielkonflikt zwischen der Garantenpflicht des Retters und dem Selbstbestimmungsrecht sowie der allgemeinen Handlungsfreiheit der sich Gefährdenden entstehen. Wenn Betroffene nicht erkennen, dass für sie eine Eigengefährdung besteht und Rettungsmaßnahmen getroffen werden müssen, kann es in Einzelfällen durchaus zu Diskussionen über das Ob und Wie einer Rettung kommen.
Bergretter: "Irgendwann ist verbal Schluss mit lustig"
Wie gehen Sie damit um?
Wir klären auf und versuchen zu überzeugen. Dabei ist uns bewusst, dass sich Betroffene in psychischen Ausnahmesituationen befinden. Denken Sie nur an das Abseilen von Bergtouristen aus Gondeln, wie dies vor wenigen Wochen am Hochfelln passiert ist. Fakt ist aber, dass wir Bergretter keine gesetzliche Befugnis zu Zwangsmaßnahmen haben, wie etwa die Polizei. Das Thema Bergrettung wider Willen kommt Gott sei Dank aber kaum vor und ist zudem juristisch außerordentlich komplex.
Die Bergwacht-Einsatzkräfte arbeiten bisweilen unter Lebensgefahr, zudem komplett ehrenamtlich. Wie viel Zeit und Verständnis haben Sie für Diskussionen am Berg?
Wir arbeiten professionell und haben grundsätzlich Verständnis für Ängste, Zweifel und Fragen. Es ist ja nicht jedermanns Sache, am langen Seil unter dem Hubschrauber aus der Gefahrenzone gerettet zu werden und wie ein Adler in den Lüften zu schweben. Manche Vorbehalte lösen sich durch Wetter- oder Zustandsverschlechterung auf. Kürzlich hatten wir im Gebiet Zwiesel einen Patienten, der entgegen ärztlicher Diagnose die weitere ärztliche Behandlung strikt ablehnte und zu Fuß absteigen wollte.
Notarzt und Helikopter, der uns zum Patienten brachte, waren deshalb dran, den Einsatz abzubrechen. Eine massive gesundheitliche Zustandsverschlechterung erledigte dann die Diskussion. Wenn eine erhebliche Gefahr für die Einsatzkräfte selbst besteht, relativiert und minimiert sich unser Verständnis und unsere Bereitschaft für ausufernde Diskussionen. Der Einsatzleiter am Berg hat die vorrangige Sorgfaltspflicht, das Leben und die Gesundheit der Einsatzkräfte selbst zu schützen. In lebensbedrohlichen Situationen ist irgendwann verbal Schluss mit lustig.
Rettung durch Bergwacht als doppelter Boden einer alpinen Unternehmung?
Sie sagen, dass die Erwartungs- und Anspruchshaltung der Bergtouristen spürbar zunimmt.
Ja. Bergrettung wird als mitunter selbstverständliche Dienstleistung zu jeder Zeit, in jedem Gelände und bei jedem Wetter angesehen. Zu erbringen von denjenigen, die die Versorgungsstruktur festlegen, die die Kosten übernehmen und insbesondere von den ehrenamtlichen Bergrettern, die zum Einsatz ausrücken. Die mediale und gesellschaftliche Wertschätzung der bayerischen Bergrettung ist in meiner Wahrnehmung umfassend.
Filmformate mit abenteuerlichen Rettungen wie "Die Bergretter" tragen wohl zu einer übersteigerten Erwartungshaltung mit bei. Manchmal hat man schon den Eindruck, die Option einer Bergrettung ist eine kalkulierte Kraftreserve alpiner Selbstverwirklichung – Rettung als doppelter Boden einer alpinen Unternehmung.

Burger: "Schwindende Empathie ist ein gesamtgesellschaftliches Phänomen"
Aus einer brenzligen Lage befreit zu werden, dürfte so manchen Geretteten dazu veranlassen, Dankbarkeit zu zeigen. Gibt es solche Situationen?
Dankbarkeit ist nicht immer die Regel. Wir erwarten das aber auch nicht. Aber zumindest Anstand, Respekt und Wertschätzung. Fairerweise muss man dazu sagen, dass nicht wenige Gerettete absolut verwundert sind, dass die Bergretter komplett ehrenamtlich retten und medizinisch versorgen. Ist man aktiver Bergretter in einer einsatzstarken Wache, ist Bergrettung wesentlicher Lebenszeitinhalt. Ein Geretteter, der die Strukturen und die Anforderungen an die Bergrettung nicht kennt, weiß dies nicht.
Wüssten die Betroffenen, was an Ausbildung und Fortbildung und Freizeit dahintersteckt, wären Respekt und Dankbarkeit sicher größer. Beklagen kann ich mich aktuell nicht: Bei den beiden letzten Einsätzen am Predigtstuhl und Hochstaufen mit dem Rettungshubschrauber Christoph 14 haben wir sehr viel Zuspruch erfahren. Manchmal schreiben uns auch die Leute. Schwindende Empathie ist trotzdem ein gesamtgesellschaftliches Phänomen. Wie viele Menschen drücken ihre Dankbarkeit etwa den Pflegern oder der Polizei gegenüber aus? Dankbarkeitsdefizite gibt es heutzutage wohl überall. Vielleicht hat der Mensch allgemein Dankbarkeit verlernt – zugunsten einer überzogenen Anspruchshaltung.