Bayerns Kita-Versorgung vor dem Kollaps: Hauptproblem ist "nicht das Geld"
München - Die SPD-Fraktion im Bayerischen Landtag wusste es schon vor der entsprechenden Experten-Anhörung. Bayerns Kindertagesstätten sind in Not, brauchen mehr Geld und müssen entlastet werden, so ihre Sozialpolitikerin Doris Rauscher. "Unser Kita-System steht kurz vor dem Kollaps", fasste auch die Vorsitzende der Grünen-Landtagsfraktion, Katharina Schulze, bereits vorab zusammen. Tatsächlich zeichnete die Expertenrunde am Donnerstag ein dramatisches Bild von der Situation der Kinderbetreuung.
Fehlendes Kita-Personal: Rahmen- und Arbeitsbedingungen müssen stimmen
Für alle Gemeinden in Bayern erkannte Bürgermeister Kurt Krömer (Stein bei Nürnberg) "dringenden Handlungsbedarf", denn: "Die Hütte brennt." Die Bürgermeister seien die erste Adresse für Eltern, die den Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz einfordern. Diese Gespräche, sagte Krömer, seien "nicht vergnügungssteuerpflichtig".
Verband Kita-Fachkräfte Bayern: "Die Fluktuation ist enorm"
Beim verbreiteten Mangel an Kinderbetreuungsplätzen gehe es nicht nur ums Geld, sagte Manfred Riederle vom Bayerischen Städtetag. Oft könnten vorhandene Plätze nicht belegt werden, weil das Personal fehle.
So ergeht es der Münchener "Speckgürtel-Gemeinde" Höhenkirchen-Siegertsbrunn, wie Patricia Lang-Kniesner, Fachbereichsleiterin Kinder und Jugend, sagte. An die 100 Kindergartenplätze könnten nicht vergeben werden, weil das Personal fehle. "Die Fluktuation ist enorm", bestätigte Lisa Pfeiffer vom Verband Kita-Fachkräfte Bayern. Hauptgrund dafür sei "nicht das Geld, sondern die Rahmen- und Arbeitsbedingungen".
Die Kinderbetreuung ist Aufgabe der Kommunen. Der Freistaat Bayern refinanziert die Kommunen anteilig nach dem Bayerischen Kinderbildungs- und -betreuungsgesetz (BayKiBiG), diese wiederum refinanzieren die Einrichtungen in freigemeinnütziger oder sonstiger Trägerschaft auf Grundlage dieses Gesetzes.
Hermine Brenauer: "In den Kitas wird der Grundstein für lebenslanges Lernen gelegt"
Einig waren sich die Experten, dass dieses fast 20 Jahre alte BayKiBiG einer Reform bedarf. Und das bedeutet vor allem: Mehr staatliches Geld. Eigentlich, meint unter anderem die SPD, ist Kinderbetreuung ohnehin eine ureigene staatliche Aufgabe, denn es handele sich im Grunde um frühkindliche Bildung, die Ländersache sei.
Unterstützung kam unter anderem von Fabienne Becker-Stoll, Direktorin beim Staatsinstitut für Frühpädagogik und Medienkompetenz. Die frühkindliche Bedeutung sei für den weiteren Lebensweg eines Menschen und für die Integration von Kindern mit Migrationshintergrund nicht hoch genug einzuschätzen. Die "Bildungsschere" gehe bereits vor der Einschulung auseinander. Der Rückstand von Kindern aus benachteiligten Familien lasse sich dann kaum mehr aufholen. In den Kitas werde der "Grundstein für lebenslanges Lernen und den späteren Umgang mit Problemen" gelegt, betonte Hermine Brenauer, Landesreferentin Kindertageseinrichtungen des Bayerisches Roten Kreuzes.
Nord-Süd-Gefälle in der bayerischen Kita-Landschaft
Am Ende geht es aber doch nur ums Geld. Die staatliche Basisförderung sollte von 60 auf 90 Prozent erhöht werden, empfahl Alexa Glawogger-Feucht (Verband katholischer Kindertageseinrichtungen Bayern). Dem Freistaat würde das rund eine Milliarde Euro mehr pro Jahr kosten. Gut investiertes Geld, rechnete Bürgermeister Krömer vor. Jeder für die Kinderbetreuung angelegte Euro erzeuge eine volkswirtschaftliche Rendite von drei Euro.
Bedauerlicherweise komme diese nicht den Kommunen zugute, sondern vor allem dem Staat in Form von Steuern. In der Realität gebe es in der bayerischen Kita-Landschaft ein Süd-Nord-Gefälle. Der eine oder andere Träger erwäge, seine Kita zu schließen, was auf die Kommune zurück falle.
"Rosinenpickerei": Kita-Anbieter wendet sich an finanzkräftige Klientel
Auf einen aus seiner Sicht bedenklichen Trend, der sich zuerst in den Städten Augsburg und München bemerkbar gemacht hat, wies der stellvertretende Vorsitzende des Sozialausschusses im Landtag Thomas Huber (CSU) hin. Dort sei ein Kita-Anbieter aktiv geworden, der "ausschließlich gewinnorientiert" arbeite. Man müsse darüber nachdenken, wie man einer solchen Entwicklung vor dem Hintergrund hoher Nachfrage und sinkendem Angebot entgegentreten könne.
Dieser Träger arbeite nach dem Prinzip der "Rosinenpickerei", indem er sich an eine finanzkräftige Klientel wende, warnte der Landesgeschäftsführer der Lebenshilfe Bayern, Karl Auer. Weil er seinem Personal bessere finanzielle und Arbeitsbedingungen bieten könne, könnte sich der Personalmangel bei den freien gemeinnützigen Trägern noch verschärfen.