Sabine Postel ruft zur Rettung des "Tatorts" auf

Hamburg - Ein Notrufeinsatz zweier Polizisten eskaliert. Die Bremer Ermittler finden heraus, dass die Beamten unvermutet die Aktivitäten eines kriminellen, arabisch-stämmigen Clans gestört haben - und geraten in ein Netz aus Gewalt und Drohungen. Schauspielerin Sabine Postel (59), die seit 1997 als Kommissarin Inga Lürsen an der Weser ermittelt, spricht im Interview mit spot on news über die Klischees in "Brüder" und ihre Sorge um den "Tatort".
"111 Gründe den 'Tatort' zu lieben" können Sie hier nachlesen
Was haben Sie gedacht, als Sie das Drehbuch zu "Brüder" gelesen haben?
Sabine Postel: Ich fand's hervorragend. Wir werden im Moment mit Krimis überhäuft, die in die Comedy-Ecke schielen. Bei Radio Bremen haben wir immer versucht, brisante und sozialpolitische Themen anzusprechen.
Das ist Ihnen gelungen. Der Film kommt mitten in einer Zuwanderungsdebatte. Und ausgerechnet jetzt zeigt der "Tatort" eine arabisch-stämmige Familie, die praktisch nur aus Verbrechern besteht.
Postel: Diese Clans gibt es nun mal und deren Macht ist beängstigend. Man muss doch den Finger auch in Wunden legen können. Ob das nun die Kurden-Mafia, die libanesische, die russische oder die deutsche Mafia ist - es gibt diese Strukturen. Man kann ja nicht aus Angst vor unangebrachten Rassismus-Vorwürfen solche Missstände nicht mehr thematisieren.
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Es gibt eine Szene, in der zwei ausländische Angeklagte unter dem Applaus ihrer Eltern und Geschwister den Gerichtssaal verlassen. Spielt man da nicht zu sehr mit dem Klischee?
Postel: So spielt es sich leider teilweise ab. Das passiert auch bei deutschen Angeklagten. Wir betreiben hier keine Hetze. Gerade Radio Bremen hat sich einen Rest Links-Liberalität bewahrt. Das Letzte, was man diesem Sender vorwerfen kann, ist, irgendeine Form von rechter Politik zu betreiben. Es gibt hier Ausländer, die nie richtig integriert wurden. Und einige wenige wollten das bestimmt auch nie. Das ist nun mal so.
Sind Ihnen kritische Kommentare lieber als ausschließlich positive Kritiken?
Postel: Der "Tatort" sollte seine Möglichkeiten nutzen, kontroverse Themen anzusprechen. Wenn sich daraus eine Debatte ergibt, ist das doch gut.
Apropos: Im Zusammenhang mit dem Kölner "Tatort: Franziska" gab es eine Debatte um die Gewalt in den Sonntags-Krimis. In "Brüder" wird eine Polizistin brutal zu Tode getreten...
Postel: Moment, der "Tatort" ist doch auch kein Pony-Hof. Verbrechen sind nie lustig. Wir versuchen unsere Filme realitätsnah zu inszenieren. Die Frage ist eher, ob man Morde immer explizit zeigen muss.
WDR-Fernsehfilmchef Gebhard Henke sagte, dass es die internationale Tendenz, mehr Gewalt darzustellen, dem "Tatort" immer schwieriger macht, um 20.15 Uhr ausgestrahlt zu werden. Möchten Sie ins Spätprogramm abgeschoben werden?
Postel: Nein. Das ist doch aber auch Quatsch. Der "Tatort" ist so vielfältig, eine Marke, die seit Ewigkeiten um 20.15 Uhr läuft. Genau da soll er mal schön bleiben. Wir haben so viel verwässerte Unterhaltung. Wir sollten wirklich aufhören, an diesem Format auch noch rumzubasteln. Ich rufe hiermit zur Rettung des "Tatorts" auf (lacht). Ich bin ja nicht nur Schauspielerin, sondern auch leidenschaftliche Zuschauerin, wenn ein Fall von den Kollegen läuft.
Glücklich über die zahlreichen Ermittler-Neuzugänge in den letzten Monaten?
Postel: Puh, schwierig. Da waren zuletzt einige Mogelpackungen dabei. Gerade die Filme, die als "einmaliges Event" angelegt sind, finde ich problematisch. Das kann die Marke kaputt machen. Der Zuschauer soll ja auch die Möglichkeit bekommen, mit seinen Ermittlern zu wachsen. Dass es mittlerweile fast in jeder Stadt einen "Tatort" gibt, ist für die Entwicklung auch nicht förderlich. Oft geht es wohl nur darum, die Quote am Sonntagabend zu pushen. So viele Kriminalgeschichten kann man ja gar nicht erzählen. Da ist es kein Wunder, dass die Qualität irgendwann leidet, weil den Autoren nichts mehr einfällt.