Münchner Tatort: Ein Weihnachten wie bei Agatha Christie
München - Der 90. Fall der "Tatort"-Kommissare Leitmayr und Batic — "Mord unter Misteln" (Regie: Christian Oetzmann) spielt am Esstisch von Assistent Kalli (Ferdinand Hofer). Der lädt Kollegen zum Krimidinner ein. Aus Franz Leitmayr (Udo Wachtveitl) und Ivo Batic (Miroslav Nemec) werden so Chief Inspector Lightmyer und Constable Partridge, die einen Mord im englischen Middleton im Jahr 1922 lösen müssen — Agatha Christie lässt grüßen. Das Drehbuch zu dem ungewöhnlichen Krimi stammt von Robert Löhr.
AZ: Herr Löhr, wie bringt man sich als Autor in so eine Agatha-Christie-Stimmung?
ROBERT LÖHR: Ich habe einfach ganz viele ihrer Geschichten gelesen. Nicht nur Christie und ihre Epigonen bilden ein Riesenkonvolut, es gibt dort auch das Untergenre des Weihnachtskrimis. Ich habe also ein Dutzend Weihnachtskrimis aus dem Goldenen Zeitalter der britischen Kriminalliteratur gelesen und mir so Anregungen geholt.
Im Kino gibt es ja auch gerade eine Renaissance des Genres.
Ich habe gerade "See how they run" im Kino gesehen, eine sehr gelungene Mischung aus Parodie und Golden-Age-Krimi. Auch der Erfolg von "Knives out" beweist doch, dass diese klassischen Whodunit-Krimis unverwüstlich sind. Leider waren Kenneth Branaghs Neuinterpretationen von "Mord im Orient-Express" und "Tod auf dem Nil" eher enttäuschend, das waren zu sehr Hochglanzprodukte. Tolle Schauspieler und Bilder alleine reichen nicht.
Robert Löhr: "Es gibt viel zu viele Krimis im deutschen Fernsehen"
War "Mord unter Misteln" eine Auftragsarbeit, oder sind Sie auf den Sender zugegangen?
Der BR hat mich gefragt, ob ich nicht mal einen "Tatort" schreiben wolle, aber ich bin gar nicht so ein wahnsinniger Krimi-Fan gewesen, auch kein regelmäßiger "Tatort"-Gucker. Ich hatte eher das Gefühl, dass es einfach viel zu viele Krimis im deutschen Fernsehen gibt. Was soll da noch überraschen? Dann dachte ich, ich verfolge lieber ein Projekt, das wirklich aus dem Rahmen fällt. Und so kam dann die Idee, ein historisches Setting mit einem heutigen Krimidinner zu verbinden.
Brauchten Sie die Zustimmung der beiden Schauspieler?
Natürlich, man kann so ein Buch ja nicht gegen deren Widerstand entwickeln. Beide waren aber von Anfang an sehr angetan von der Idee, und dann hat das Projekt so einen Schwung bekommen. Es ist ein Risiko, aber andererseits gibt es so viele "Tatorte" im Jahr, da kann man auch mal was Anderes wagen.
Wichtig ist die Atmosphäre und Tonlage, also die richtige Balance zwischen Krimi-Spannung und Humor.
Es gab da so ein Missverständnis, bei der Entwicklung wurde immer wieder von Komödie gesprochen, aber "Mord unter Misteln" war von mir nie als Komödie angelegt. Ich schätze allerdings den britischen wit, die pfefferscharfen, geistreichen Dialoge. Die sind ja bei Agatha Christie so unverzichtbar wie Arsen.
Der Film wechselt mehrere Male die Zeitebene zwischen Middleton 1922 und Kallis Wohnung, Sie hätten auch ganz in Middleton bleiben können.
Im Lauf der Drehbuch-Entwicklung haben wir verschiedene Modelle ausprobiert. Und ohne den Wechsel zurück in Kallis Wohnung wäre das andere Thema des Films nicht möglich gewesen: das bevorstehende Ende ihrer gemeinsamen Zusammenarbeit zu thematisieren, auch wenn das noch ein fernes Leuchten am Horizont ist.
Jubiläum für die Münchner Tatort-Komissare
Es ist der 90. Fall von Batic und Leitmayr, kein Fan glaubt, dass die beiden die 100 nicht vollmachen.
Da kann ich natürlich nichts zu sagen, aber selbst James-Bond-Darsteller haben irgendwann den Staffelstab weitergegeben.
Wieso gibt es das Gefälle zwischen den beiden in Middleton, den Inspector und den Constable? In München sind sie ja gleichrangig.
Weil es einfach Spaß macht, wenn es ein Machtgefälle gibt. Das bietet den Raum für ständige Kabbeleien wegen des Ranges und unterstützt die leichte Verstimmung zwischen beiden.
Als "Tatort"-Drehbuchautor schreibt man ja ganz genau auf die Kommissare hin, hatten Sie für die Rolle der Lady Mona Bantam auch Sunnyi Melles im Sinn? Man kann sich jedenfalls niemand anderen für die Rolle vorstellen. Niemand kann so viel Verachtung in ein Wort wie "Hunnen" legen.
Nein, ich hatte die Rolle ursprünglich nicht für sie geschrieben, wir haben sogar ein Casting gemacht. Die meisten ihrer Kolleginnen waren so timide und zurückhaltend, so defensiv. Sunnyi Melles ist direkt in die Vollen gegangen, und so muss es in diesem Film ja auch wirklich sein.
"Es werden sich auch Menschen aufregen"
Befürchten Sie Kritik der "Tatort"-Fangemeinde?
Ich bin stolz auf den Film und habe viele positive Rückmeldungen bekommen. Aber natürlich werden sich auch Menschen aufregen, die lieber einen klassischen "Tatort" haben wollen. Das ist immer so.
Für mich dürften die beiden gerne weiter in Middleton 1922 ermitteln, ist eine Fortsetzung angedacht?
Ich finde auch, dass Ivo Batic mit seinem Schnauzbart in seiner Constable-Uniform toll aussieht und hätte großen Spaß daran, die beiden noch einmal ins frühe 20. Jahrhundert zu schicken. Ich habe aber jetzt erst mal einen gegenwärtigen Fall für die beiden geschrieben, der im Herbst 2023 gesendet wird. Der Fall heißt "Königinnen", da geht es um einen Mordfall im Bereich der Produktköniginnen, also Gurken- und Kartoffelköniginnen. Wie man wohl ahnen kann, ist auch dieser Fall nicht der allerdüsterste.
ARD, Montag, 20.15 Uhr
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